Emma friert!
Linz-Tour, etwas abgekürzt!
Emma friert!
Die letzten Tage, der Verteil-Donnerstag und die massive Arbeitsbelastung setzen mir ganz schön zu, zurzeit erbringe ich so 60-70 Stunden pro Woche an Arbeitsleistung, was ich psychisch und physisch gerade sehr spüre. Die Spendeneingänge vom Donnerstagvormittag und von heute, Samstagvormittag müssen ins Lagerprogramm eingespielt werden, damit wir wieder einen aktuellen Stand haben. Heute haben bei der Spendenannahme Hilfe einer neuen Helferin, Kaya, sie macht heute Trockentraining in unserem Lager, um zu sehen, ob es ihr gefällt. Jedenfalls herzlich willkommen, Liebe Kaya.
Der Spendenannahmesamstag dauert bis 13.30 Uhr, bis wir das meiste aufgeräumt und eingelagert haben, bis der Bus mit allen Boxen beladen ist, danach noch schnell einkaufen, ½ Stunde rasten und dann Tee kochen für die Linz-Tour, und alles vorbereiten, aber selbst das ist nicht möglich, weil dauernd mein Telefon klingelt. Um 18 Uhr ist Abfahrt von der Metro, begleiten wird mich heute auf die Nachttour zu den Hot-Spots in Linz, unsere Sandra, sie fährt heute die 1. Linz-Tour und ist schon gespannt, was auf sie zukommen wird. Später am Abend wird Sandra auf meine Frage, wie es ihr „gefallen“ hat, antworten, Zitat: „Es ist erschütternd, das hätte ich nie geglaubt was hier los ist, und das mitten in Linz“.
18 Uhr, Metro, Sandra ist pünktlich, ich putze noch die Fenster und Seitenspiegel, bevor wir aufbrechen. Die 5 Liter Thermoskanne hält Sandra fest, und alles andere wird sich ergeben. Sehr wenig Verkehr auf der Autobahn, als wir in Bahnhofsnähe kommen, sehen wir von Weitem den Stau, auf den wir zufahren. Vorbei beim Bahnhof, links abbiegen zum Volksgarten, man sieht viele, viele Menschen im Weihnachtsmarkt im Volksgarten, was uns sofort zweifeln lässt, ob wir überhaupt durch Schillerpark und Volksgarten gehen sollen, es bringt nicht viel, also drehen wir die Runde weiter und fahren zum Bahnhof zurück.
Dort angekommen treffen wir unseren Martin, der sich gerade eine Zigarette dreht und uns freundlich und aufgeschlossen grüßt, was nicht immer möglich ist bei Martin, weil er krank ist. Wir bieten ihm heißen Tee und Lebensmittel an, was er ablehnt, aber einen Campingkocher, den würde er dringend brauchen, und 2 Gas-Kartuschen. Klaro, bekommst du, lieber Martin. Er erzählt uns noch, dass sein Zelt, mit dem er mitten in der Au mehr vegetiert als lebt, langsam kaputt geht, die Reißverschlüsse lassen sich langsam nicht mehr reparieren, ich verspreche ihm ein neues Zelt, weil, wenn jemand eines dringend braucht, dann Martin. Er freut sich sichtlich, bedankt sich und taucht in die Nacht ein. Später werden wir Martin noch am Terminal sehen.
Wir gehen in die Finanz-Garage, wo von Weitem die Spuren vieler Drogenkonsumationen in Form von verbrannter Alufolie am Boden liegt, aber heute Abend niemand hier ist. In den Treppenhäusern in dieser Garage wird sichtbar, dass sich hier jemand schlafen legt und hier seine Zeit verbringt. Weiter geht’s, wir gehen zurück zum Bus und fahren ins Terminal, bleiben wie üblich bei Gaby stehen, und gehen zuerst zu Lenny, der sich auf der letzten Bank schon hingelegt hat und alle wichtigen Habseligkeiten in den Schlafsack reingepackt hat, auch seine Schuhe, sonst wären diese auch am nächsten Morgen weg. Lenny schläft noch nicht und begrüßt uns, kommt mit zum Bus da er heißen Tee möchte. Zurück beim Bus reden wir mit Lenny und Gaby über die anderen, die so auf den Bänken liegen, scheinbar sind wieder einige neue Obdachlose hier gestrandet. Wir packen für Lenny und Gaby ein paar Sachen ein, Gaby bekommt auch das von Maria vorbereitete Sackerl, gefüllt mit Thermo-Leggins und neuer Unterwäsche, sowie mit einer Jogginghose und T-Shirt. Wir füllen beiden ein 2. Mal die Teebecher, bevor wir in die Bahnhofsgarage runter gehen.
