2 Menschen – 2 Schicksale
Ich wage eine Vergleichsreihe, die etwas ungleich ist und doch am Ende, vergleichbar. Im Radio erzählte Frau Moser (Vorsitzende der Diakonie) von einem Autistischen Jungen namens Julian, der verzweifelt nach einer Arbeit sucht und keine bekommt, wegen seiner Krankheit Autismus. Die Diakonie nimmt den Jungen an der Hand und geht unter dem Namen „Diakonie“ auf Arbeitssuche, für Julian. Die Diakonie wird fündig in einem Supermarkt, dort kann Julian als Regalbetreuer anfangen, und der Chef des Supermarktes ist voll des Lobes, er hatte noch nie so einen großartigen Regalbetreuer, der sich den Standort der Artikel und die Preise aller Artikel binnen kürzester Zeit merkte und so den Kunden eine große Hilfe ist. Hier wurde zuerst eine Krankheit zum Stolperstein, und hinterher gab es eine große Dankbarkeit, diesem tollen Jungen eine echte Chance geben zu dürfen und ihn mitsamt seiner Krankheit, ernst zu nehmen und seine Arbeit wertzuschätzen. Julian kann sich glücklich schätzen, denn er hat nicht nur seine Eltern als Rückhalt, nein, er hat auch die Diakonie hinter sich, die ihn fördert und unterstützt, wo es nur geht. Erst die Diakonie war imstande, Julian Ängste zu nehmen und ihm eine faire Entwicklung angedeihen zu lassen. Auch seine Eltern waren zunächst hilflos, deshalb wandten sie sich ja hilfesuchend an die Diakonie. Eine tolle Geschichte, die wahren Ursprungs ist.
Nimmt man nun einfach den „Vergleich“, Julian und unseren Martin her, wo beide krank sind, Julian als Autist und Martin ebenfalls schwer psychisch. Martin hat eine hochqualifizierte Ausbildung mit einem äußerst erfolgreich abgeleistetem IT-Studium, das ihn später nach Japan als Gamedesigner geführt hat. Martin war einige Jahre in Japan und hat dort erfolgreich Spiele programmiert. Martin wurde wegen seiner Krankheit aus der eigenen Familie verstoßen und hat seit Jahren niemanden mehr, der noch an ihn glaubt. Martin hat eine andere Vorgeschichte als Julian, aber beide haben in etwa den gleichen Leidensweg, beide sind schwer beeinträchtigt. An Julian glaubten zuerst die eigenen Eltern und dann die Diakonie, so konnte der Job gefunden werden in dem Julian aufging. Martin aber wurde von seiner Familie und von all den „Freunden“ im Stich gelassen. Martin ist vermutlich bei einigen Ampeln an seinen Lebenskreuzungen falsch abgebogen, das Schicksal meinte es nicht gut mit Martin. Wir, als Obdachlosenhilfsaktion glauben an Martin und wissen um seine Probleme, die ihm seine Krankheit beschert. Ein Vereinsmitglied von uns kaufte von privatem Geld 2019 für Martin einen Laptop, weil er sich damals wünschte, wieder als Gamedesigner tätig sein zu wollen. Es war die Zeit, wo wir für ihn die Arbeit in Schörfling besorgten und wo er brav fast 3 Monate bei einem Bootsbauer schwer arbeitete. Nur, dieser Bootsbauer konnte weder mit Martin noch mit seiner Krankheit umgehen und schrie Martin des Öfteren grundlos zusammen. Martin hielt diese Schreierei nicht mehr aus und ging damals ohne Abschied einfach weg aus Schörfling und wir suchten damals viele Monate nach ihm. Martin arbeitete in den wenigen freien Stunden, die er damals hatte, am Laptop und wollte sein Wissen wieder auffrischen und neu ausholen, für eine neue Chance in diesem Metier. Nur, dieser Bootsbauer war damals schuld daran, dass Martin diese Situation und diese hässliche Stimmung nicht mehr aushielt und wegrannte, und alles zurückließ, auch seinen Laptop. An Martin glaubte außerhalb unseres Vereins niemand, und deshalb vertraut er uns und deshalb erzählt er uns auch Dinge, die großes Vertrauen voraussetzen. Würde man Martin an der Hand nehmen und mit ihm zu einem Facharzt gehen, der ihm die richtigen Tabletten verschreibt, wäre Martin vermutlich bald schon wieder Steuerzahler. Aber nein, das macht leider niemand, Martin an der Hand nehmen und ihm die Tabletten besorgen, die er so dringend brauchen würde. Alleine an dieser Tatsache sieht man, dass Martin keine echte Chance bekommen wird. Wir setzen uns ein für Martin, egal was er braucht, er bekommt es. Aber was wir nicht können ist, mit ihm zu einem Facharzt gehen und ihm eine echte Chance anzubieten. Wir glauben an ihn, aber sonst niemand. An Julian glaubten wenigstens die eigenen Eltern und die Diakonie.
