Ein ereignisreicher, aber auch trauriger Tag!
Verteil-Donnerstag vom 25.3.2021: Seit Wochen befinden wir uns Vereinsmäßig im Ausnahmezustand, Lagerumstrukturierung, Inventur und viele kleine Umlagerungsaktionen, der Umfang dieser ganzen Tätigkeiten ist so enorm, dass wir alle froh sind, wenn wir hoffentlich kommendes Wochenende alles abschließen können.
An diesem kommenden 3. Wochenende in Folge der ganzen Lagerarbeiten bringen wir hoffentlich die Inventur unter Dach und Fach, das wäre am wichtigsten. Wenn da draußen jemand Lust und Laune hat, am kommenden Samstag bei der Inventur mitzuhelfen, jede helfende Hand ist herzlich willkommen. Neben Lagerarbeit und Spendenabholungen gab es außerdem noch viel arbeitstechnisches Nebengeräusch das ich normalerweise nicht erwähne. Alleine die Linz-Touren zu den Hotspots brauchen Vorlaufzeit, alles muss kommissioniert und eingeladen werden, um dann 4...5…6 Stunden auf den nächtlichen Linzer Straßen zu den einzelnen Hotspots unterwegs zu sein. Vergangenen Dienstag waren wir wieder unterwegs, Beate und ich, in einem separaten Posting wurde schon erzählt was alles geschah.Diese Touren sind jedes Mal einzigartig, weil man wirklich deutlich sieht, wie unsere Schützlinge die Nacht im Freien in zum Teil widrigsten Verhältnissen verbringen müssen. Die Gespräche und Treffen bei unseren nächtlichen Touren liebe ich zutiefst, weil hier niemand etwas schönredet, alle sehr dankbar sind und ich froh bin wenn ich unsere Schützlinge versorgt weiß. Manchmal wird über Nacht ein Schlafsack kaputt, der Reißverschluss gibt den Geist auf oder irgendein anderes Missgeschick und dann brauchen die Leute einen anderen Schlafsack. Den bringen wir dann mit.
Liebe Leute, das größte Problem beim Leben auf der Straße aber ist, dass unsere Schützlinge tagsüber die Sachen wie Schlafsack, Isomatte und alle anderen Sachen, irgendwo bunkern müssen, irgendwo verstecken müssen, weil sie die ganzen Sachen gar nicht den Tag über mitschleppen könnten. Deshalb werden die Sachen irgendwo in einer Ecke bis zum Abend gelagert, und meistens ist es so, dass am Abend die letzten Habseligkeiten verschwunden oder einfach von jemanden entsorgt wurden. Oft werden hier nicht nur Schlafsack und Isomatte entsorgt, sondern auch oft der hinterlegte Rucksack mit den Papieren. Ja, man sollte die Papiere immer dabeihaben, das wissen wir alle, nur beim Leben auf der Straße ist der ganze Tag ein Stressfaktor, in diesem Stress vergessen viele die Papiere aus dem Rucksack zu nehmen, und so verlieren viele ihre Papiere wie Reisepass, Ausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis, Geburtsurkunde usw..
Das Leben auf der Straße verlangt all unseren Schützlingen Hochleistung ab. Ja, Hochleistung, weil es viele in der Notschlafstelle nicht einmal bis zum Eingang schaffen ohne Alkohol, und Alkohol ist dort absolut verboten, verständlicherweise. Aber für jemanden der auch bei -10° auf der Straße leben muss, ist der Alkohol ein Freund, der ihm hilft das rundherum erträglicher zu erleben und auch nicht im Minutentakt seine Situation hinterfragen muss, das macht den Menschen kaputt. Über die eigene Situation nachdenken zu müssen, und keinerlei Lösung im Blickfeld zu haben oder keine echte 2. Chance zu bekommen, das liebe Leute, macht Menschen kaputt, lässt sie noch tiefer in die Flasche schauen. ABER, wir haben viele Schützlinge die absolut gar nichts mit Alkohol oder Drogen am Hut haben, die nüchtern ihre Situation ertragen müssen und ebenfalls keine Lösung vor Augen haben.
