Kein Erfolg, eher eine Schande!
Kein Erfolg, eher eine Schande!
Linz-Tour vom 24.2.2024:
Der Spendenannahme-Samstagvormittag war geprägt von Arbeit. Von Lagerarbeit, von Kommissionierungen und von Sortierungen und Zusammenstellungen, für den Verteil-Donnerstag und für kommende Woche, wo wir wieder eine Spendenlieferung für die ARGE-Obdachlose kommissionieren. Weil uns fleißige Helferleins fehlten, meldete sich unsere Verena, die kurzerhand zu uns ins Lager kam und uns den ganzen Vormittag unterstützte. Ebenso kamen Bozena und Jacek, um uns zu helfen, vielen lieben Dank dafür.
Das meiste für die heutige Linz-Tour ist vorbereitet, müssen nur ein paar Artikel noch nachladen. Neue Socken und neue Unterhosen sowie Handschuhe und Getränke fehlen noch, also gleich einordnen. Die Spendenannahme heute geht mehr als träge, also gleich nachdem der Donnerstag fertig nachgeladen wurde, die Linz-Tour-Boxen in den Transporter. Verena nimmt mir heute viel Arbeit ab, gottseidank. Leere Sackerl und Tragetaschen einpacken, Schlafsäcke, Isomatten, Rucksäcke, Schuhe und warme Jacken, alles im Bus.
Um 18 Uhr geht es los heute, mit dabei sind heute Claudia und unser Max. Beide sind schon sehr gespannt, was auf sie wartet. Ich auch, weil jede Linz-Tour anders ist, man kann nie sagen was passiert, wem wir heute begegnen und wer heute Hilfe braucht. Beide waren noch nie mit auf der Linz-Tour, Max holt Claudia in Ansfelden ab und kommt dann mit ihr zu mir heim, von wo wir wegfahren.
Wir brechen rechtzeitig auf Richtung Linz, Schillerpark und Volksgarten. Schillerpark ist niemand, dafür stehen im Volksgarten etwa 10-12 junge Menschen beisammen, wo auch Obdachlose dabei sind. Michael und Marcel und einige aus dieser Gruppe würden sich über Lebensmittel und heißen Tee sehr freuen, also auf zum Bus, wir gehen noch in die andere Richtung unsere Runde fertig und treffen beim Bus auf alle anderen.
Beim Bus freuen sich alle zuerst einmal auf 3 Zigaretten und heißem Tee, auf Lebensmittel und Nächtigungsjetons. 7 Menschen stehen hier und warten geduldig, was sie von uns bekommen. Kaputte Schuhe, zerrissene Jacken und dringend notwendige Unterhosen, das alles bekommen sie. Max unterhält sich mit einem jungen Mann, der noch nicht lange auf der Straße lebt, er erzählt ihm, dass er durch Krankheit auf der Straße landete, was ganz oft der Fall ist. Krankheit und Scheidung sind die meisten Auslöser für Obdachlosigkeit und Armut.
Alleine an diesem HotSpot stehen wir fast eine halbe Stunde, also auf zum nächsten Schlafplatz, nahe unseres Platzes am Verteil-Donnerstag. Uns wurde gesagt, dass dort ein Mann am Ende einer Tiefgarage schläft, also auf und dorthin. Wir finden Klamotten in einem Sack vor und einen Einkaufswagen, mit ein paar persönlichen Dingen, was aber auf niemanden schließen lässt. Überall sind Spuren von ihm, ihn selbst aber finden wir heute nicht. Also ab, zur alten Post, wir queren den Bahnhofspark, um dann in die Bahnhofshalle zu schauen. Auf dem Weg dorthin treffen wir ein paar weitere bekannte Gesichter, die wir zum Bus schicken, dort sollen sie auf uns warten. In der Bahnhofshalle finden wir weitere 2 altbekannte Personen, die früher bei unserem Verteil-Donnerstag waren. Ein kurzes Gespräch dann geht es weiter, in die Finanzgarage.