Ihr seht liebe Leute, 2 völlig verschiedene Menschen mit ähnlichem Schicksal, der eine (Julian) blüht auf und nutzt seine Chance als Regalbetreuer, und auf der anderen Seite unser Martin, hochqualifiziert und eigentlich chancenlos. Wir als Obdachlosenhilfsaktion.at können die Umstände abmildern, können Lebensmittel und Hygieneartikel anbieten, können warme Kleidung und warme Schlafsäcke an unsere Schützlinge ausgeben, aber was wir nicht können, weil wir es nicht gelernt haben, ist psychosoziale Hilfe anzubieten. Das ist nicht unser Wirkungskreis, davon verstehen wir auch nichts. Wir begegnen unseren Schützlingen wertschätzend, auf Augenhöhe, das Spüren alle und deshalb vertrauen sie uns. Es wäre anmaßend hier tatkräftig einzugreifen ohne professionelle Hilfe, das tun wir auch nicht, aber Martin hätte sich auch Menschen, die an ihn glauben und eine faire Chance verdient.
Es reicht eigentlich schon, vom sozialen Umfeld fallen gelassen zu werden, um in diese vernichtende Abwärtsspirale zu kommen. Ich sprach es schon ein paar Mal an, was als Ergebnis verbucht werden kann, wenn man Menschen, egal ob psych. kranke obdach- oder wohnungslose oder ein autistischer Junge Hoffnung gibt und ihnen die Hoffnung nimmt bzw. erst gar keine aufkommen lässt. Nimmt man diesen Menschen auch noch die letzte Hoffnung und lässt sie frieren und hungern, lässt sie leiden und verstößt sie, wird man genau das ernten, was in den letzten Wochen in Linz so offensichtlich wird. Beinahe sagt schon täglich jemand zu mir: „Ich mag nicht mehr, ich räume mich weg, ich halte es nicht mehr aus, ich mag nicht mehr leben“. Was bitte, was muss passiert sein, dass ein junger Mann mit knapp 30 Jahren so eine Aussage macht? Nein, ich möchte nicht daran glauben, dass auch er sich umbringt, weil ihm jede Hoffnung, jede Zukunft schon vorab genommen wird und er es alleine einfach nicht schaffen kann, aus dieser Spirale herauszukommen. Wir wurden und werden immer tätig werden, wenn wir erfahren, dass einer unserer Schützlinge Hilfe braucht und diese auch annimmt von uns, wir helfen so gut wir können und wo es wirklich dringend notwendig ist. Aber wie gesagt, wir haben keine adäquate Ausbildung, um solche großen Lücken zu schließen.
Nur weil Martin, und hier sei es gesagt, (es sind einige weitere Schützlinge genauso betroffen wie Martin, nur habe ich nun dieses Schicksal als „Vergleich“ benutzt), krank ist und wenig Hoffnung auf Gesundung hat, ihn deshalb zu vorverurteilen ist einfach weit unter der Gürtellinie der Menschlichkeit. Martin ist weder Alkoholiker noch drogensüchtig, das sei noch angemerkt. Viele der Menschen auf der Straße oder in den Einrichtungen warten auf eine Chance, doch nur für die wenigsten gibt es wirklich eine. Hätten die Eltern von Martin ähnlich den Eltern von Julian reagiert, wäre Martin niemals auf der Straße gelandet, als Obdachloser. Hätte sich nicht das ganze soziale Umfeld von Martin gegen ihn entschieden, er wäre einen ganz anderen Weg gegangen. Dieses an jemanden „glauben“ und ihn auch zu begleiten, das ist enorm wichtig für diesen Menschen. Woher sonst soll dieser Mensch seine „Bestätigung“ bekommen, geliebt, gebraucht, gemocht und geehrt zu werden? Wenn man Menschen fallen lässt, erreicht man genau das Gegenteil, man treibt Menschen dadurch von sich weg, verliert sein Vertrauen und alles wird noch schlimmer.