Wir haben Ingenieure, Doktoren und Akademiker auf der Straße, unter den Obdach- oder Wohnungslosen, die kein Bein mehr ins Leben bekommen, aus den verschiedensten Gründen, und nicht immer sind unsere Schützlinge selbst schuld. Oft spielt das Leben schon absurd mit. Grausame Schicksale sind an der Tagesordnung, manchmal von Menschen gemacht, manchmal vom Schicksal geschickt und vom alten Herrn da droben übersehen. Das was wir heute erfahren haben, darf…kann…will ich nicht erzählen hier, aber es ist eines der grausamsten Dinge die ich in meinem Leben gehört habe. Mich schaudert es jetzt noch, wenn ich nur daran denke. Und um die Frau um die es geht, wussten wir bis vor kurzem so gut wie gar nichts. Keine Einzelheiten, und schon gar nicht was hier vorgefallen ist.
Hier muss ich auch gestehen, diese Frau durch ihr Schweigen, völlig falsch eingeschätzt zu haben, was mir heute so sehr leidtut, was mir weh tut, weil ich Vorurteile hatte ohne zu wissen, was wirklich der Grund ist für ihre Armut. Liebe Leute, bitte verzeiht aber ich kann nicht schreiben um was es im Detail geht, keine Ahnung ob ich das je kann. Jedenfalls tut es ganz tief drinnen sehr, sehr weh, auch, dass ich hier einem Vorurteil aufgesessen bin. Die Gründe sind vielfältig, warum Menschen obdach- oder wohnungslos werden, viele Versäumnisse lassen sich auch nicht wieder weg reden, schönreden, verheimlichen. Ich habe viele Schicksale gehört, viele Fehler von Menschen eingestanden bekommen, habe auch viele willkürliche Aktionen von Behörden gehört, die man eigentlich nicht glauben möchte, und doch sind sie wahr. Die Gründe für die Obdachlosigkeit sind so vielfältig wie all unsere Schützlinge, jede/r Einzelne hat eine eigene Geschichte und Gründe, warum er/sie so abgestürzt ist. Aber deswegen diese Menschen zu beschimpfen wie es so oft passiert, ist genauso daneben wie den Menschen Faulheit, Abzocke oder gar Böseres vorzuwerfen. Ich mache diese Aktion die 7. Wintersaison, und es gab noch nie eine Saison wie die laufende, und glaubt mir eines liebe Leute, NIEMAND ist sicher vor einem Absturz, vor Obdach- oder Wohnungslosigkeit, absolut niemand, es kann JEDE/N treffen.
Krankheit, Scheidung, Arbeitslosigkeit, kein Geld mehr für Miete, Betriebskosten, und wenn hinter einem Menschen das soziale Netz wie Familie oder Freunde wegbricht, man keine Anlaufstelle mehr hat für Hilfe, dann findet man sich im freien Fall wieder. Und das geht manchmal ziemlich schnell, leider. Wenn dann niemand da ist der einen auffängt, niemand da ist der dir wieder auf die Beine hilft, dann schaffen es die wenigsten wieder auf die Beine. Da draußen gibt es viele Menschen, die wollen nicht auf der Straße schlafen, wollen nicht in der Kälte bei -10° leiden, wollen sich nicht täglich beschimpfen lassen, wollen ihr Recht auf Leben nicht verwirkt sehen. Durch irgendwelche Umstände oder durch psych. Krankheiten/Einschränkungen können die wenigsten ihre Situation analysieren oder einschätzen, geschweige denn ändern. Sie alle brauchen Hilfe, in vielerlei Form. Es passiert ja schon vieles in Linz, aber bei weitem nicht alles. Viele Situationen werden durch das bestehende System der Obdachlosenhilfe einfach zu wenig oder gar nicht abgedeckt. Es gäbe viele Punkte abzuarbeiten, ehe man sich als verantwortungsvoller Linzer Politiker zurücklehnen könnte, manchmal habe ich das Gefühl, dass Hilfe in vielen Richtungen erst gar nicht in Frage kommt. Das liebe Leute, tut mir richtig weh. Es könnten gewaltige Synergien geschlossen werden um auf diese Weise das Beste für all die Obdach- und Wohnungslosen auf die Beine zu stellen, lediglich das Interesse fehlt.
