Gewalt und Obdachlosigkeit!
Neujahres Linz-Tour vom 1.1.2022
Nachdem heute keine Spendenannahme im Lager war, traf ich mich ausgerastet um 17 Uhr im Lager mit Bernadette. Sie ist meine heutige Begleiterin auf der Linz-Tour. Wir räumen unseren Bus voll, mit den am Donnerstag zusammengestellten Boxen, dazu noch Decken, Schlafsäcke, Regenschirme usw.. Heißes Teewasser habe ich schon daheim zubereitet und mitgenommen, jetzt muss noch der Instant-Tee rein und gut durchrühren. Um 17.50 Uhr brechen wir auf, Richtung Linz/Schillerpark und Volksgarten, dort hören wir Lautsprecher (vermutlich von einer Demo), sehen aber nichts und niemanden, also weiter zum Bahnhofsareal.Zuerst Bahnhofs-Park, als wir auf der anderen Seite zum Haupteingang des Bahnhofes kommen, sehe ich einen Schützling (T.) von uns stehen mit einer Frau, die ich ebenfalls kenne und die kurzfristig zu einem Mann zog, der sie nun sehr oft schlägt und sexuell erpresst. Wir nennen sie „Marianne“ (Name geändert), ich rede mit ihr und sie hat große Angst, zurückgehen zu müssen, sie kann nicht mehr und will nicht mehr. „Ich muss runterkommen, beginne schon wieder mich selbst zu verletzen“ und sie zeigt mir ihren zerschnittenen Unterarm. Ich merke, sie meint es ernst also ist Dringlichkeit gefordert, Anruf am Gründberg bei Hr. L., ob er noch ein Zimmer frei hätte, er bittet um einen Rückruf morgen Sonntag (also eigentlich heute), wozu ich sofort einen Einspruch erhebe, weil ich Marianne nicht wieder zu diesem Typen zurückgehen lassen will und sie selbst das noch weniger möchte. „Wir brauchen heute Samstag noch das Zimmer, Hr. L“. Er schlägt vor, dass wir um 20 Uhr bei ihm sind, ok! Wir gehen unsere Runde in die Tiefgarage noch fertig und fahren dann zu Gaby, wo wir mit der Verteilung im Terminal weitermachen.
Beim Vorbeifahren im Terminal sah ich schon Andy, Markus und einige andere. Wir stehen bei Gaby und Marianne und T. kommen auch und warten auf uns, Marianne fährt dann mit uns die Tour weiter und dann bringen wir sie ins Zimmer. Bei Gaby kommt binnen Minuten eine große Menschentraube zusammen, Menschen, die ich noch nie gesehen habe und denen ich heute zwar Lebensmittel gebe, aber keine Kleidung, weil alle eine intakte Jacke und Winterschuhe anhaben.
Da stehen tatsächlich 6 Männer in der Traube, die uns unbekannt sind und Schlafsäcke, neue Schuhe und Decken EINFORDERN! Ich verweise sie auf den Donnerstag, wo wir sie registrieren und sie alle Unterlagen mitnehmen sollen, damit wir über ihre Bedürftigkeit einen klaren Blick haben. Zu essen bekommt jeder heute, aber mit neuer Kleidung müssen wir sorgsam umgehen da manche unsere Spenden verkaufen, um an Alkohol zu kommen, und dem müssen wir entgegenwirken, das haben wir EUCH, all unseren Spendern/innen versprochen, dass wir sorgsam mit Euren Spenden umgehen.