Dort sehen wir eine offene Tür, die sonst immer verschlossen war, wir schauen hinein und sehen ein Bettenlager auf Paletten, sehen persönliche Dinge wie Rucksäcke, Schuhe und Jacken. Wir treffen aber auch hier niemanden an, das Bettenlager ist bestimmt auf 3-4 Personen ausgelegt. Am anderen Ende des Kellers sehen wir auch eine offene Tür und wir schauen nach, ob sich auch dahinter etwas verbirgt. Und tatsächlich finden wir einen weiteren, verlassenen Schlafsack, angenehm warm hier und gottverlassen, dürfte ein alter Keller oder ein altes Lager der Post sein, ich war hier noch nie. Also auch hier wieder weg, zurück zum Bus, wo schon alle auf uns warten.
Beim Bus warten schon Gerry, ein Vorarlberger, Marius und 2 weitere Unbekannte, die auch Hilfe brauchen. Claudia füllt im Bus stehend die Tragetaschen mit den gewünschten Spenden an. Auch hier ist heißer Tee sehr gefragt. Für Marius eine neue Jacke, für Gerry und den Vorarlberger nur Lebensmittel. Zigaretten gibt es obendrauf, 3 Stück pro Person, dann geht es weiter ins Terminal.
Dort parken wir wieder bei Gaby, die heute fest eingepackt schläft. Ich wecke Gaby vorsichtig und frage, ob sie etwas benötigt. Ja, bitte, eine Jogginghose, Unterwäsche, Socken und etwas zum Essen. Claudia richtet alles für Gaby her, ich gehe in der Zwischenzeit ans Ende des Terminals, wo Lenny, Felix, Andy und noch 2 weitere Obdachlose schlafen. Alle kommen mit zum Bus, alle wollen heißen Tee und etwas zu essen. Felix bittet mich um ein Gespräch, ich lehne jetzt noch ab und sage ihm: „Nachher, wenn wir fertig sind mit der Ausgabe, vielleicht.“ Felix hat mich in der Vergangenheit immer wieder genarrt, angelogen und betrogen und hinter meinem Rücken derb geschimpft. Wir kümmern uns zuerst um alle anderen, die beim Bus sind, und es werden immer mehr. Die Barrikade, die sich Gaby vor ihrem Bett aus Einkaufswagen zusammenstellte, erweckt Max‘ Interesse, er versteht es, dass sich Gaby einen „Schutz“ aufgebaut hat, aber wenn das alle tun würden?!
Bei Halbzeit im Terminal taucht auf einmal ein älterer Herr auf, der uns grob beschimpft: „Verschwindets da, ihr habt hier nichts zu suchen mit euren verschimmelten Sachen“. Er pöbelt uns aus der Distanz an und Gaby sagt uns dann, dass er sich nachts, wenn sie schläft, an ihren Sachen vergreift und Dinge einfach mitnimmt. Daraufhin rede ich ihm ins Gewissen und mache ihm klar, dass er das besser unterlässt, künftig, er belächelt mich und zeigt mir den Mittelfinger. Ich muss mich umdrehen und gehen, sonst mache ich mich strafbar, und das ist niemand wert. Alex, Lenny, Michael und Marcel gehen zurück in ihre Koje am Ende des Terminals und sagen Felix, dass er zu mir kommen soll.
Felix entschuldigt sich mehrfach für seine Lügen und das, was er so hinter meinem Rücken erzählt und erfunden hat. Ich halte ihm vor, was genau vor 1 Jahr passierte und fragte ihn auch, warum er diese Chance in einer unserer Wohnungen nicht nutzte, sondern lieber die ganze Wohnung verwüstete. Es sind immer die gleichen Antworten, die auch von allen anderen kam, von Melanie, von Gerhard, von Gerry usw., dass es immer auch an den „Freunden“ gelegen ist. Freunde sind wichtig, im Leben, und wenn man auf der Straße lebt, umso mehr, aber man muss sich auch die richtigen Freunde aussuchen und nicht jene Menschen, die einen aus Egoismus in den Abgrund ziehen, die sogar Geldbörsen von schlafenden „Freunden“ stehlen und das Geld auf den Kopf stellen. Ich glaube oft wirklich, unsere Schützlinge haben jegliches Bauchgefühl für Menschen und Situationen verloren. Und so endet das Gespräch heute mit Felix mit einer neuerlichen Bitte, mich nie mehr anzulügen, da er sonst wirklich keine Chance mehr bekommt, von mir. Felix bittet noch um eine warme Jacke, seine ist total kaputt, ja, bekommt er. Gaby bittet mich noch um 1-2 Euro, damit sie aufs WC gehen kann, ich gebe ihr aus meiner privaten Geldbörse 5,-, worüber sich Gaby sehr freut.