Zeigt man Menschen, die vom Leben ohnehin nicht sehr begünstigt sind, seine ausgestreckte Hand zur Hilfe, nehmen die meisten diese Hand auch dankend an, nur, das Tempo, in dem es „vorwärts“ geht, bestimmen immer die, die das Tempo der Gesellschaft aus vielen Gründen gar nicht mehr gehen können, weil sie Angst haben, einen der vielen Stolpersteine, die die Gesellschaft schon ausgelegt hat, zu übersehen. Warum muss man, wie es jetzt gerade wieder passiert bei uns, Menschen vor sich herjagen, Menschen beschimpfen und Menschen sogar als Tiere ansehen, weil sie wenig bis keine Chance bekamen in ihrem Leben? Warum bespuckt man sie rhetorisch? Warum beschimpft man sie täglich? Warum?
Jede/n, absolut jede/n kann es passieren, wegen Krankheit die Arbeit zu verlieren, aus der Kurzarbeit die Kündigung zu bekommen, wegen Insolvenz sein Obdach und sein Hab und Gut zu verlieren, und manche Menschen hat man schon als Kind vergessen, ihnen Hoffnungsvolle Wege aufzuzeigen. Was ist so schwer daran, ein Lächeln, eine freundliche Mimik und Gestik zu zeigen, wenn jemand um Hilfe bittet? Da gibt es tatsächlich Menschen, die dann unsere Schützlinge auch noch beschimpfen, wenn diese um Hilfe bitten. Kann man nicht einfach den Mund halten und einmal am Tag nichts Böses zu jemandem sagen, den man gar nicht kennt und der Hilfe braucht? Es gibt Plätze in Linz, wo unsere Schützlinge von Jugendlichen drangsaliert und verspottet werden. Martin meidet all diese Plätze, er lebt allein mitten im Wald, schläft am Boden in seinem 2 Mann Zelt und kuschelt sich in den warmen Schlafsack, den wir für ihn parat hielten. Martin hat keinen Zugang zum Gesundheitssystem, er bekommt auch keinerlei Leistung wie Sozialhilfe oder so, nein, er bekommt keinen Cent und lebt einzig von unseren Spenden. Martin ist ohne Tabletten „glücklich“ in SEINER Welt, weil er vermutlich auch schon vergessen hat, wie es im richtigen Leben, wo Tabletten vieles ins rechte Lot bringen, war. Martin hat, so glaube ich, keine Vergleiche mehr zu seinem früheren Leben, er ist in seiner Welt mit SEINEN Themen beschäftigt, die ihm niemand vorschreiben kann. Martin ist ein ruhiger Mann, dem man auch keine Hoffnung mehr schenkt. Ich bete zu Gott, dass er nie etwas tun oder sagen wird, was ihn wieder aus der Bahn wirft. Und dass er nochmal an so jemanden gelangt, der wieder nicht an ihn glaubt und dann Dinge sagen muss, die nicht wahr sind, nur um eine faire Chance zu bekommen.
Es kommt in Riesen Schritten die kalte Zeit auf uns zu, für die Menschen, die draußen in der Kälte schlafen müssen, ist es die schlimmste Zeit. Weihnachten kommt langsam, das Fest der Familie, wir machen auch heuer wieder am Heiligen Abend eine gemeinsame Weihnachtsfeier mit und für unsere obdach- und wohnungslose Menschen. Seit 4 Jahren machen wir das und es sind immer großartige Stunden, wenn die Menschen wie kleine Kinder ihr Weihnachtsgeschenk aufmachen, wenn das ganze Gesicht voller Überraschung und voller Freude ist, DAS liebe Leute, das ist es was uns wichtig ist. Freude und Hoffnung zu schenken, die Menschen in Gedanken zu umarmen, sie spüren es, deutlich! Sie spüren auch von uns, wie gern wir sie alle haben, wie wichtig sie uns alle sind und wir sagen es ihnen auch deutlich, wenn irgendetwas schief gegangen ist. ABER, wir machen es auf unsere Art, wertschätzend und nicht verurteilend, das braucht keiner unserer Besucher.
Es gibt viele Julians und viele Martins, wenn die Wege sich kreuzen, wäre es toll, ein Lächeln zu schenken, ein Lächeln und vielleicht ein freundliches Wort, Schimpfwörter hören sie jeden Tag, auf die kann jeder gerne verzichten. BITTE, liebe Leute und Weggefährten. Unser Verteil-Donnerstag ging in den Vorbereitungen wie üblich über die Bühne, heute Vormittag half uns Ulli bei den diversen Arbeiten, Barbara und ich stehen ohnehin jeden Donnerstagvormittag im Lager, um alles auf Schiene zu bekommen. Der Wettergott hat heute trockenes Wetter vorhergesagt, wobei dicke Regenwolken über Linz hängen. Wir fahren heute ohne Pavillons und ohne Hoffnung, unterm Dach stehen zu dürfen. Also ein oder mehrere Stoßgebete Richtung Himmel und daran glauben, dass es keinen Regen geben wird.