Beim Weg über Rolltreppe sehen wir Martin wieder, der den Mülleimer durchstöbert und Zigarettenreste herauskrümmelt. In der Tiefgarage angekommen sehen wir junge, fast noch im Kindesalter befindliche Jugendliche fremder Herkunft, die Weinflaschen und Bierdosen, sowie Zigaretten und Joints in der Hand halten. Wir haben das hier in dieser Tiefgarage schon öfter direkt beobachtet, wenn Kinder Drogen verkaufen und wo sie ihre Drogenverstecke haben. Geschätzt sind jetzt so etwa 6-8 Kinder/Jugendliche hier, die zwischen den parkenden Autos herumlungern und uns genau beobachten. Natürlich geht es hier um Drogendeals, denn als wir die Bahnhofsgarage wieder verlassen, stehen so 6…7 Kinder im Alter von 11…12 Jahren beim Ausgang, ebenfalls selbstgedrehte Joints in der Hand und eine Wodkaflasche am Boden stehen. Langsam wundert mich hier gar nichts mehr.
In einer Ecke der Bahnhofsgarage treffen wir einen Obdachlosen mit seiner Frau, der zwar Hunger und Durst hat, aber nicht zum Bus mitkommen will. Wir aber tragen die Lebensmittel und Hygieneartikel auch niemandem nach, also wer etwas braucht und von uns haben möchte, muss zumindest mit zum Bus kommen, alles andere ist ein NoGo! Die Beiden haben sich dahingehend entschieden, nicht zum Bus zu kommen, auch gut!
Wir gehen zurück zum Bus und brechen auf, Richtung Wiener Straße, zu Tony. Er hat so ein Tiny-House, wo er jetzt leben darf. Unbeheizt und ohne Strom, aber sicher vor äußeren Einflüssen. Tony ist überglücklich mit dieser „Lösung“. Es wäre eine gute Idee, einen Platz zu finden wo man diese Tiny’s aufstellen kann, ein Dixie-WC dazu und niemand muss mehr auf der Straße schlafen. Leider sind das Wunschträume, die sich so schnell nicht realisieren lassen, da haben einige Leute aus der „Elite“ etwas dagegen. Tony freut sich über unseren mitgebrachten Tee und meinen Vorschlag, ihm eine helle Taschenlampe zu besorgen, die man mit einer Powerbank aufladen kann. Die Taschenlampe kann man, so denke ich, 6–7-mal per Powerbank aufladen, und wenn die eine Powerbank leer ist, bring ich ihm eine zweite und nehme die erste mit, zum Beladen. So hat Tony immer Licht in seiner Koje. Er hat große Freude mit meinem Vorschlag.
Von Tony fahren wir weiter zur Autobahnunterführung, wo Michel schläft. Er will gerade mit seinem Fahrrad wegfahren, als wir ihn antreffen. Er bringt sein Rad zurück zum Schlafplatz und geht dann mit uns zum Bus, wo wir ihm eine große Tasche mit Lebensmittel füllen. 3 Zigaretten bekommt Michel auch noch, genau wie alle anderen auch. Er bedankt sich gefühlt so um die 20-mal und schaut gedankenverloren in die befüllte Tasche und schüttelt den Kopf: „Göds Gott, ihr sats a Wahnsinn“, so Michel. Wir erzählen ihm auch noch von unseren Verteil-Donnerstagen vor Weihnachten, wo es Geschenke und warmes Essen geben wird: „Do kimm i, mah pikante Knödel, is wos guads“. Michel war früher beim ORF tätig, bis ihm sein Schicksal ein Schnippchen schlug, das zur Info.
Von Michel weiter, eine Runde rund um den Dom, nichts mehr los, also weiter zum Brucknerhaus. Von Weitem sehe ich Florian in der nassen Erde unter der Tanne liegen, ich gehe ausnahmsweise hin, obwohl er keine Hilfe mehr will, von gar niemanden mehr, und frage ihn leise: „Florian, alles OK bei dir? Brauchst du etwas?“. Florian schaut mich an und antwortet in gepflegtem Hochdeutsch: „Nein, danke“. Ich wünsch ihm noch eine gute Nacht und wir gehen weiter, auf die Rückseite des Hauses, wo ebenfalls 2 Schlaflager aufgeschlagen sind. Sie sind aber leer, sind noch unterwegs die Herrschaften. Weiter vorne, wo wir letztens eine Liege fanden und einen Schlafsack, ist jetzt nichts mehr da.
Also zurück zum Bus und weiter, über die Nibelungenbrücke runter zur Donau, wo ebenfalls jemand schläft und ebenfalls nicht anzutreffen ist. Der Schlafsack und die Decke sprechen eine eindeutige Sprache. Also weiter über das Urfix-Gelände, und per neuer Eisenbahnbrücke zur OMV-Tankstelle, wo wir uns ein Leberkäsesemmel und einen Kaffee gönnen. Sandra und ich resümieren über den heutigen Abend, und kommen zu dem Schluss, dass wir heute, aufgrund der hohen körperlichen Belastung der letzten Tage, die Tour nach dem Besuch bei Gerald und Franziska beenden werden.
