Tränen und Emotionen am Heiligen Abend!
Stille Nacht, heilige Nacht,
Alles schläft, einsam wacht!
Unser Dienst am Heiligen Abend, unsere Linz-Tour zu den Hot Spots, war alles andere als still und ruhig. Normalerweise feiern wir den heiligen Abend mit unseren Schützlingen im Veranstaltungsraum des Vereins „Miteinander“, das aber leider auch heuer, so wie letztes Jahr, Coronabedingt ausfallen musste. Bei den Weihnachtsfeiern gibt es Weihnachtsmusik, tolle Speisen, Getränke, Eure Weihnachtsgeschenke werden verteilt und es war immer eine schöne, weihnachtliche Stimmung von 16 Uhr bis 22 Uhr. Es kamen immer so zwischen 30 und 50 Schützlinge, die sich pudelwohl fühlten bei unserer Weihnachtsfeier. Coronabedingt entfällt diese Feier heuer zum 2.Mal, wir wollen aber unsere Schützlinge an diesem Abend aber nicht alleine lassen, und so fahren wir die Linz-Tour und haben einige Specials mit sowie viele Weihnachtsgeschenke und Überraschungen. Meine Begleiterin ist heute Sonja, die sich gerne anschauen möchte, was wir wie machen.
Ich bin um 12 Uhr mittags im Lager und stelle alles zusammen, damit ich es später leichter habe beim Einladen. Aber zuerst richte ich mir eine Palette mit dem Hochhubwagen her, wo ich den riesigen Topf mit dem Rest der Gulaschsuppe, die unser Markus für den Verteil-Donnerstag kochte, draufstelle und aufwärme. Hockerkocher und Gasflasche sind angeschlossen, es kann losgehen. Mit Gas habe ich etwas Erfahrung, darum lasse ich weder die Gasflasche noch den Topf aus den Augen. Im Nu ist die Gulaschsuppe heiß, alles abdrehen, und ich räume diverse Sachen im Lager, die den Weg versperren, noch auf und manche auch weg. Ich schaue mir die Boxen für unsere Linz-Tour noch an, ob etwas fehlt, zähle die Geschenke ab und räume die beiden Taschen mit der gewünschten Kleidung weg, da wir sie separat aufbewahren müssen. Für Peter habe ich eine Jean dabei und für Florian warme Handschuhe, lange Unterwäsche, 3 Paar selbst gestrickte Socken. Alles Vollständig. Alles Einladen und Platz im Transporter sparen, da wir heute viele Geschenke mithaben und die brauchen viel Platz. Zuerst die Boxen mit den Lebensmitteln, der Hygiene und der Kleidung, dann die Boxen mit den Schuhen, den Gaskochern und Kartuschen, warme Decken, warme Winter-Schlafsäcke und zum Schluss noch all die warmen Winterjacken aufhängen. Als ich fast fertig bin mit einladen, kommt meine heutige Begleiterin Sonja mit belegten Brötchen und Semmel für die Gulaschsuppe, die sie beisteuert. Recht lieben Dank Sonja, dafür!
Um 14.30 Uhr ist der Transporter geladen, also kann es losgehen, ich habe unseren Schützlingen wissen lassen, dass wir um 15 Uhr am Terminal sein werden. Abfahrt bei strömendem Regen in Ansfelden, wir beginnen auch heute unsere Linz-Tour im Schillerpark. Alles leer und weiter zum Volksgarten treffen wir Peter bei der Bushaltestelle, der gerade auf dem Weg zum Terminal ist. Wir gehen eine Runde im Volksgarten, auch hier niemand anzutreffen bei diesem Wetter.
Also auf zum Terminal, wo wir wie immer bei Gaby parken und schon von Weitem sehen, was sich hier abspielt. Wahnsinn wie viele unserer Schützlinge hier sind. Die Begrüßung fällt herzlich aus, zuerst einmal uns umhören was uns die Menschen zu berichten haben. Im Nu ist eine Traube von etwa 12…13 Schützlinge um unseren Transporter. Dass im Mittelstreifen des Terminals nochmal locker so viel stehen, sehe ich erst beim 3. Nachblick. Zuerst gibt Sonja die Gulaschsuppe aus, die leider schon bei der Hälfte der Bedürftigen zu Ende geht. Mit so vielen Obdachlosen am Terminal habe ich heute nicht gerechnet, wenn ich ehrlich bin. Während Sonja die Suppe mit Semmel und die mitgebrachten Brötchen ausgibt, kümmere ich mich um die anderen Sachen, die unsere Schützlinge brauchen.