Um 15.10 Uhr fahren wir los von Ansfelden, in Linz angekommen bekomme ich schon leichtes Bauchweh beim Blick nach oben, aber was solls. Auspacken, aufstellen und loslegen. Danijel, der beste Freund von Matthias, der gestern zu Grabe getragen wurde mit 36 Jahren, brachte mir die versprochenen Sterbebilder für diejenigen vorbei, die nicht zum Begräbnis ins Mühlviertel fahren konnten und Matthias mochten und ihn „Freund“ nannten.
Bei Beginn um 16 Uhr waren erst wenige beim Bus, was sich schnell änderte. Binnen kurzer Zeit waren 30-40 Leute beim Bus und die Schlange riss lange nicht ab, die die gingen, wurden gleich wieder durch neue ersetzt. Heute waren einige Bedürftige beim Bus, die schon vor 2 Monaten versprachen einen Einkommensnachweis zu bringen, denen musste ich heute tief ins Gewissen reden, damit sie ihn wie alle anderen auch, bringen. Gleich zu Beginn kamen 3 wirklich aufdringliche Damen, die neue Schuhe und Jacken von uns forderten, die Lebensmittel forderten und uns dann noch auf Rumänisch beschimpften, als wir sagten, dass unsere Spenden hier ausschließlich für Obdachlose sind. Eine Dame in der Reihe kommunizierte mit einer der 3 rumänischen Damen, die mir aber erzählte sie sei Russin und wäre obdachlos. Sie hat weder Ausweis noch Einkommensnachweis, deshalb gaben wir keine Kleidung an sie aus, sondern lediglich Lebensmittel. Allein der Glaube fehlte mir, dass sie Russin ist, aber sie kann mich ja gerne nächste Woche mit einem alten AMS Bescheid, den sie noch zuhause hat, eines Besseren belehren. Manchen sehe ich es halt von Weitem an, dass sie mich belügen oder sagen wir, die Wahrheit ein wenig verdrehen. Aber das können und wollen wir nicht durchgehen lassen, weil Eure Spenden dorthin kommen müssen, wo sie wirklich dringend benötigt werden, und das haben wir Euch versprochen, dafür zu sorgen.
Sr. Lydia kommt gerade aus dem Krankenhaus, wo Petra liegt. Petra bat um Getränke und etwas Süßigkeiten, natürlich haben wir für Petra nach unendlich langen 5 Krankenhauswochen statt kalten Tees, Cola Zero und Fanta. Auch unser lang vermisster „Affi“ kam heute wieder zum Bus, er sieht endlich etwas besser aus und ich habe den Eindruck, er ist nüchtern und erholt, steht ihm echt gut, wenn man in der Vergangenheit oft sah, wie er kam und wie er wieder ging, oft so schief wie sein vor langer Zeit gebrochener Zeigefinger, den er mir manchmal liebevoll zeigt. Durch die Zeitumstellung wurde es heute ziemlich bald dunkel, wir sind noch nicht so fix, dass wir alles im Griff hätten, auf die neuen Umstände abgestimmt, aber nächste Woche gilt es. Als kurz vor Ende unseres Verteildonnerstags dann noch ein Schützling kommt, der mir erzählt, dass er morgen delogiert und somit obdachlos wird, weil er seit mehreren Monaten keine Miete bezahlte, weil ihm auch die Sozialhilfe gestrichen wurde aus unerklärlichen Gründen, konnte ich ihm nicht wirklich einen Tipp geben, was er noch tun kann, um die Delogierung abzuwenden. Er hat pure Angst vorm Leben auf der Straße, sagte er mir unter Tränen, er hat auch große Angst, was jetzt alles auf ihn zukommt, wenn es kalt und nass wird und er von einem Platz zum nächsten verjagt wird. Ich stehe heute da und weiß nicht mehr, was ich so einem Menschen für eine Hoffnung geben kann. Alles was ich hier sage, wäre nicht ehrlich, wäre unangemessen ihm gegenüber und deshalb schweige ich und fresse es in mich rein. Diese kommende Nacht wird eine schlaflose werden, zu viele Dinge sind heute und in den letzten Tagen passiert. Zu Guter Letzt kommt noch der Musikant von letzter Woche. Unsere Ingrid hat heute von Zuhause eine sehr schöne Gitarre mitgebracht, weil die Polizei dem obdachlosen Musiker die Gitarre weggenommen hat, bekommt er nun Ingrids Gitarre geschenkt. Dankend und lächelnd nahm er Ingrids Geschenk an und bestimmt beglückt er morgen schon jemanden mit seinen Künsten, die wir letzte Woche schon genossen haben.