Ich bitte, während wir die Terminalrunde gehen und anschließend in der Bahnhofstiefgarage nachschauen, Felix darum, auf unseren Transporter zu achten, damit der Pöbler nichts an unserem Bus macht. Wir gehen die Runde im Terminal aufs andere Gate, wo Elke schläft, an ihr vorüber und hinunter in den Keller, wo wir sofort den Geruch von Marihuana wahrnehmen. Im Schnelltempo gehen wir die Tiefgaragenrunde, wo wir ebenfalls niemanden antreffen. Zurück zum Bus.
Wir vertschüssen uns aus dem Terminal und brechen auf, Richtung Wiener Straße, zu Tony. Wir klopfen und Tony macht uns auf, mit Mütze am Kopf, in Schafwollschuhen und langer Unterhose. Tony ist einer jener Menschen, der aufrichtig, ehrlich und gerade ist. Kein lautes Wort, keine frechen Ansagen oder dreistem Verhalten. Ich mag ihn, sehr sogar. Tony bekommt von uns 1 Pkg. Zigaretten und einen Becher heißen Tee, bevor wir ihn wieder weiterschlafen lassen.
Inzwischen ist es 20.55 Uhr geworden, weiter geht’s, unter die erste Autobahnbrücke, wo Michael der ORF-Redakteur war, und ein weiteres benutztes Gästebett steht. Es wird nach wie vor benützt, weil die Decken immer anders liegen, aber angetroffen haben wir noch niemanden, auch Michael schon lange nicht mehr. Also hier eine weitere Fehlanzeige heute, weiter nach Urfahr zu Peter.
In seinem DüK (Dach übern Kopf), dass er vom Kolpinghaus in Gemeinschaft mit dem B37 bekam, fühlt sich Peter pudelwohl. Er ist glücklich ein Dach über dem Kopf zu haben. Peter ist müde und er zeigt uns noch ein Plakat, wo überall die DüK’s in Linz stehen. Von Peter fahren wir zurück nach Linz, die Dom Runde und Augen offen halten, ob wir noch jemanden finden.
Beim Brucknerhaus ist unser nächster Halt. Wir gehen bei Florian vorbei, heute im Brucknerhaus eine große Veranstaltung, viele Menschen stehen bei den Ausgängen und schauen uns irgendwie komisch an, weil wir mit Taschenlampen „bewaffnet“ sind und durch die Menge gehen. Florian schützt sich mit seiner Gewebeplane vor neugierigen Blicken, wir gehen auf die Rückseite, wo seit Monaten ebenfalls Obdachlose schlafen. Heute finden wir auch hier nur gebrauchte Schlafsäcke, ohne jemanden anzutreffen.
Also zurück zum Bus, wieder zurück nach Urfahr, wo wir unter der Nibelungenbrücke vor kurzem noch eine Matratze fanden, aber auch hier heute Fehlanzeige. So nahe neben der Donau ist schon richtig ungemütlich, wie man hier schlafen kann ist uns allen ein Rätsel. Weiter, da es schon fast 22 Uhr ist, machen wir kurz Pause auf der OMV. Bei Kaffee und Leberkäsesemmel rasten wir uns die erste Halbzeit ab, Zeit, um ein Zwischendurch-Resümee zu machen. Ja, so kennt man halt Linz nicht, Max ist schon auf Gerald gespannt, weil Max schon fast 6 Jahre bei uns im Verein ist, Gerald aber noch nie gesehen hat, weil er nicht zum Bus kommt.
