Auch Tara geht in ein Zimmer!
Nach all den tlw. unschönen Turbulenzen der letzten Tage...
...der letzten Woche, wollte ich es gestern ruhiger angehen. Vormittag war Spendenannahme im Lager angesagt, wobei wir an den Samstagen auch immer die Spendeneingänge, sämtliche Artikel der gesamten letzten Woche inventieren und einräumen.Gestern zur Spendenannahme waren die Lions Biophilia angekündigt. Sie haben zu Weihnachten für uns Dinge verkauft und Spenden gesammelt, die gestern übergeben wurden. Vor der Übergabe führte ich die Lions durch unser Lager, und erzählte dabei aus unseren Aktionen, aus unseren Erfahrungen, nannte die Fakten zu unserer Arbeit. Es wurden auch die diversen „Rasterfallen“, warum jemand gänzlich durchs soziale Netz fällt, angesprochen. Viele Fakten und Fälle, und unschöne Schicksalsschläge einiger unserer Schützlinge brachten unsere Besucher der Lions ins immer länger werdende Kopfschütteln. Ungläubig und nicht verstehend, wie es solche Vorkommnisse geben kann, in einem der reichsten Länder der Erde, gehen wir langsam durch unser Lager.
Alleine die Zahlen aus unserem Verein beeindrucken unsere Besucher, dass wir direkt oder indirekt etwa 3500 Menschen mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, mit EUREN Spenden versorgen, dass wir in den letzten 5 Jahren über 53.000 ehrenamtliche Stunden absolvierten und etwa 472 große Spendenlieferungen in viele Obdachloseneinrichtungen und Frauenhäuser in ganz O.Ö., Salzburg Stadt, in 2 Wiener und 2 Grazer Einrichtungen brachten. Dass wir etwa 12.700 Spendeneingänge zu verbuchen hatten und dass wir von etwa 3.200 Spendern (einige kamen öfters), „versorgt“ wurden. Das ist schon eine „Bilanz“, die sich für einen kleinen Verein wie dem Unseren, sehen lassen kann und dafür sind wir Euch, liebe Wegbegleiter/innen und Spender/innen, sehr, sehr dankbar. Ich betone auch immer wieder, dass unsere Aktion ohne Euch nicht einmal im Ansatz möglich wäre. Das ist Fakt! Nach etwa 1 Stunde waren die Lions voller Fakten und Daten, beeindruckt bedanken sie sich bei all unseren ehrenamtlichen Helfern/innen, die gestern im Lager waren, mit größtem Respekt und Anerkennung. Die Spendenübergabe der Lions machten wir dann draußen beim Bus. Die großartige Spende über € 2090,- kommt grade zur rechten Zeit. Vielen, herzlichen Dank und Vergelt’s Gott für die großartige Spende und wunderschöne Geste der Menschlichkeit.
Der Vormittag gestern ging wieder im Flug vorbei, unser Team war den ganzen Vormittag damit beschäftigt, all die Spenden, die wir aus Melk bekamen, zu inventieren und einzulagern. Es war eine riesengroße Ladung an Hygieneartikeln und Lebensmitteln, ein ganzer Transporter voller toller Artikel. An den Samstagen werden auch unsere Donnerstagswagerl kommissioniert, d.h. wieder aufgefüllt und gegen Mittag die Boxen für die Linz-Tour, die jeden Samstag stattfindet, eingeladen und fixiert. Heute nahm Barbara ihren Martin mit, der immer eine klasse Hilfe ist und heute ist ja auch unser Freund Mäcki McChristian Krainz hier, um uns tatkräftigst zu unterstützen, Beate und unsere Prinzessin Gerlinde sind auch da und mit Ingrid, Petra und Brigitte war gestern unser Lagerteam komplettiert. Pünktlich um 12.15 Uhr beenden wir den Spendenannahme-Samstag und fahren heim. Hunger aber unfähig, noch irgendwas zu kochen lege ich mich auf die Couch, übermüdet vom wenigen Schlaf und den großen Schmerzen der letzten Tage, schlafe ich ein und wurde erst zum Teekochen für die Linz-Tour um 17 Uhr, wach. Schleunigst Tee kochen, Jetons zusammenrichten, ein paar Brötchen sind von der Jause vormittags noch da die eingepackt werden, um 18 Uhr ist Treffpunkt mit meiner heutigen Begleiterin Edith, bei der Metro.