Markus kommt und bittet um ein paar Fischdosen und Taschentücher, Gaby braucht auch heute wieder das volle Programm, neue Unterwäsche, Thermo-Leggins, neue Socken, eine Winterjacke, Lebensmittel und Hygieneartikel, Peter bittet um Cabanossi und Brot, sein Kumpel Mario um einen heißen Tee und warme Unterwäsche, warme Socken und neue Schuhe, weil seine total kaputt sind. Mario ist auch schon registriert bei uns und deshalb kann ich ihm getrost Schuhe geben, weil wir das in der Ausgabe-Datenbank nachtragen. Diese Datenbank ist für uns sehr wichtig, weil wir so sehen können, was der Schützling in den letzten Wochen alles ausgehändigt bekam von uns. Aufgrund dieser Datenbank, die extra für uns programmiert wurde, können wir einem Missbrauch der Spenden vorbeugen. Dieses NFC-System hat sich bereits jeden einzelnen Verteil-Donnerstag bewährt.
Wir kümmern uns weiter um all die Menschen beim Bus, da sitzt auch einer im „Rollstuhl“, der dort nicht sitzen sollte, weil er gehen kann, und ich weiß, dass er ein Auto (Mercedes) besitzt und in Ebelsberg ein Stockhaus besitzt und bewohnt. Ich sage diesem „Herrn“ dass er bei uns hier falsch ist, er fordert eine neue Hose, neue Schuhe und Lebensmittel ein, worauf ich ihm mein Wissen eröffne und er dann Kommentarlos umdreht und von unserem Bus weggeht. Frechheit kennt zurzeit scheinbar wirklich keine Grenzen, sich noch mit Spenden „bereichern“ wollen, aber ein Haus und ein teures Auto besitzen. Genau mein Humor! (Sarkastisch gemeint). „Erich“ (Name geändert), ein Schützling, der Ingenieur ist und auch durch einen groben, unfairen Schicksalsschlag obdachlos wurde, kommt und betont auch heute wie immer: „Walter, du weißt, dass ich wirklich nur dann zu dir komme, wenn ich etwas dringend brauche, du bist unser Engel, Walter, so einen Engel legt man doch nicht ums Haxxerl, wir machen so etwas nicht, versprochen“. Das weiß ich doch! Erich war auch am Donnerstag beim Bus, weil er dringend eine warme Hose benötigte, seine normale Jean war zu dünn und zu kalt, deswegen bekam er eine warme Thermo-Hose, die er mir heute voller Stolz zeigt: „Die Hose von Euch ist richtig warm, jetzt friere ich nicht mehr, einfach klasse, DANKE SCHÖN“.
Dauernd mischen sich vor unserem Bus, Menschen, zwischen unsere Schützlinge, die ich weder kenne noch sind sie obdachlos. Wir dürfen durch Auflagen verschiedener Ämter/Instanzen keine Asylwerber oder Flüchtlinge mit Spenden versorgen, da diese in Bundesbetreuung sind, und die Bettelbanden, von denen offensichtlich einige vor unserem Bus stehen, angehören, dürfen wir nach Vorgabe des Landeskriminalamtes gar nicht mit Spenden versorgen. Es ist für uns oft eine gesetzliche Gratwanderung, aber wenn jemand in Bundesbetreuung ist, braucht er von uns keine Lebensmittel und auch keine Kleidung. Hier würden wir uns strafbar machen, und das haben wir nicht vor, zu tun. Es käme für uns niemals in Frage, Gesetze zu brechen, um jemandem verbotener Weise Lebensmittel oder Kleidung zu geben, der diese gar nicht braucht. Marianne steht wartend am Rande der Menschentraube und ist sichtlich hochnervös, sie weiß nicht wohin mit ihren Händen und fuselt und kratzt mal hier, mal da.
Nach knapp 2 Stunden am Terminal verabschieden wir uns und gehen in die 2. Tiefgarage, um nachzusehen ob dort auch jemand schläft. Wir entdecken 2 Schlaflager in der Tiefgarage, aber niemanden dort liegen. Wir gehen wieder zurück zu unserem Bus, auf dem Weg dorthin treffen wir Meikel, der grade mit einem vollen Bauch von der Wärmestube kommt. Er würde ein paar Kleinigkeiten benötigen: „Cola, Mineralwasser, Socken und Unterhosen, und eine Decke, Ahja, und bitte einen heißen Tee, der ist sensationell gut“. Nachdem nun auch Meikel alles benötigte bekam, packen wir Marianne ein und fahren zur nächsten Station.