Nach 15 Minuten also um die Ecke, zu Franziska und Gerald. Franziskas Schlafplatz ist verlassen, wie an den vergangenen 3 Abenden unserer Linz-Tour. Also die paar Meter weiter zu Gerald, der schon auf seiner vom Regen getränkten Matte liegt, uns aber hinauf zu sich bittet. Max gibt Gerald 1 Packung Zigaretten, Claudia reicht ihm einen Becher heißen Tee, den er liebend gerne annimmt. Alles andere, was wir Gerald anbieten, lehnt er dankend ab. Gerald ist ganz tief in seiner Welt, die keine Diskussionen zulässt, sondern lediglich ein Frage/Antwortspiel, mehr geht nicht mehr. Er ist aber immer gut aufgelegt, nicht laut, nicht hadernd oder wehmütig. Gerald bräuchte professionelle psychologische Hilfe, die wir nicht leisten können. Wir können ihm das Leben unter der Brücke etwas leichter machen, mit Lebensmitteln, Getränke und warmer Kleidung, Gerald aber beruft sich immerzu auf Franziska, und wenn sie aber nicht da ist, nimmt er auch nichts an. Wir wünschen noch eine gute Nacht und brechen wieder auf, zum Bus, wo wir noch über Gerald reden und uns einig sind, dass er in einer ganz tiefen Depression ist.
Weiter zur nächsten Station. Pleschingersee, wo heute wieder einmal der Campingplatz geöffnet ist aber niemand hier ist. Bei einigen an den Parkplätzen abgestellten Fahrzeugen sitzt jemand drinnen, im Dunkeln, wir fahren weiter. Fernheizwerk, wo auch niemand ist. Heute aber suchen wir das DüK3, das irgendwo in der Industriezeile beim Bauhaus sein sollte. Vor 14 Tagen gingen wir rundherum und fanden es nicht. Heute fahren wir auf der anderen Seite einem leeren Grundstück entlang und irgendwie, biegen wir ein und sehen am Ende des Grundstücks das DüK3 stehen, es brennt noch Licht und wir klopfen, es ist mittlerweile 23.20Uhr. Es meldet sich jemand, nachdem ich mich zu erkennen gab. Wer sich hinter dieser Tür verbirgt, weiß ich erst als sich die Tür öffnet.
Andreas öffnet uns die Tür, er war früher jede Woche beim Verteil-Donnerstag, jetzt aber von der Industriezeile zum Hauptbahnhof zu fahren, ist ihm zu umständlich und zu weit. Andreas darf 10 Stunden in einer Obdachlosen-Einrichtung arbeiten, ist dort versichert und bekommt gutes Geld, worüber er mehr als glücklich ist. Auf unsere Frage, ob er Lebensmittel bräuchte, kommt ein lautes: „Ohhjaaa, bitte, das ist ja klasse“. Claudia füllt ihm eine Tasche an, mit dem Nötigsten, und 2 Gas-Kartuschen bekommt er auch noch, damit er sich das Essen wärmen kann. Andreas ist guten Mutes und sucht gerade eine 2. geringfügige Stelle, er will es nochmal schaffen habe ich den Eindruck. 23.50 Uhr, wir beenden die Linz-Tour und fahren ins Lager nach Ansfelden, wo wir wieder alles ausladen und einlagern.
Claudia und Max sind mir behilflich dabei, bevor wir dann endgültig in die Nacht Richtung Heimat aufbrechen. Es war ein Teils erlebnisreicher Abend, wie gesagt, keine Linz-Tour ist wie die andere, jede Tour ist anders und wir wissen nie, was auf uns zukommt.
Die heutige Tour war wieder mehr als „erfolgreich“, weil wir vielen Menschen helfen konnten. „Erfolgreich“ ist hier das falsche Wort, weil es kein „Erfolg“ sein kann, wenn man hungernden und frierenden Menschen hilft. Es ist eher eine „Schande“, dass es einen Verein wie den unseren braucht, um Menschen zu helfen.
Insofern an all unsere Spender:innen eine tiefe Verneigung und DANKE, dass wir auch hier wieder helfen durften.
Vergelt’s Gott, Gott segne euch. 😊 <3