Um kurz vor 18 Uhr begehen wir heute unseren „Feierabend“ und laden alles ein, machen uns so weit bereit, abzufahren in unser Lager. Dort angekommen wird wie blich alles ausgeladen und eingelagert, kurz noch ein wenig miteinander geredet, aber man merkt es allen an, der Tag heute war ein langer, war ein teilweise schwerer und trotzdem war es ein toller Tag, weil wir wieder vielen Menschen helfen konnten. Lieben Dank verehrte Spender/innen, dass wir auch heute wieder für die Ärmsten da sein durften und dass wir Eure Spenden nach Linz bringen durften. Vergelt’s Gott und habt großen Dank! Schön, dass es Euch gibt! Danke auch an unser heutiges Team, das wieder großartige Arbeit machte. 😊
Nimmt man nun einfach den „Vergleich“, Julian und unseren Martin her, wo beide krank sind, Julian als Autist und Martin ebenfalls schwer psychisch. Martin hat eine hochqualifizierte Ausbildung mit einem äußerst erfolgreich abgeleistetem IT-Studium, das ihn später nach Japan als Gamedesigner geführt hat. Martin war einige Jahre in Japan und hat dort erfolgreich Spiele programmiert. Martin wurde wegen seiner Krankheit aus der eigenen Familie verstoßen und hat seit Jahren niemanden mehr, der noch an ihn glaubt. Martin hat eine andere Vorgeschichte als Julian, aber beide haben in etwa den gleichen Leidensweg, beide sind schwer beeinträchtigt. An Julian glaubten zuerst die eigenen Eltern und dann die Diakonie, so konnte der Job gefunden werden in dem Julian aufging. Martin aber wurde von seiner Familie und von all den „Freunden“ im Stich gelassen. Martin ist vermutlich bei einigen Ampeln an seinen Lebenskreuzungen falsch abgebogen, das Schicksal meinte es nicht gut mit Martin. Wir, als Obdachlosenhilfsaktion glauben an Martin und wissen um seine Probleme, die ihm seine Krankheit beschert. Ein Vereinsmitglied von uns kaufte von privatem Geld 2019 für Martin einen Laptop, weil er sich damals wünschte, wieder als Gamedesigner tätig sein zu wollen. Es war die Zeit, wo wir für ihn die Arbeit in Schörfling besorgten und wo er brav fast 3 Monate bei einem Bootsbauer schwer arbeitete. Nur, dieser Bootsbauer konnte weder mit Martin noch mit seiner Krankheit umgehen und schrie Martin des Öfteren grundlos zusammen. Martin hielt diese Schreierei nicht mehr aus und ging damals ohne Abschied einfach weg aus Schörfling und wir suchten damals viele Monate nach ihm. Martin arbeitete in den wenigen freien Stunden, die er damals hatte, am Laptop und wollte sein Wissen wieder auffrischen und neu ausholen, für eine neue Chance in diesem Metier. Nur, dieser Bootsbauer war damals schuld daran, dass Martin diese Situation und diese hässliche Stimmung nicht mehr aushielt und wegrannte, und alles zurückließ, auch seinen Laptop. An Martin glaubte außerhalb unseres Vereins niemand, und deshalb vertraut er uns und deshalb erzählt er uns auch Dinge, die großes Vertrauen voraussetzen. Würde man Martin an der Hand nehmen und mit ihm zu einem Facharzt gehen, der ihm die richtigen Tabletten verschreibt, wäre Martin vermutlich bald schon wieder Steuerzahler. Aber nein, das macht leider niemand, Martin an der Hand nehmen und ihm die Tabletten besorgen, die er so dringend brauchen würde. Alleine an dieser Tatsache sieht man, dass Martin keine echte Chance bekommen wird. Wir setzen uns ein für Martin, egal was er braucht, er bekommt es. Aber was wir nicht können ist, mit ihm zu einem Facharzt gehen und ihm eine echte Chance anzubieten. Wir glauben an ihn, aber sonst niemand. An Julian glaubten wenigstens die eigenen Eltern und die Diakonie.