Ich packe verschiedene Sachen in ein Sackerl und sehe Markus stehen, den ich dringend brauche und ihm das auch gleich mitteile. Markus hat wieder Tränen in den Augen und er deutet mir aus der hintersten Reihe, dass er warten wird und dass es ihm gar nicht gut geht. Die ersten denen wir die vollgepackten Taschen geben, überreichen wir auch gleich die Weihnachtsgeschenke. Wenn man das selbst nicht gesehen hat, glaubt man es kaum wie die Augen unserer Schützlinge vor Freude glänzen, und wie oft sie sich bedanken, für den ganzen Dienst, den wir für sie machen, wieder kommen Aussagen wie z.B.: „Gäbe es Euch nicht, gäbe es auch viele von uns schon lange nicht mehr.“
Unsere Linz-Tour heute ist voller Emotionen, ist voller Tränen, voller Dankbarkeit. Abwechselnd übergeben Sonja und ich die Weihnachtsgeschenke, ich habe Gänsehaut am ganzen Körper ob der vielen schönen Bekundungen und das ganze Lob. Wir aber sind heute hier, um diejenigen zu versorgen, die vom Leben nicht mehr viel zu erwarten haben, weil man ihnen permanent die Hoffnung nimmt und sie der 2., der 3. Chance mit unwahren Behauptungen oder Willkür beraubt. Wenn jemand behauptet, dass sich viele nicht helfen lassen wollen, dem schreibe ich gerne ins Stammbuch, dass in den 8 Jahren, in denen ich unsere Aktion nun schon mache, noch nie jemand zu uns sagte: „Ich bin gerne auf der Straße und möchte hier bleiben“. Noch nie sagte jemand so etwas zu uns. JEDE/R lässt sich helfen, nur, sie alle brauchen Hilfe, die auf sie zugeschnitten ist. Jeder Mensch ist individuell und muss auch so gesehen und betreut werden.
Heute aber hier am Terminal, so hoffte ich nach den Emotionen vom letzten Samstag auf unserer Linz-Tour, sind alle vollzählig und keiner beging Suizid, wie angekündigt. GOTTSEIDANK! Auch Elmar, der Ingenieur, besucht uns heute beim Bus, er fehlte mir schon sehr und schon lange. Er setzt sich auf den kalten Asphalt und Sonja reicht ihm eine Gulaschsuppe und Semmeln, direkt vor der Seitentür unseres Busses, so dass ich ihn immer im Blickfeld habe. Christopher kommt auch, setzt sich ebenfalls auf den eiskalten Boden und isst mit großem Appetit seine Gulaschsuppe. Schön anzusehen, einige hätten gerne auch eine Tasse von unserem mitgebrachten Tee, den sie mittlerweile lieben. Heute haben wir 2 große Kannen mit, aber was ich auch bald merke, heute sind Lebensmittel und Hygieneartikel das eine, das Gespräch und die Geschenke das andere. Sie alle brauchen heute persönliche Ansprache und Gespräche, brauchen aufmunternde Worte und brauchen dringend Hoffnung, viele junge Menschen verzweifeln am Umgang mit ihnen. Wenn jemand nichts mit unseren Schützlingen gemein hat, ist ok, aber dann sollen diese Menschen unsere Schützlinge wenigstens nicht beschimpfen, darum würde ich gerne bitten. Geprügelten Menschen auch noch zu sagen was man so hält von ihnen, ist schon unter aller Kanone. Unseren wertschätzenden Umgang mit ihnen spüren sie deutlich und haben deshalb auch Vertrauen zu uns, was auch nicht selbstverständlich ist. Die meisten erzählen uns aus freien Stücken ihre Geschichte, ihr Leiden, ihr Schicksal. Für uns ein wunderschöner Vertrauensbeweis, den wir niemals missbrauchen werden.
Sonja fühlt sich wohl und saugt jede Situation auf, hört den Menschen zu und sieht welch großartige Menschen sie sind, unsere Schützlinge. Als die Gulaschsuppe leer war und alle Taschen füllten gaben wir noch die Weihnachtsgeschenke an die restlichen Schützlinge aus. Sonja drückt Markus das Weihnachtsgeschenk in die Hand, wieder spiegelt sich Markus‘ Hoffnungslosigkeit in seinen Augen, seiner Mimik, ich werde ihm nachher noch eine schöne Nachricht sagen können. Aber vorher geben wir noch alle Geschenke aus. Die Danksagungen verhallen nicht ungehört, kommen von allen Seiten und sind wirklich herzergreifend. Ich nehme Markus in den Arm und gehe ein paar schritte weg von all den anderen und sage ihm, dass ein Spender eventuell seine Strafe über € 1600,- bezahlen würde, damit er nicht für 15 Monate in Haft muss. Er fällt mir um den Hals, er zittert am ganzen Körper: „Wir müssen mit der Frau Müller in München telefonieren, die ist für mich zuständig“, sagt Markus. Ich vereinbare mit ihm, dass ich kommenden Montag, also morgen ins Terminal komme und wir gemeinsam mit der Frau Müller telefonieren werden, um diese Situation abzuwenden. Er kann kaum seine Zigarette halten so zittert er, ich nehme ihn in den Arm und sage ihm, dass wir das Schaffen und er keinesfalls aufgeben darf. „I reiß mi zusammen, versprochen“, meinte Markus noch ehe er voller Freude sein Weihnachtsgeschenk öffnet. Zigaretten und ein Einkaufsgutschein über € 15,- sowie Schokolade und Süßes kommen zum Vorschein: „Nervenfutter, das kann ich gut brauchen“ merkt er noch an. Sonja und ich sind ergriffen von der Situation, von den Aussagen und Bekundungen, wir rufen noch alle zusammen, um ein Foto zu machen.
