Chancen, die warten!

Bitte verzeiht mir...
...dass ich Euch bis heute Sonntag warten ließ, auf mein Posting vom Donnerstag. Es kommen grade viele unschöne Dinge zusammen die zu bewältigen sind, die meine ganze Kraft fordern. Wir sind unter anderem auch dafür bekannt, Euch auch diese Dinge und Vorkommnisse zu erzählen, Euch zu sagen, die nicht so schön sind und wenn es auch manchmal nicht so gut läuft. Das gehört zum Leben dazu und natürlich auch zu unserem Verein. Dinge immer nur schönzureden oder zu kaschieren, ist nicht unser Zugang zu der Transparenz, von der wir immer wieder schreiben. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gehören genauso zu uns wie der tägliche Kampf für unsere Schützlinge. Jede/r, wirklich jede/r hat eine 2. Chance verdient, und wenn man dann nochmal hinfällt, dann eben auch eine 3. Chance!Nur weil nicht jede/r so funktioniert wie es unser „System“ erfordert, deshalb lassen wir trotzdem niemanden hungern oder frieren. Es gibt Dinge, die wir auch nicht für jede/n machen können, weil es ein Unding wäre, dichte Kontrollinstanzen einzurichten und zu vollziehen. So ist es zum Beispiel bei der Vergabe unserer Zimmer. Wir müssen sicher sein, dass es für die Person, die wir in ein Zimmer geben, wirklich auch eine „positive“ Prognose geben muss, das heißt, diese Person muss uns schon davon überzeugen, dass er/sie weg möchte von der Straße und das Leben in einem Zimmer auch schafft. Wir haben in den letzten Monaten 7 Schützlinge in Zimmer untergebracht, zuerst am Gründberg und jetzt auch in einer 2. Unterkunft, bei Dieter (Wirt zur ew’gen Ruh‘).
Regina musste aus unserem Zimmer ausziehen, weil sie über weite Strecken das Zimmer leer stehen ließ und es nicht nutzte, sie nahm jemand anderem das Zimmer weg und sie ging ja zurück, zu ihrem Freund, der sie schlägt. Leider hat das bei Regina nicht gefruchtet, dass sie in diesem Zimmer einen Neuanfang gesehen hätte.
Tara, unsere Bankkauffrau ist ebenfalls überglücklich nach fast 3 Jahren Obdachlosigkeit, wieder in einem warmen Zimmer leben zu dürfen. Sie geht brav arbeiten und bringt grade Ordnung in ihr gesamtes Leben. Auf Tara bin ich richtig stolz, ich glaube daran, dass sie diesen Sprung mit unserer Hilfe aus der Obdachlosigkeit schafft, alle Zeichen stehen auf Grün. Aber auch Tara muss weg vom Gründberg. In diesem Zimmer von Tara ist eine 2. Person gemeldet, die dort gar nicht wohnt, und um bei einer Prüfung das zu behaupten, hat der Vermieter Tara ein Stockbett reingestellt, wo diese 2. Person scheinbar schlafen sollte, aber es noch nie getan hat. Für diesen Dienst verlangt er auch finanzielle „Entschädigung“, dass er sich damit strafbar macht, scheint ihm egal zu sein. Aber das sind Vorgehensweisen, die absolut nicht gehen. Nur haben wir auf die Schnelle keine Alternative für Tara. Ich habe kein Zimmer mehr auf das wir ausweichen könnten.
Markus, unser Malermeister aus Bayern, den wir vor gut 2 Monaten in ein Zimmer ebenfalls am Gründberg steckten, erkannte auch seine Chance und nahm diese beim Schopf. Markus hat vor 10 Wochen dem Alkohol Adieu gesagt, ist seitdem trocken und er zeigt uns jeden Tag, dass er diese Chance wirklich verdient hat. Unsere Barbara verschaffte Markus eine Arbeitsstelle bei Hansaflex, und Viktor, Markus‘ Vorgesetzter bei Hansaflex, ist vollauf zufrieden mit Markus‘ Leistung. Markus ist wirklich bemüht, auf allen Ebenen seine Chance zu nutzen. Markus musste letzte Woche, aufgrund der ganzen Vorkommnisse in seinem Zimmer am Gründberg, weg von dort, bevor die Situation eskaliert, haben wir Markus gesiedelt. Im neuen Zimmer hat er sich gemütlich eingerichtet, hält alles sauber und ist glücklich. Markus ist auch so dankbar, für jede Kleinigkeit was wir tun für ihn, das tut schon sehr gut.