Ihr seht liebe Leute, 2 völlig verschiedene Menschen mit ähnlichem Schicksal, der eine (Julian) blüht auf und nutzt seine Chance als Regalbetreuer, und auf der anderen Seite unser Martin, hochqualifiziert und eigentlich chancenlos. Wir als Obdachlosenhilfsaktion.at können die Umstände abmildern, können Lebensmittel und Hygieneartikel anbieten, können warme Kleidung und warme Schlafsäcke an unsere Schützlinge ausgeben, aber was wir nicht können, weil wir es nicht gelernt haben, ist psychosoziale Hilfe anzubieten. Das ist nicht unser Wirkungskreis, davon verstehen wir auch nichts. Wir begegnen unseren Schützlingen wertschätzend, auf Augenhöhe, das Spüren alle und deshalb vertrauen sie uns. Es wäre anmaßend hier tatkräftig einzugreifen ohne professionelle Hilfe, das tun wir auch nicht, aber Martin hätte sich auch Menschen, die an ihn glauben und eine faire Chance verdient.
Es reicht eigentlich schon, vom sozialen Umfeld fallen gelassen zu werden, um in diese vernichtende Abwärtsspirale zu kommen. Ich sprach es schon ein paar Mal an, was als Ergebnis verbucht werden kann, wenn man Menschen, egal ob psych. kranke obdach- oder wohnungslose oder ein autistischer Junge Hoffnung gibt und ihnen die Hoffnung nimmt bzw. erst gar keine aufkommen lässt. Nimmt man diesen Menschen auch noch die letzte Hoffnung und lässt sie frieren und hungern, lässt sie leiden und verstößt sie, wird man genau das ernten, was in den letzten Wochen in Linz so offensichtlich wird. Beinahe sagt schon täglich jemand zu mir: „Ich mag nicht mehr, ich räume mich weg, ich halte es nicht mehr aus, ich mag nicht mehr leben“. Was bitte, was muss passiert sein, dass ein junger Mann mit knapp 30 Jahren so eine Aussage macht? Nein, ich möchte nicht daran glauben, dass auch er sich umbringt, weil ihm jede Hoffnung, jede Zukunft schon vorab genommen wird und er es alleine einfach nicht schaffen kann, aus dieser Spirale herauszukommen. Wir wurden und werden immer tätig werden, wenn wir erfahren, dass einer unserer Schützlinge Hilfe braucht und diese auch annimmt von uns, wir helfen so gut wir können und wo es wirklich dringend notwendig ist. Aber wie gesagt, wir haben keine adäquate Ausbildung, um solche großen Lücken zu schließen.
Nur weil Martin, und hier sei es gesagt, (es sind einige weitere Schützlinge genauso betroffen wie Martin, nur habe ich nun dieses Schicksal als „Vergleich“ benutzt), krank ist und wenig Hoffnung auf Gesundung hat, ihn deshalb zu vorverurteilen ist einfach weit unter der Gürtellinie der Menschlichkeit. Martin ist weder Alkoholiker noch drogensüchtig, das sei noch angemerkt. Viele der Menschen auf der Straße oder in den Einrichtungen warten auf eine Chance, doch nur für die wenigsten gibt es wirklich eine. Hätten die Eltern von Martin ähnlich den Eltern von Julian reagiert, wäre Martin niemals auf der Straße gelandet, als Obdachloser. Hätte sich nicht das ganze soziale Umfeld von Martin gegen ihn entschieden, er wäre einen ganz anderen Weg gegangen. Dieses an jemanden „glauben“ und ihn auch zu begleiten, das ist enorm wichtig für diesen Menschen. Woher sonst soll dieser Mensch seine „Bestätigung“ bekommen, geliebt, gebraucht, gemocht und geehrt zu werden? Wenn man Menschen fallen lässt, erreicht man genau das Gegenteil, man treibt Menschen dadurch von sich weg, verliert sein Vertrauen und alles wird noch schlimmer.
Zeigt man Menschen, die vom Leben ohnehin nicht sehr begünstigt sind, seine ausgestreckte Hand zur Hilfe, nehmen die meisten diese Hand auch dankend an, nur, das Tempo, in dem es „vorwärts“ geht, bestimmen immer die, die das Tempo der Gesellschaft aus vielen Gründen gar nicht mehr gehen können, weil sie Angst haben, einen der vielen Stolpersteine, die die Gesellschaft schon ausgelegt hat, zu übersehen. Warum muss man, wie es jetzt gerade wieder passiert bei uns, Menschen vor sich herjagen, Menschen beschimpfen und Menschen sogar als Tiere ansehen, weil sie wenig bis keine Chance bekamen in ihrem Leben? Warum bespuckt man sie rhetorisch? Warum beschimpft man sie täglich? Warum?