Anschließend gehen wir in die Mittelreihe am Terminal, wo auch Meikel liegt, den ich schon vermisste. Meikel wünscht uns frohe Weihnachten und in seinen Augen steht geschrieben, wie schlecht es ihm geht, ich befürchte das Schlimmste für Meikel. Ich sag ihm das auch und er meint nur: „Na dann ist es halt vorbei, ich habe eh nichts mehr zu erwarten von diesem Leben“, sagt ein 37-jähriger Mann, dem man systematisch die Hoffnung genommen hat.
Vor ein paar Monaten erst haben wir Matthias verloren, weil man auch ihm jede noch so kleine Hoffnung nahm und er keine kraft mehr hatte, zu leben. Wann, wann lernen endlich einmal diejenigen dazu, die verantwortlich sind, für solche Vorgänge. Warum muss man immer wieder Obdachlose niedermachen und sie so behandeln, wie z.B. am letzten Donnerstag der Polizist, der A. neben mir wie seinen Rotzjungen behandelte. Einem alten Mann, der wegen seiner schlechten Füße nicht so schnell auf die Toilette gehen kann (und deshalb zum Baum uriniert) und wegen seiner Rückenprobleme gebeugt vor dem „Herrn“ Polizisten steht, zu sagen, dass er sich gefälligst aufzurichten hat, wenn der Herr Polizist mit ihm redet, ist schon absurd und alles andere als zu akzeptieren. Dieser respektlose Umgang ist menschlich absolut verwerflich, die Antworten unter aller Kanone. Manchmal habe ich ehrlich das Gefühl, dass manche bei der Polizei den falschen Beruf ergriffen haben, wenn sie dieses dumme Machtgehabe heraushängen lassen und Menschen einfach respektlos behandeln.
So nahm man auch Matthias die Hoffnung, und so wird man noch vielen den letzten Strohhalm stehlen, aus welchen Gründen auch immer. In der Mittelreihe sitzen der lange Hans mit einem riesigen Verband an der Hand, der ebenfalls gerade sein Geschenk auspackt und sich lächelnd freut. Meikel braucht noch Lebensmittel, die Sonja und ich schnell noch zusammenstellen, um sie dann auch gleich zu übergeben. Meikels: „Ihr seid‘s a Waunsinn“, trifft uns mitten im Herzerl, heißen Tee haben wir auch mitgebracht für ihn, er liebt ihn. Wir gehen noch eine Runde am Terminal und dann runter in die Tiefgarage, und wir versprechen allen nochmal vorbeizuschauen, auf dem Rückweg zum Transporter. In der Tiefgarage ist heute niemand, wir sehen noch den namenlosen Ungarn, der eigentlich immer vermittelt, dass er alles hat, auf der Bank liegen. Wir holen ein Geschenk aus dem Bus und geben es ihm, er spricht kein deutsch aber wir sehen seine glänzenden Augen und seine Freude. Wir verabschieden uns von der Mittelreihe rund um Meikel, Christopher, Hansi, Peter, Ronny usw. und wünschen noch einen friedlichen Abend und eine gesegnete Weihnacht. In der 1. Reihe sitzt Gaby alleine, ihr geht es heute auch nicht gut, auch sie hat Tränen in den Augen, ich gehe nochmal zu ihr, um ihr zuzusprechen und verabschiede mich dann auch von ihr.