„Gertrude“, die wir als eine der Ersten in ein Zimmer am Gründberg gaben, zog ja bekanntlich wieder aus, in eine kleine Wohnung. Auch „Gertrude“ wünschen wir, dass sie die Chance erkennt, die sich ihr bietet. Rainer ist immer noch am Gründberg, schwer krank, und auch Rainer wird als etwas gesehen, was er nicht ist, nämlich eine „Melkkuh“. Nachdem der Vermieter in einem Bescheid gesehen hat, was Rainer Sozialhilfe bekommt, verlangt er jetzt einfach € 100,- mehr für ein Zimmer, das nicht annähernd diesen Preis wert ist. Man möge sich das auf der Zunge zergehen lassen, der Vermieter geht ungefragt ins Zimmer von Rainer, als Rainer weg war, und durchstöbert seine Unterlagen und hat dann noch die Frechheit, Bescheide abzufotografieren und einfach €100,- mehr zu verlangen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was meine Wut in diesem Fall mit mir macht. Auch möchte der Vermieter Rainer den Fernseher wegnehmen, weil er zu groß ist und zu viel Strom braucht. Rainer kann sich nicht wehren, er ist zu krank dazu und hat natürlich große Angst davor, rausgeworfen zu werden. Sobald ich eine Lösung für Rainer habe, zieht auch er am Gründberg aus.
Aus diesem Grund bitte ich Euch, wenn ihr von mietbaren Zimmern wisst, die man sich auch leisten kann, wäre ich dankbar für jeden Tipp. Wir haben ja auch Günther, der schwerkrank ist, in ein Zimmer bei Dieter getan, weil er keine einzige Nacht am Terminal mehr überleben würde. Ich habe ihn vor einigen Monaten einliefern lassen, er hätte schon damals die Nacht nicht mehr überstanden. Danach steckten wir Günther in dieses Zimmer. Vereinbart ist mit allen, absolutes Alkoholverbot, keine Partys, keine Eskalationen oder Gewaltexzesse. Alles würde dazu führen, dass das Zimmer geräumt werden muss. Wir als kleiner Verein, können nicht jeden Tag die Zimmer kontrollieren, ob sie sauber und ordentlich sind, ob eh alle sich an die Vereinbarungen halten. Günther war am Anfang positiv, hat nichts getrunken, war guter Dinge, und irgendwas hat ihn vor 14 Tagen wieder aus der Bahn geworfen, er dürfte ja wegen seiner Krankheit nichts mehr trinken, er wurde vor 3 Wochen operiert. Und was tut Günther, er beginnt wieder zu trinken, belügt mich, schreit mich an. Ich erinnere Günther an unsere Abmachungen, keinen Alkohol, keine Exzesse usw., was ihm scheinbar völlig egal zu sein scheint. Günther ruft mich um 1 Uhr früh an und beginnt zu schimpfen und fluchen, ich quittiere den Anruf mit „hör auf damit, Günther“ und lege auf. Diese Woche am Donnerstag eskalierte die Situation rund um Günther, seine Ex-Freundin kam und ließ ihn ins Krankenhaus einliefern, wegen großer Schmerzen. Zuerst wurden die Sanitäter beschimpft, dann später die Ärzte im Krankenhaus. Als Günther weg war aus dem Zimmer, kam die ganze Scheinwelt die Günther mir gegenüber aufgebaut hat, zum Einsturz. Er lag wohl tagelang in den eigenen Exkrementen. Die Matratze und der Lattenrost waren zu entsorgen, die Bettdecken und Polster ebenso, der Boden auch in Mitleidenschaft gezogen. Zu viert haben wir mehrere Stunden das Zimmer gereinigt und entsorgt, nur weil sich Günther nicht an unsere Abmachungen hielt. Er ging kurz nach Einlieferung wieder auf Revers aus dem Krankenhaus, um sich