Jede/n, absolut jede/n kann es passieren, wegen Krankheit die Arbeit zu verlieren, aus der Kurzarbeit die Kündigung zu bekommen, wegen Insolvenz sein Obdach und sein Hab und Gut zu verlieren, und manche Menschen hat man schon als Kind vergessen, ihnen Hoffnungsvolle Wege aufzuzeigen. Was ist so schwer daran, ein Lächeln, eine freundliche Mimik und Gestik zu zeigen, wenn jemand um Hilfe bittet? Da gibt es tatsächlich Menschen, die dann unsere Schützlinge auch noch beschimpfen, wenn diese um Hilfe bitten. Kann man nicht einfach den Mund halten und einmal am Tag nichts Böses zu jemandem sagen, den man gar nicht kennt und der Hilfe braucht? Es gibt Plätze in Linz, wo unsere Schützlinge von Jugendlichen drangsaliert und verspottet werden. Martin meidet all diese Plätze, er lebt allein mitten im Wald, schläft am Boden in seinem 2 Mann Zelt und kuschelt sich in den warmen Schlafsack, den wir für ihn parat hielten. Martin hat keinen Zugang zum Gesundheitssystem, er bekommt auch keinerlei Leistung wie Sozialhilfe oder so, nein, er bekommt keinen Cent und lebt einzig von unseren Spenden. Martin ist ohne Tabletten „glücklich“ in SEINER Welt, weil er vermutlich auch schon vergessen hat, wie es im richtigen Leben, wo Tabletten vieles ins rechte Lot bringen, war. Martin hat, so glaube ich, keine Vergleiche mehr zu seinem früheren Leben, er ist in seiner Welt mit SEINEN Themen beschäftigt, die ihm niemand vorschreiben kann. Martin ist ein ruhiger Mann, dem man auch keine Hoffnung mehr schenkt. Ich bete zu Gott, dass er nie etwas tun oder sagen wird, was ihn wieder aus der Bahn wirft. Und dass er nochmal an so jemanden gelangt, der wieder nicht an ihn glaubt und dann Dinge sagen muss, die nicht wahr sind, nur um eine faire Chance zu bekommen.
Es kommt in Riesen Schritten die kalte Zeit auf uns zu, für die Menschen, die draußen in der Kälte schlafen müssen, ist es die schlimmste Zeit. Weihnachten kommt langsam, das Fest der Familie, wir machen auch heuer wieder am Heiligen Abend eine gemeinsame Weihnachtsfeier mit und für unsere obdach- und wohnungslose Menschen. Seit 4 Jahren machen wir das und es sind immer großartige Stunden, wenn die Menschen wie kleine Kinder ihr Weihnachtsgeschenk aufmachen, wenn das ganze Gesicht voller Überraschung und voller Freude ist, DAS liebe Leute, das ist es was uns wichtig ist. Freude und Hoffnung zu schenken, die Menschen in Gedanken zu umarmen, sie spüren es, deutlich! Sie spüren auch von uns, wie gern wir sie alle haben, wie wichtig sie uns alle sind und wir sagen es ihnen auch deutlich, wenn irgendetwas schief gegangen ist. ABER, wir machen es auf unsere Art, wertschätzend und nicht verurteilend, das braucht keiner unserer Besucher.
Es gibt viele Julians und viele Martins, wenn die Wege sich kreuzen, wäre es toll, ein Lächeln zu schenken, ein Lächeln und vielleicht ein freundliches Wort, Schimpfwörter hören sie jeden Tag, auf die kann jeder gerne verzichten. BITTE, liebe Leute und Weggefährten. Unser Verteil-Donnerstag ging in den Vorbereitungen wie üblich über die Bühne, heute Vormittag half uns Ulli bei den diversen Arbeiten, Barbara und ich stehen ohnehin jeden Donnerstagvormittag im Lager, um alles auf Schiene zu bekommen. Der Wettergott hat heute trockenes Wetter vorhergesagt, wobei dicke Regenwolken über Linz hängen. Wir fahren heute ohne Pavillons und ohne Hoffnung, unterm Dach stehen zu dürfen. Also ein oder mehrere Stoßgebete Richtung Himmel und daran glauben, dass es keinen Regen geben wird.
Um 15.10 Uhr fahren wir los von Ansfelden, in Linz angekommen bekomme ich schon leichtes Bauchweh beim Blick nach oben, aber was solls. Auspacken, aufstellen und loslegen. Danijel, der beste Freund von Matthias, der gestern zu Grabe getragen wurde mit 36 Jahren, brachte mir die versprochenen Sterbebilder für diejenigen vorbei, die nicht zum Begräbnis ins Mühlviertel fahren konnten und Matthias mochten und ihn „Freund“ nannten.