Nähe Dom ist nur der alte Mann anwesend, die junge Kärntnerin ist noch nicht da. Er könnte bitte etwas: „wurstiges oder fleischiges brauchen, Bitte, Milch und was ihr sonst noch so habt“. Wir packen ein Sackerl voller Lebensmittel zusammen und bringen es ihm mit einem Becher heißen Tee. Auf zur nächsten Station, an die Donaulände.
Florian schläft heute schon, er hört uns aber und steht auf, keine 5 Meter von Florian entfernt verrichtet ein riesengroßer Hund seine große Notdurft, dessen Besitzer sich zwar umdreht und uns sieht, der auch sieht, dass Florian hier schläft, aber die „Ergebnisse“ der Notdurft seines Hundes nicht wegräumt, sondern sich lediglich kopfschüttelnd wegdreht von uns und langsam weiterschlendert, da der Hund die Anzeichen macht, nochmal zu müssen. Aber muss das wirklich hier sein und muss das sein, dass man das nicht entsorgen kann? Manchmal stehe ich schon sehr fragend solchen Menschen gegenüber aber meistens werden meine Fragen nicht beantwortet oder mit Themenfremden Antworten zugedeckt. Florian kommt mit zum Bus, er hätte gerne warme Handschuhe, warme Socken und eine warme Decke. Florian ist heute „gut“ drauf und schimpft heute nicht so wie letzte Woche.
Von Florian geht es weiter zu Franziska, Emma und Gerald, zwischendurch rufe ich am Gründberg an, weil wir es zeitlich nicht schaffen. Bei Franziska und Gerald, unter der Autobahnbrücke, zieht es ganz stark: „Ah das geht schon“ kommt von Gerald, na gut, dann wird’s so sein. Wir bieten heißen Tee an, den beide liebend gerne annehmen. Emma, der Hund von Franziska, hat eine offene Wunde am Brustkorb, der Tierarzt gab Franziska lediglich ein Medikamentenmuster mit tschechischer Aufschrift mit, das darauf geschriebene versteht niemand. Franziska ist wütend, weil es Emma nicht gut geht. Wir empfehlen eine Vaseline, um die Wunde vor Feuchtigkeit abzuschirmen. Nach Aussage von Franziska ist das Salz auf den Gehwegen schuld daran, dass Emma so leidet. Wir fragen noch ab was Gerald und Franziska noch benötigen und gehen dann zum Bus, um eine Tasche zu schnüren für die drei. Gerald hat sich heute wirklich gefreut uns zu sehen, er taut auf und das ist großartig anzuschauen.
So, nach dem Besuch bei Franziska und Gerald fahren wir jetzt zu Hr. L. auf den Gründberg, um Marianne dort im von uns georderten Zimmer, einzuchecken. Zunächst gehen wir zu Gertrude, die uns schon zufahren sah durchs offene Fenster, sie macht uns auf. Rainer und Adrian sind auch bei ihr, Marianne und Gertrude kennen sich und ich bitte Gertrude, sich um Marianne zu kümmern und mir bescheid zu geben, wenn etwas gebraucht wird. Wir gehen nach ein paar Minuten rüber zum Hr. L., klopfen an und er öffnet uns, wir sitzen uns nieder und besprechen die „Vorgaben“ für Marianne, keine Zigaretten im Zimmer, keine fremden Männer und Ordnung im gemeinsamen WC und der gemeinsamen Kochstelle. Marianne muss das alles unterschreiben: „Einmal rauchen im Zimmer und du bist wieder draußen“, fügte der Vermieter noch an. Nachdem er vor einiger Zeit dadurch fast abgebrannt wäre, verstehe ich seine Befürchtungen.