Wir brechen auf zur letzten Etappe, zu Franziska und Gerald, Franziskas Emma meldet uns schon von Weitem. Sandra und ich gehen im Seitwärtsgang den Hügel rauf, aus Angst wieder rückwärts abzurutschen, sind wir mehr als vorsichtig. Droben bei Franziska angekommen läuft ihre Emma wieder ohne Manterl herum, Emma die selbst keine Unterwolle hat und sehr leicht friert, muss immer dick eingepackt werden, sonst wird sie krank. Ich sage das Franziska, sie geht aber auf meine Bedenken erst gar nicht ein und meint nur lapidar: „Emma macht das nichts aus, sie ist das gewöhnt“. Noch vor wenigen Monaten hätte ich Franziska so eine Nachlässigkeit nicht zugetraut, Emma leidet sichtlich. Emma liegt am kalten Boden, ohne Deckerl unter Franziskas Liege. Emma verkriecht sich vor der Kälte und Franziska merkt das nicht. Würde ich jetzt von Franziska verlangen, dass sie Emma z.B. ein Manterl anziehen soll, würde mich Franziska zurechtweisen und wegschicken und den Kontakt abbrechen. Die Art halt, wie Franziska mit anderen Meinungen umgeht. Sie denkt sie hat immer recht und besteht auf diesem. Mir tut Emma leid, aber Franziska wurde bei dem Gespräch immer lauter und war bereit mir das Vertrauen zu entziehen. Leider.
Von Franziska gehen wir um die Ecke zu Gerald, der noch einmal mehr an Gewicht abgenommen hat, sein Gesicht ist derart eingefallen, dass es mir Sorgen macht. Ich gebe Gerald die angebrochene Zigarettenschachtel, worüber er sich riesig freut. Auf meine Frage, ob er was braucht, eventuell Lebensmittel oder Hygieneartikel, verweist er uns an Franziska. Wir sollen das mit Franziska besprechen, ob er etwas braucht. Leider schafft es Gerald alleine überhaupt nicht mehr, seine Bedürfnisse außerhalb seines Schlafplatzes zu verrichten, und der ganze Müll, den sein Schlafplatz begrenzt, ist ein gefundenes Fressen für Ratten und Mäuse. Es wird nur eine Frag der Zeit sein, bis hier eine Krankheit ausbricht. Mann, oh Mann! Gerald sitzt auf seiner dünnen Decke, die ihm als Unterlage dient, und hat seine Beine, die er im Jägersitz verschränkt hat, mit einer noch dünneren Decke zugedeckt. Eine Jacke aus der Übergangszeit, nicht einmal eine Winterjacke ziert seinen Körper, ich weiß nicht, wie ich Gerald dazu bringe, einen warmen Schlafsack und eine Isomatte so wie eine warme Winterjacke von uns anzunehmen? Ich bin mit meinem „Latein“ am Ende und kann ihm auch nicht wirklich helfen, er verweist mich immer nur an Franziska. Wir verabschieden uns von Gerald und gehen zurück, zu Franziska, Emma zittert immer noch vor Kälte, ich bitte Franziska, Emma wenigstens ein mit heißem Wasser gewärmtes Hundefutter zu geben, muss ja nicht heiß sein, aber warm. Es tut mir in der Seele weh, Emma so zu sehen.
Franziska geht mit zum Bus und holt sich Gas-Kartuschen, um heißes Wasser machen zu können, sie verspricht uns, auf Emma gut aufzupassen, was ich ihr nicht mehr glaube, weil ich in der letzten halben Stunde was anderes gesehen habe. Unten beim Bus redet Franziska um ihr Leben um uns noch zu überzeugen, das gelingt ihr aber nicht.
Wir fahren los, ins Lager und brechen die Linz-Tour, um 21.50 Uhr ab. Also ab ins Lager nach Ansfelden, um alles auszuladen und wieder einzulagern. Sandra ist ruhig und nachdenklich und spricht ein paar Mal von „erschütternd“, was sie heute so gesehen hatte. Ja, liebe Leute, eines reichen Landes absolut unwürdig, Menschen so abzuhandeln und sich selbst zu überlassen. Und, gewollt ist das aber keinesfalls, alle, wirklich alle wollen Hilfe, aber eben eine Hilfe an sie angepasst, hier kann man kein 08/15 Programm auflegen und abhandeln, hierzu bedarf es intensiven Einsatzes mehrerer professioneller Helfer. Uns fehlt dazu leider die Ausbildung, wir können leider lediglich das Leben auf der Straße erträglicher machen, indem wir Lebensmittel, Hygieneartikel und warme Kleidung den Menschen geben.
Diese Linz-Tour wird mich heute Nacht noch viel zu Nachdenken bringen, wird mir vieles abverlangen und doch wieder auf „Tour“ gehen lassen.
Danke für Eure Aufmerksamkeit und Eure Loyalität, und herzlichen Dank an all unsere Spender:innen, dass wir auch diese Linz-Tour fahren durften. Vergelt’s Gott im Namen unserer Schützlinge. 😊 <3