Bei Beginn um 16 Uhr waren erst wenige beim Bus, was sich schnell änderte. Binnen kurzer Zeit waren 30-40 Leute beim Bus und die Schlange riss lange nicht ab, die die gingen, wurden gleich wieder durch neue ersetzt. Heute waren einige Bedürftige beim Bus, die schon vor 2 Monaten versprachen einen Einkommensnachweis zu bringen, denen musste ich heute tief ins Gewissen reden, damit sie ihn wie alle anderen auch, bringen. Gleich zu Beginn kamen 3 wirklich aufdringliche Damen, die neue Schuhe und Jacken von uns forderten, die Lebensmittel forderten und uns dann noch auf Rumänisch beschimpften, als wir sagten, dass unsere Spenden hier ausschließlich für Obdachlose sind. Eine Dame in der Reihe kommunizierte mit einer der 3 rumänischen Damen, die mir aber erzählte sie sei Russin und wäre obdachlos. Sie hat weder Ausweis noch Einkommensnachweis, deshalb gaben wir keine Kleidung an sie aus, sondern lediglich Lebensmittel. Allein der Glaube fehlte mir, dass sie Russin ist, aber sie kann mich ja gerne nächste Woche mit einem alten AMS Bescheid, den sie noch zuhause hat, eines Besseren belehren. Manchen sehe ich es halt von Weitem an, dass sie mich belügen oder sagen wir, die Wahrheit ein wenig verdrehen. Aber das können und wollen wir nicht durchgehen lassen, weil Eure Spenden dorthin kommen müssen, wo sie wirklich dringend benötigt werden, und das haben wir Euch versprochen, dafür zu sorgen.
Sr. Lydia kommt gerade aus dem Krankenhaus, wo Petra liegt. Petra bat um Getränke und etwas Süßigkeiten, natürlich haben wir für Petra nach unendlich langen 5 Krankenhauswochen statt kalten Tees, Cola Zero und Fanta. Auch unser lang vermisster „Affi“ kam heute wieder zum Bus, er sieht endlich etwas besser aus und ich habe den Eindruck, er ist nüchtern und erholt, steht ihm echt gut, wenn man in der Vergangenheit oft sah, wie er kam und wie er wieder ging, oft so schief wie sein vor langer Zeit gebrochener Zeigefinger, den er mir manchmal liebevoll zeigt. Durch die Zeitumstellung wurde es heute ziemlich bald dunkel, wir sind noch nicht so fix, dass wir alles im Griff hätten, auf die neuen Umstände abgestimmt, aber nächste Woche gilt es. Als kurz vor Ende unseres Verteildonnerstags dann noch ein Schützling kommt, der mir erzählt, dass er morgen delogiert und somit obdachlos wird, weil er seit mehreren Monaten keine Miete bezahlte, weil ihm auch die Sozialhilfe gestrichen wurde aus unerklärlichen Gründen, konnte ich ihm nicht wirklich einen Tipp geben, was er noch tun kann, um die Delogierung abzuwenden. Er hat pure Angst vorm Leben auf der Straße, sagte er mir unter Tränen, er hat auch große Angst, was jetzt alles auf ihn zukommt, wenn es kalt und nass wird und er von einem Platz zum nächsten verjagt wird. Ich stehe heute da und weiß nicht mehr, was ich so einem Menschen für eine Hoffnung geben kann. Alles was ich hier sage, wäre nicht ehrlich, wäre unangemessen ihm gegenüber und deshalb schweige ich und fresse es in mich rein. Diese kommende Nacht wird eine schlaflose werden, zu viele Dinge sind heute und in den letzten Tagen passiert. Zu Guter Letzt kommt noch der Musikant von letzter Woche. Unsere Ingrid hat heute von Zuhause eine sehr schöne Gitarre mitgebracht, weil die Polizei dem obdachlosen Musiker die Gitarre weggenommen hat, bekommt er nun Ingrids Gitarre geschenkt. Dankend und lächelnd nahm er Ingrids Geschenk an und bestimmt beglückt er morgen schon jemanden mit seinen Künsten, die wir letzte Woche schon genossen haben.
Um kurz vor 18 Uhr begehen wir heute unseren „Feierabend“ und laden alles ein, machen uns so weit bereit, abzufahren in unser Lager. Dort angekommen wird wie blich alles ausgeladen und eingelagert, kurz noch ein wenig miteinander geredet, aber man merkt es allen an, der Tag heute war ein langer, war ein teilweise schwerer und trotzdem war es ein toller Tag, weil wir wieder vielen Menschen helfen konnten. Lieben Dank verehrte Spender/innen, dass wir auch heute wieder für die Ärmsten da sein durften und dass wir Eure Spenden nach Linz bringen durften. Vergelt’s Gott und habt großen Dank! Schön, dass es Euch gibt! Danke auch an unser heutiges Team, das wieder großartige Arbeit machte. 😊