Nach all den Formalitäten und Vereinbarungen, gehen wir zurück zu Gertrude und trinken dort noch einen Früchtetee. Adrian, der Pole, der schon sehr lange bei uns in Österreich ist, kommt mir heute grade recht. Er geht mit der Wahrheit recht flapsig um und verdreht Dinge sehr oft und meistens zu seinen Gunsten. Auch kommt er oft am Donnerstag zum Bus und bittet um eine warme Jacke. Ich rede mit ihm Tacheles, mahne Ehrlichkeit ein und stelle ihm die Rute ins Fenster, dass er, wenn er mich nochmal belügt, eine 3 Wochen-Sperre beim Bus bekommt. Ich wiederhole mich diesbezüglich öfters, weil ich gerade nicht den Eindruck habe, dass er mich ernst nimmt und mich verstehen will. Adrian antwortet nach meiner 5. Ansage: „Ich habe nicht gewusst, dass dich das so sehr verletzt, in Polen geht man mit den Dingen so um, meint er noch, ich erinnere ihn aber daran, dass er seit Jahren in Österreich lebt und sich endlich hier einpassen soll. Er möchte gerne Hilfe von uns und tut aber nichts dafür, dass wir ihm glauben und vertrauen können. Er merkt an meiner Mimik, dass ich es ernst meine und lenkt ein. Ich bin gespannt.
Gertrude und Rainer kommen noch mit zum Bus, sie benötigen ein paar Lebensmittel, Marianne noch neue Unterwäsche, neue Socken, T-Shirts, eine Winterjacke und Lebensmittel. Sie hat ja nichts dabei, wusste beim Weggehen ja nicht, dass sie nicht mehr heimkommt zu dem Schläger. Sie hat sich eigentlich vorgenommen wieder auf der Straße zu schlafen, was wir gottseidank verhindern konnten, dank dem von uns angemieteten Zimmer. Marianne zieht sich zurück und geht duschen und wir wünschen ihr noch alles liebe, neue Bettwäsche, Handtücher, Steppdecke und Polster bringe ich nach, so ich welche im Lager finde. Sichtlich erleichtert und den Tränen nahe verabschiedet sich Marianne von uns und wir fahren weiter, mittlerweile ist es 22.15 Uhr, zu den 2 letzten Hot Spots.
Mich torpediert die Müdigkeit bereits sehr, Bernadette ist beeindruckt von unserer Linz-Tour und denkt still nach, über die Dinge, die so passierten am heutigen Abend. An den beiden letzten Hot Spots finden wir auch heute niemanden an und fahren ins Lager, um alles wieder auszuräumen und einzulagern. Im Nu sind wir fertig damit. Um 23.30 Uhr verabschiede ich mich von Bernadette und wünsche ihr noch eine gute Heimfahrt, sie fährt noch knapp eine halbe Stunde, ich nur 5 Minuten.
Es war wieder ein Abend, an dem wir schnell und richtig reagieren konnten, indem wir Marianne nicht wieder auf die Straße setzten, indem wir ihr Mut machten unseren Vorschlag anzunehmen, was sie auch tat.
Auch alle anderen zu sehen, tat richtig gut, Erich, Meikel, Mario, Peter, Markus, Walter und all die anderen Schützlinge. Gefreut hat mich auch sehr, dass der Ungar, der im terminal schläft und fast keine Hilfe annimmt, heute lächelnd um eine Tasse heißen Tee gebeten hat.
Die kleinen Dinge im Leben, sie können so wertvoll und absolut bereichernd sein, wenn man sie liebevoll ins Herz schließt und den Menschen zeigt, dass wir Wertschätzung ganz groß schreiben.
Danke für Eure Aufmerksamkeit, wir wünschen Euch noch einen erholsamen Sonntag und alles, alles liebe und Gute!