Wir als Obdachlosenhilfsaktion erweitern unsere Aktion jede Woche um weitere Hilfe für Schicksale, die es eigentlich nicht geben dürfte. Der Volksmund sagt immer, Zitat: „Österreich hat so ein dichtes soziales Netz, da fällt keiner durch“. Von Wegen, das soziale Netz bei uns ist so löchrig wie der berühmte Schweizer Käse und es ist nicht abzusehen, dass diese Löcher gestopft werden.
So kam es diese Woche für uns zu einem sehr schönen Abschluss, dass wir Dominic seine dringend notwendigen Tabletten besorgen konnten, heute beim Bus war deutlich zu sehen, wie ausgeglichen er ist, wie notwendig unsere Aktion war. Wir sind überglücklich. Und für unsere tägliche Tablettenabgabe an Dominic fanden wir Sarah, die sich künftig um alle Belange um Dominic kümmert, sie begleitet ihn zum Arzt um ein Folgerezept zu bekommen, macht alles um Dominic ein erträgliches Dasein zu ermöglichen. Danke dafür liebe Sarah. Die ersten Schritte sind gemacht, er hat vollstes Vertrauen zu Sarah und zu uns, das tut gut, nur dann können wir auch effektiv helfen.
Die ganzen Vorbereitungen für unseren Donnerstag heute liefen wie immer. Heute früh wieder Einkauf holen, Brot und Gebäck aus Haid. Ingrid und Barbara kamen heute schon früh ins Lager um die Inventur der Kleidung fertig zu machen, daneben machten Ulli, Petra und ich die Kontrolle der Lebensmittel. Um 15.15 Uhr bei strahlendem Sonnenschein fuhren wir Richtung Linz, bei Sonne und +14°, gottseidank endlich ein halbwegs warmer Tag. Bei Ankunft warten schon etwa 15 Schützlinge auf uns, den Mädels Bus (von Barbara Pronto Pronto) mit dem Gebäck im Heck steuerte heute Ulli, sie lenkte und bremste bravourös, zwischendurch hatte ich Angst ob ihrer Gäste im Auto, aber sie machte das wirklich großartig! J Ich weiß nicht ob es an ihrer Beifahrerin Petra lag, dass alles so gut ging? Egal, gut angekommen ist die Hauptsache, gelle liebe Ulli?
Gleich zu Beginn des heutigen Verteil-donnerstags kam Hr. S. von der ÖBB, ich freue mich immer ihn zu sehen, er und sein Kollege ermöglichen uns unsere Aktion an diesem Platz. Vergelt’s Gott und hab großen Dank. Ich erzählte ihm vom Vorfall von letzter Woche, er nahm es gelassen, was meine Steine in meiner Brust schmelzen ließen. Huch! Gleich zu Beginn kam eine Dame von der Sozialen Initiative, mit der wir schon oft kooperierten, sie würde dringend für einen jungen Mühlviertler Schützling, der ab kommenden Montag bei einer Tischlerei schnuppern darf und nur Leinenschuhe hat, stabile Schuhe in Größe 47/48 brauchen, eine Arbeitshose und andere Sachen. Wir vereinbaren, dass sie kommenden Samstagvormittag bei unserer Spendenannahme zu uns ins Lager kommt und sich dort die Sachen für den jungen Mann abholt. Sie ist glücklich, weil sie nicht weiß wo sie sonst um derart gelagerte Hilfe ersuchen könnte. Wir helfen gerne und direkt, das ist uns wichtig. Zwischendurch kommt ein Pärchen die aus der professionellen Bettlerszene kommen, hier dürfen wir nach Weisung des LKA OÖ gar nicht helfen, was wir auch nicht beabsichtigen, zu tun. Ich muss mich dafür wieder einmal auf Rumänisch beschimpfen lassen, was aber weiter kein Problem ist.