Nächste Station Nähe Dom, der namenlose Herr aus Leonding, der sich mit einer Plane im Durchgang ein Zelt baute, kommt nach meiner Begrüßung durch die Plane, herausgekrochen. Bloßfüßig, mit nacktem Oberkörper und einer völlig zerrissenen Hose krabbelt er rücklings aus seinem Verbau. Er erzählt uns von einer wissenschaftlichen Erkenntnis, die er kürzlich machte, ich kann ihm leider nicht folgen, zu wenig Schule liegt vermutlich hinter mir, um seine Aussagen einordnen zu können. Er merkt an, dass er gerne bitte eine Milch hätte, es dürstet ihn nach Milch, und wenn’s geht nach Fertiggerichten, die er kalt isst, nach Cabanossi, weil die so gut schmecken. Wir richten alles in ein Sackerl zusammen und bringen es ihm, mit einem Becher heißen Tee. Das Kärntner Mädel die normal neben ihm schläft, ist noch nicht da, die kommt immer erst abends zum Schlafen, wir legen ihr ein Weihnachtsgeschenk auf die Bank.
Weiter geht’s zu Florian, an der Donaulände, der heute, ganz unüblich, nicht liegt, sondern im Kreise geht, rund um sein Lager mitten in der nassen und schmutzigen Erde. Er redet und schimpft mit sich selbst und ich sage leise: „Florian, ich habe deine Handschuhe und deine warmen Socken mit, kommst du mit zum Bus“. Wir wollen, wenn jemand noch mobil ist, auch etwas Entgegenkommen einfordern, und wenn es nur ist, dass er sich die mitgebrachten Spenden selbst beim Bus holt und wir ihm nichts nachtragen wollen. Florian kommt schimpfend und redend mit, Sonja und ich merken, wie stark er in seiner psych. Erkrankung gefesselt ist. Wir übergeben ihm sein zusammengestelltes Sackerl und wünschen ihm noch eine frohe Weihnacht und alles Gute, sein Blick ist angestrengt und verfolgt sofort wieder seine „Geister“, denen er die Leviten liest.
Von Florian geht es zu Franziska und Gerald, unter die Autobahnbrücke. Franziska ist vor ein paar Minuten weggegangen, Gerald redet heute viel mit uns, was auch sehr ungewöhnlich ist. Gerald erzählt, dass es in den letzten Tagen wohl nachts so um die 0° hatte, weil er frierte. Ich sage: „Gerald, die letzten Tage hatten wir -6° nachts, in Linz“, worauf er antwortete: „Aha, darum war 1 Decke zu wenig“. Wir bieten Gerald heißen Tee an, den er gerne annimmt, wir lassen den Tee stehen und holen noch, nachdem Franziska nicht hier ist, Weihnachtsgeschenke vom Bus und kommen wieder. Normalerweise geht Franziska mit zum Bus und holt die Sachen für sich und Gerald. Auch Franziska legen wir ein Geschenk aufs Gästebett und das für Gerald übergeben wir direkt. Auch er freute sich sehr und bedankte sich gefühlte 100-mal. Wir füllen nochmal den Becher mit Tee und verabschieden uns dann. Es geht weiter zu Rainer auf den Gründberg, Gertrude ist bis Neujahr bei ihrer Tochter. Rainer ist auch nicht im Zimmer, also auch hier ziehen wir gleich wieder weiter.
Es ist schon 18 Uhr vorbei, ab geht es Richtung Plesching und anschließend in die Industriezeile, wo ebenfalls niemand zu finden ist. Um 19 Uhr brechen wir Richtung Lager auf, um den Bus auszuräumen und alles wieder einzulagern. Sonja erzählt, wie sie die heutige Tour aufgenommen hat und ist positiv überrascht, ob unseren Schützlingen und unserer Aktion. Im Lager wird alles nur aus dem Bus geräumt, wir reden noch kurz über die Erkenntnisse und die Menschen.
So ein Heiliger Abend bei den obdachlosen Menschen ist immer ein ganz besonderer Tag, nicht nur Dankbarkeit, sondern viel Wärme und ganz viel Emotionen kommen rüber, die man unterm Jahr tunlichst versteckt und überspielt. Ich liebe jeden Einzelnen unserer Schützlinge, und jeden auf seine ureigene Art, sie alle sind liebenswert. Wenn man aber mit Emotionen gebrochener Menschen umgehen und sie deuten kann, kommt so viel an, tief im Herzen. Dafür bin ich dankbar, nicht jede/r kann das für sich erkennen und zulassen. Ich danke Gott dafür, der heute am Heiligen Abend seinen Geburtstag feiert. Leise klingt der Abend aus und ich verabschiede Sonja, nicht ohne nachgefragt zu haben ob eh alles OK ist. Ja, passt alles. Ich kann beruhigt heim fahren und werde viele Passagen heute Abend nochmal Revue passieren lassen.
Euch aber sage ich DANKE und VERGELT’S GOTT für Eure Aufmerksamkeit und an all unsere Spender/innen sag ich DANKE, dass wir auch diese Tour fahren durften. Euch noch eine schöne Weihnachtszeit und alles liebe im Kreise Eurer Lieben! 😊