Zuerst noch tanken, bevor es losgeht, Edith freut sich schon sehr auf die heutige Tour, ich mich auch. Erste Anlaufstelle war bei Stefan am Pichlingersee. Die letzten Regen- und Schneetage machten aus dem grünen Streifen einen tiefen, dreckigen Morast, in dem ich versumpfe. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, es ging mir letzte Woche am Samstag auch schon so, dass ich kaum noch herauskam aus der nassen, schmutzigen Erde. Wir geben Stefan eine Thermoskanne voller heißen Tee und einige Lebensmittel, die er so braucht für die kommende Woche. Seine Hunde sind an der Leine, Edith hat bedenken, weil sie am Nachmittag Besuch hatte von Freunden, wo auch ein Hund dabei war. Aber Stefan passt gut auf seine Hunde auf. Der Wind weht uns jetzt schon ziemlich stark um die Ohren und ein vorbeirauschender Zug der Westbahn in etwa 5 Meter Abstand, lässt mich erschrecken und die Erde unter mir erbeben. Wie kann man hier als Obdachloser nur leben? Ich versteh es nicht, muss es auch nicht verstehen. Mein letzter Blick, wenn wir von Stefan wegfahren, gilt immer dem Marterl mit der brennenden Kerze, das ein frühes Lebensende eines gepeinigten Menschen kennzeichnet, der sich hier vor den Zug geworfen hat. Still bete ich zum Herrn und fahren zum nächsten Hot Spot.
Schillerpark, Volksgarten, Bahnhofspark und Finanz-Tiefgarage, niemand zu sehen. Also weiter zum Terminal. Als wir die Türen unseres Transporters öffneten, spürten wir wieder den heftigen Wind, aber Hauptsache trocken ist es hier. Affi, Hansi, Tony, Mario, Andy, Peter, Meikel, Gaby u.a. warten schon auf uns, Mario steht schon seit 2 Stunden am Terminal und wartet auf uns, ich habe ihn lange nicht gesehen, bestimmt fast 1 Jahr, freue mich aber, dass es ihm halbwegs gut geht.
Dass demnächst das gesamte Terminal delogiert wird und alle Obdachlosen von dort weg müssen, treibt unseren Schützlingen Tränen in die Augen und Fragen ins Bewusstsein. „Wo dürfen wir denn noch bleiben? Wo lässt man uns noch einen kleinen Platz, um leben zu können?“ Ich habe leider auch keine Antworten. Hätte ich einen Lottogewinn, gäbe es in Linz bald eine 2. Notschlafstelle, so dass wirklich niemand mehr auf der Straße schlafen müsste. Unser großer Traum. Aber zurzeit sind wir nicht mit einem Lottogewinn gesegnet, sondern mit unseren Schützlingen, die zu essen und trinken brauchen. Edith packt kleine Lebensmittel- und Hygieneartikelsackerl, und alle können sagen was sie zusätzlich noch benötigen. Einen Rucksack für Mario, eine warme Jacke für Tony, einen Sweater für Marcel und noch einen Pullover drauf.