für 1 Nacht in einem Hotel einzumieten. Ich bin geneigt, Günther nicht mehr in das Zimmer zu lassen, wobei ich leider nur zu gut weiß, dass er keine einzige Nacht mehr am Terminal auf der Straße überleben würde. Ich ging nun einen „Deal“ mit Sr. Lydia und Sr. Martha ein, die alle 2 Tage bei Günther Nachschau halten und mir jede Kleinigkeit melden, scheinbar geht es nur so, um nicht in weitere Haftungen zu schlittern. Wir sind verantwortlich für das Zimmer und Inventar, und wenn etwas kaputt geht, müssen wir es ersetzen. Das, was Günther hier kaputt machte (nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes, sondern auch an den Glauben an ihn), können wir zurzeit noch gar nicht erfassen. Ich, jedenfalls, möchte niemals schuld am Tod eines Menschen „schuld“ sein, ich könnte damit nicht leben. Deshalb die intensive Suche nach einer Möglichkeit, nach Günthers LETZTER Chance!
Rene, der neben Günther lebt, wurde auch aus dem Alltag gerissen und stand von heute auf morgen auf der Straße. Ich erinnerte auch Rene an unsere Abmachung bezüglich Alkohols und sonstiger Vereinbarungen. Ich hoffe, dass auch er meine Botschaft verstanden hat, wir müssen hier auch Pflichten einfordern, ohne die geht es nicht. Und diese Pflichten werden jetzt von ALLEN eingefordert. Rene hat sein Zimmer immer sauber, immer ordentlich, wenngleich Rene auch dazu neigt, seinen Kummer im Alkohol zu ertränken. Ich sagte ihm gestern deutlich, dass das so künftig nicht mehr geht.
Vladi, dem wir erst letzten Samstag ein Zimmer zukommen ließen, nutzt auch seine Chance auf beste Weise. Er geht arbeiten, trinkt nichts mehr und möchte auch seine Chance nutzen. Er hofft, von der Leasingfirma zur Firma übernommen zu werden. Vladi ist ein zuvorkommender, netter Mann, der hilfsbereit ist und aber auch das Leben auf der Straße gut kennt, dass wir ihm künftig ersparen möchten. Weil, wenn jemand über mehrere Monate so brav arbeiten geht und eine gute Prognose in der Firma hat, dann gehört das gefördert, finden wir. Wir geben diesen Menschen eine Chance, in einem Zimmer zu sich zu kommen und die Chance zu sehen und zu nutzen. Nur wenige erkennen diese Chance nicht und spucken uns (im übertragenen Sinne) ins Gesicht. Aber aus solchen Situationen müssen wir täglich die Quintessenz ziehen, dazulernen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen und diese in unsere tägliche Arbeit einfließen lassen.
Ich möchte absolut offen und ehrlich zu euch sein, liebe Wegbegleiter und Spender/innen, ihr sollt auch sehen was so schief laufen kann und wie es uns bei unserer täglichen Arbeit geht. Ich würde auch gerne vieles ungeschehen machen, würde auch gerne einiges verheimlichen, aber das wäre nicht ehrlich und das wäre sehr schwach von uns. Es kommt für uns nicht einmal im Ansatz in Frage, Dinge, weil sie nicht so schön zu erzählen sind, zu verheimlichen, NEIN, alles, wirklich alles muss Platz finden, in unseren Postings. Das sind wir EUCH schuldig. Der Verteil-Donnerstag, ging wie jede Woche, frühmorgens an, mit all den üblichen Vorbereitungen, heute ist unser neuestes Mitglied Benji mit dabei, er hilft uns schon am Vormittag und möchte auch nachmittags mit nach Linz fahren. Er möchte sich ganz einbringen, klasse!