Insgesamt kommen heute 91 Schützlinge zu uns, fast kein Verteil-Donnerstag mehr unter 90 Menschen, Wahnsinn. Nicht nur diese Anzahl an hilfesuchenden Menschen, sondern für uns auch eine echte finanzielle und organisatorische sowie logistische Competition, die jeden Donnerstagabend aufs Neue losgeht. Alles wieder zeitgerecht abrufbereit zu haben, ist ja kein Kindergeburtstag, sondern harte Arbeit, die wir gerne machen, Woche für Woche. A. (die Frau aus Hallein) kommt heute auch zum Bus, sie hat erfreuliche Neuigkeiten, sie darf, so wir ein Stockbett auftreiben können, ihre Kinder bei sich über Nacht behalten, was ein absoluter Fortschritt ist und ihr ein Dauerlächeln entlockt. Vielleicht gibt es ja jemanden da draußen der/die ein altes Stockbett überhat und es A. spenden würde. Wäre toll. Auch Andy ist heute beim Bus, er braucht Lebensmittel und hat keine guten Neuigkeiten, es wurde ihm aus unerklärlichen Gründen das AMS Geld gestrichen, wir wissen noch nicht, was der Grund war, weil Andy alle Auflagen erfüllte. Ich werde das in den nächsten Tagen abklären.
Auch Oliver war heute wieder da, ich freue mich sehr, wenn ich ihn sehe, er muss zum 1.4. aus der Notschlafstelle ausziehen, warum verstehe ich nicht ganz, aber naja. Auch Melanie kommt zu uns, auch über ihren Besuch freue ich mich sehr, sie hat ein Zimmer in einem Gasthaus und würde sich einen Stand-Kühlschrank wünschen, den darf sie im Zimmer aufstellen, es wäre großartig wenn auch hier eventuell jemand von Euch helfen könnte, bitte danke liebe Leute! Die anhaltend hohen Besucherzahlen bei unserem Bus jede Woche, machen mir etwas Angst, viele Menschen wissen nicht mehr wie sie alles zahlen sollen, Miete, Betriebskosten, Strom usw., vielen steht die nackte Angst im Gesicht und ich frage mich im Minutentakt, was grade abgeht, was grade passiert, dass so viele Menschen ohne jede Hoffnung sind. Ich verspreche, wir werden solange wir die Mittel dafür haben, direkt helfen, so helfen, dass die Hilfe direkt ankommt. Das ist uns wichtig.
Gegen 18.30 Uhr, eine halbe Stunde nach unserer offiziellen „Sperrstunde“ schließen wir heute die Türen und fahren Richtung Lager Ansfelden. Es war wieder ein ereignisreicher Tag, es bleibt ein gutes Gefühl vielen Menschen wieder geholfen zu haben. Dank EURER Hilfe! Angekommen im Lager kommt mir Gerlindes Lächeln entgegen „Wir sind fertig geworden, mit der gesamten Inventur im Kleiderlager“, wow, unser Team macht echt großartige Arbeit, während wir in Linz waren und Lebensmittel verteilten, arbeiteten Gerlinde und Barbara im Lager an der Inventur, ist das nicht klasse? Wahnsinn, vielen Dank Euch Beiden. Zum Schluss kommt das Gespräch noch auf die Frau, von deren Schicksal wir heute erfuhren, alle waren entrüstet, geschockt und sprachlos.
So gehe auch ich heute in die Nacht, aber nicht ohne Euch DANKE und VERGELT’S GOTT zu sagen. Danke für Eure Treue, Eure Loyalität und Eure Unterstützung. Einen großen Dank auch an unser gesamtes Team von heute, DANKESCHÖN! In meinem Kopfhörer läuft ein Uraltschinken der mir hilft, die arme Frau kurz zu „vergessen“. Irgendwie habe ich vor den Bildern die mich heute Nacht begleiten werden, Respekt! Danke und gute Nacht! Schön dass es Euch gibt! 🙂 <3