Jede/r bekommt noch Zigaretten und dann trinken wir noch 1-2 Becher heißen Tee mit unseren Schützlingen, viele Ängste und noch mehr Befürchtungen kommen ans Tageslicht, vielen stehen die Strapazen der kalten Monate ins Gesicht geschrieben, vielen sieht man in den Augen deutlich an, dass sie kraftlos und ziellos sind. Ich übe mich im Optimismus verbreiten, wenn es auch nur Zweckoptimismus ist, Hauptsache positive Ansagen und Worte. Sie sind so immens wichtig für die Menschen, die sonst schon alle Hoffnung verloren haben. Nach fast 2 Stunden Terminal begleitet uns Peter noch ein paar Meter, bis wir in die Tiefgarage gehen. Dort sehen wir wieder einige junge Menschen, die dort scheinbar auf Drogen warten und jeden der bei ihnen vorbeigeht, von oben bis unten durchleuchten. In der Tiefgarage finden wir nur ein Bettlager, das Verlassen ist, vermutlich Elvisas Schlafstelle. Also zurück zum Bus, dort warten 2 neue Obdachlose, die einen enormen Bewegungsdrang haben, die keine Sekunde still halten können, auch hier vermute ich nichts Gutes. Aber auch sie bekommen zu essen, und ein paar Zigaretten und sind überaus dankbar.
Weiter zum nächsten HotSpot, Nähe Dom, zu Tara und Peter. Tara, eine junge Frau, die zurzeit ein befristetes Arbeitsverhältnis für 3 Monate hat und auf einer Bank schläft, und Peter, der im Durchgang nun ein großes Zelt aufstellte. Peter bittet um Lebensmittel und heißen Tee, Tara trinkt keinen Tee, ohne eine Zigarette zu haben. Ich gebe auch ihr ein paar Zigaretten und dann bittet auch sie um einen heißen Tee. Wir kommen ins reden und auch Tara hat das Leben auf der Straße so satt, weiß aber nicht mehr weiter, was sie noch tun könnte, um wieder in ein halbwegs normales Leben zu finden. Ich mache ihr den Vorschlag, ihr ein Zimmer zur Verfügung zu stellen, telefoniere auch gleich mit Hr. L. vom Gründberg, er erwartet uns bis 22.15 Uhr zu einem Gespräch. Ich sage Tara, dass ich mich morgen am Sonntag melde und ich sie, so wir ein Zimmer bekommen sollten, am Sonntag um etwa 16 Uhr abhole und ins Zimmer bringe. Lächelnd verabschieden wir uns von Peter und Tara und fahren weiter zu Florian.
Florian kommt uns schon entgegen und fragt sofort nach seiner Plane, die ich leider vergessen habe. Er liegt mitten in der nassen Erde und ich beiße mich grade in den Allerwertesten, weil ich ausgerechnet für Florian die Plane vergaß, die er so dringend bräuchte. Ich verspreche ihm, am Montag eine zu kaufen und ihm am Montag noch zu bringen, damit er es wieder halbwegs trocken hat. Florian braucht noch Haube und Handschuhe, Socken und Unterwäsche, dann geht’s schon weiter unter die Autobahnbrücke zu Franziska und Gerald. Franziska ist auch heute nicht da, aber sie tauchte zwischenzeitlich wieder auf, ist also unversehrt und alle Ängste der letzten Woche waren umsonst. Gerald erzählt uns, dass es Emma, Franziskas Hund, nicht gut gehe, könne aber nicht sagen was sie hat. Ich werde unter der Woche mal nachts hinschauen, um Franziska anzutreffen. Mal schauen.