Um 13.30 Uhr, sind alle Vorbereitungen abgeschlossen und wir beginnen zu laden, im Nu und viel zu früh sind wir heute fertig mit beladen. Abfahrt um 15.10 Uhr, bei Sonnenschein und eiskaltem Wind, in Linz ist alles schnell aufgebaut. Wir dürfen trotzdem erst um 16 Uhr mit der Ausgabe beginnen. Am Ende sind es 64 Schützlinge, die es heute zu uns schaffen. Aus der Rotation der verschiedenen Ausgabestellen ergeben sich heute einige neue Konstellationen, so ist Christine heute bei der Tiefkühl- und Kühlausgabe, Benji bei den Getränken, dem Tee und teilweise beim Gebäck. Unser profundes Team wirft niemanden ins kalte Wasser, das gesamte Team hilft zusammen und hilft bei der „Einschulung“, das auch heute großartig klappt. Der Verteil-Donnerstag verläuft ruhig, diszipliniert, die Menschen kommen in mehreren Schüben zu uns, zwischendurch reißt der Fluss manchmal ab, bis dann im nächsten Moment wieder einige unserer Bedürftigen kommen.
Martin ist heute schnellen Schrittes unterwegs, frisch rasiert mit Donauwasser, er hat ein Lächeln auf den Lippen, und ist sichtbar gut drauf. Werner fragt um einen Rollator für seine Frau an, Ingrid kümmert sich um einen, den sie samstags mitnehmen möchte. Für Hr. Ing. K.P. haben wir eine gebrauchte Mikrowelle in einen Einkaufs Trolley eingepackt, damit er sie nicht schleppen muss. In den gemeinsamen Gesprächen wird mir immer wieder erzählt, wo es zurzeit massive Probleme gibt, von welcher Seite Probleme zu erwarten sind. Es hilft mir ungemein zu wissen, wer uns gut gesinnt ist und wer nicht. Jene, die den Obdachlosen nur Prügel vor die Füße werfen, werde ich nach und nach auf Äußerungen oder Umstände, die neu geschaffen wurden, ansprechen. Das sind wir unseren Schützlingen schuldig.
Auch manche Busfahrer, denen wir (nach Aussage von ihnen) ein Dorn im Auge sind, weil wir die Erlaubnis haben, unter dem Vordach beim alten Bus-Terminal, beim ABC-Café, unseren Verteil-Donnerstag abzuhalten, erkennt man schon an der Mimik, dass sie uns am liebsten zum Teufel schicken würden. Aber wir haben halt nun die offizielle Erlaubnis, hier zu stehen, nur, es ist auch echt unangenehm, wenn sich jemand kopfschüttelnd seinem Kaffee widmet. Hier haben wir in der Vergangenheit oft versucht, die Probleme oder Missverständnisse in einem Gespräch zu lösen, leider umsonst. Wir jedenfalls sind glücklich hier stehen zu dürfen, jeden Donnerstag.
Um 18Uhr ist unser Verteil-Donnerstag vorüber, wir packen zusammen und brechen auf, Richtung Lager Ansfelden. Nach einer kleinen Rundreise rund um Traun, kommen wir verspätet im Lager an. Die Autobahn wegen einem Unfall gesperrt. Wir sind eingespielt und haben wieder im Nu das gesamte Equipment ausgeladen und wieder eingelagert.
Am Abend, daheim, werden dann alle Mails und Nachrichten beantwortet, Rückrufe gemacht und alles andere erledigt. So wird’s diesmal auch ohne Posting schreiben, Mitternacht, bis ich fertig bin. Ein langer Tag wieder, von 6 Uhr früh bis Mitternacht.
Ich sage DANKE und Vergelt’s Gott an all unsere Spender/innen, dass wir auch diesen Verteil-Donnerstag machen durften. Danke für alles liebe Leute, schön, dass ihr uns Woche für Woche treu begleitet, zumindest in unseren Beiträgen. DANKE! 😊