Von der Autobahnbrücke nach Urfahr, zu Günther und Rene, die beide letzte Woche schwer krank aus dem Krankenhaus entlassen wurden, und das Leben auf der Straße nicht überleben würden in ihrem Zustand. Deshalb mieteten wir auch hier 2 Zimmer an, um Leben zu retten, buchstäblich! Günther hat nun einen OP-Termin am 9.2.2022, wo endlich sein Bauch versorgt wird. Auch hält er immer noch an dieser Wohnung fest, die er eigentlich schon lange haben könnte, wäre er nicht bei jedem Übergabetermin im Krankenhaus gelegen. Günther ist auch voller Hoffnung und voller Dankbarkeit, dass wir ihn nicht vom Krankenhaus aufs Terminal gehen ließen. Er weiß sehr gut, was das geheißen hätte, den sicheren Tod in diesem Zustand. 2 Zimmer neben Günther hat Rene sein Zimmer, der am Donnerstag vom Krankenhaus entlassen wurde und ebenfalls schwer krank ist. Er bat uns am Donnerstag um Hilfe und am Freitag durfte Rene ins Zimmer einziehen, für Rene ebenfalls das sichere Todesurteil, wenn er die Nächte jetzt im Freien verbringen müsste. Rene fiel mir schon Donnerstag und Freitag voller Dankbarkeit oftmals um den Hals und betonte immer wieder, dass er es nicht glauben kann, dass wir Wort hielten mit dem Zimmer. Bisher wurde er immer nur vertröstet und angelogen, er sitzt mir gegenüber am Tisch und er gesteht mir, dass die Ärzte keine weiteren Termine mehr haben für ihn, sondern ihm nur mehr „Glück“ wünschten. Rene weint und beginnt wieder damit, dass er uns das alles zurückgeben möchte, ja, irgendwann lieber Rene, jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um über so etwas zu diskutieren. Günther und Rene gehen noch mit zum Bus, Lebensmittel für Günther und Bettwäsche und neue Decken, die unsere Ingrid für Rene extra kaufte, für Rene. Edith und ich ziehen Rene noch die Bettwäsche an und vertschüssen uns dann auf den Gründberg.
Zuerst zu Hr. L., Markus, unser Lackier- und Malermeister steht vor der Tür und raucht gerade, ich vertröste ihn auf ein paar Minuten später, zuerst müssen wir zum Gespräch zu Hr. L.. Ich lege ihm meine Bitte ans Herz und erzähle ihm ein wenig von Tara und dass wir dringend baldmöglichst ein Zimmer brauchen. Er stimmt sofort ein, also kann ich am Sonntag Tara auf den Gründberg siedeln. Wieder eine Frau weg von der Straße, ein gutes Gefühl. Nach dem Gespräch werden wir von Markus auf einen Früchtetee eingeladen und er erzählt mir von „Marianne“, die Großteils nicht im Zimmer ist und immer wieder zu ihrem schlagenden Freund zurückgeht. Hier müssen wir nun eine Konsequenz zeigen, weil es nicht sein kann, dass „Marianne“ ein Zimmer bewohnt, dass sie nicht braucht, das aber sehr wohl einem Obdachlosen Unterschlupf geben würde. „Marianne“ wird das Zimmer verlassen müssen, so leid es mir tut. Markus erzählt von all seinen Amtsgängen, was er schon alles in die Wege geleitet hat, was er kommende Woche vor hat usw.. Markus ist zurzeit das blühende Leben, ein wenig zittert seine Hand noch vom Entzug, aber Markus lächelt das Zittern weg. „Es geht mir gut, sehr gut sogar!“ Mittlerweile ist es 23.50 Uhr und wir hätten noch ein paar Hot Spots abzufahren, aber irgendwie überkommt uns der Schlaf und wir brechen die Tour für heute ab. Im Lager laden wir alles aus dem Bus und lagern alles wieder ein. Edith ist sehr positiv: „Es war ein toller Abend, wir konnten wieder helfen und Gutes tun.“ Ja, liebe Edith, du hast recht und es tut wirklich tief im Herzen gut, wenn man Menschen helfen kann, so helfen kann, wie wir es tun, schnell, auf Augenhöhe und wertschätzend.
So geht um 1.30 Uhr für mich ein Tag zu Ende, der voller Emotionen, voller Mitgefühl und von vielen tollen Menschen getragen war.
Danke lieber Herr da droben, dass wir das in diese Form machen dürfen und können.
Wir sagen DANKE und VERGELT’S GOTT für all Eure Unterstützung, für all die moralischen Hilfen und für alle Gebete, ohne die es nicht gehen würde. Euch einen schönen, ruhigen Sonntag und alles liebe. Schön, dass es EUCH gibt, Gott schütze Euch! 😊