Menschlichkeit? Fehlanzeige!
Nach diesem bisher...
...schlechtestem Spendenannahme-Vormittag gestern im Lager, an dem uns nur wenige Spender besuchten, und der allgemeinen Tendenz der Sach- und Geldspendeneinbrüche haben wir große Zweifel, ob wir 2023 finanziell überstehen werden. Wir werden jeden Tag auf der Hut sein, damit wir diesbezüglich mit keinem Buchstaben mit dem Vereinsgesetz in Konflikt kommen. Es wird schwer werden, sehr schwer.
Der Vormittag begann um 5 Uhr früh um dann um 6 Uhr mit der Schneeräumung zu beginnen. Ein paar Zentimeter waren es die großflächig weggeräumt werden mussten. Jeder Zentimeter Schnee ist mühsam, beiseitezuschaffen, um hinterher mit dem Salzwagerl zu fahren und für Sicherheit zu sorgen. Bis dahin wussten wir ja noch nicht, dass uns nicht viele Menschen besuchen werden. Der Vormittag ging dann ziemlich pünktlich um 12Uhr zu Ende. Für heute Abend war wieder unsere Linz-Tour, zu den Schlafplätzen unserer Schützlinge geplant. Treffpunkt mit meinem heutigen Begleiter Rudi, um 18 Uhr bei mir daheim.
Ich koche 6 Liter Instant-Tee, den unsere Schützlinge so lieben, eine Mischung aus Apfel und Pfirsich, ohne Zucker. Richte noch die Hand-Lampen her, und telefonieren noch mir Sr. Lydia. Sie hat heute Samstag-Dienst in der Wärmestube und da ist ein 62-jähriger obdachloser Tiroler, der vor ein paar Tagen notoperiert wurde, und dem man einen 1,2 Zentimeter dicken Katheder setzte. Ich habe noch nie so eine medizinische Verfehlung gesehen, das ist Körperverletzung. Sr. Lydia erklärt mir, dass Gerhard, so heißt der Obdachlose, weder trinkt noch raucht noch sonst ein Suchtproblem hat, aber er muss wegen seines Allgemeinzustandes schnellstens weg von der Straße, sonst überlebt er diese Temperaturen nicht. Ich kenne Gerhard noch nicht persönlich, aber sichere ihr zu, dass wir Gerhard nachher vom Terminal abholen werden und ihn in unsere 3. Wohnung in die Eullerstrasse bringen werden, wo er zumindest die nächsten Tage in einer beheizten Wohnung verbringen darf. Sr. Lydia ist beruhigt, wir vereinbaren, dass sie später Gerhard zum Terminal bringen wird, mit Bettwäsche und Polster, da auf die Schnelle in der Wohnung nichts vorhanden ist.
So, alles vorbereitet, ich rufe noch Pascal in der Wohnung an, um ihn an unseren Besuch zu erinnern. Wir haben bei seinem Einzug in die Wohnung vereinbart, dass wir jeden Samstag zwischen 18 und 19 Uhr kommen werden, um die Wohnung auf eventuelle Schäden zu besichtigen, da wir ja mit unserer Kaution in der Haftung sind. Pascal hebt das Telefon ab und sagt mir allen Ernstes zum 2. Mal schon, dass er nicht zu Hause ist und er quittierte meine Anfrage mit einem „so ist das halt-Ton“. Ich sage Pascal was ich von seiner Art Dinge einzuhalten, halte und werde hier auch nicht locker lassen. Ich schreibe ihm eine WhatsApp, wo ich ihm deutlich sage: „So nicht, mein Freund“, entweder Du hältst dich an unsere Vereinbarungen oder Du bist bald wieder auf der Straße. Ich habe auch keine Lust dazu am Telefon zu diskutieren, das ist nicht diskutierbar.
18 Uhr, ich befreie unsere Transporter von Eis und Schnee, da kommt überpünktlich unser Rudi. Wir brechen auf, ich versuche Rudi in kurzen Sätzen upzudaten mit Infos, auch er kann nur mit Kopfschütteln reagieren ob solchem frechen Verhalten von Pascal und dem Zustand von Gerhard. Unsere 1. Anlaufstation auf dieser Linz-Tour ist heute die Wohnung von B., wo Gerry, Marvin und Fritz wohnen dürfen, wir bekamen einen Fernseher gespendet von unserer Bernadette und ein paar Pfannen zum Kochen, und das bringen wir ihnen jetzt. Am Telefon sagt mir Gerry schon, dass er alleine daheim sei, die anderen sind unterwegs, ja lieber Gerry, dann musst Du herunterkommen und rauftragen helfen. Gerry kommt und ich bin überrascht, er sieht gepflegt und rasiert aus, hat seinen Vollbart abrasiert, was ihm viel besser steht. Er freut sich über den Fernseher, die Wohnung überprüfen wir auch gleich auf Sauberkeit und Ordnung, und sind höchst erstaunt, da alles sauber und aufgeräumt aussieht. Nur, wir brauchen dringend eine Matratze (90x200cm) für Gerry, der jetzt auf einer Iso-Matte am Boden schläft und den harten Boden natürlich spürt. Wenn jemand eine Matratze hätte in diesem Format, wir wären sehr dankbar. Gerry bedankt sich wieder gefühlte 20-mal, dass sie in der Wohnung von B. sein dürfen: „Lieber Gerry, da müsst ihr euch schon bei B. direkt bedanken, ich habe nichts gemacht, B. stellt Euch ihre Wohnung zur Verfügung“. Mit einem zufriedenen und glücklichen Lächeln meint Gerry noch, er möchte arbeiten gehen, jedoch wird das schwierig werden so kurz vor Weihnachten. Mal schauen.
Von Auwiesen fahren wir in unsere Wohnung in der Wiener Straße, wo Pascal wohnt. Es ist mir egal ob er daheim ist oder nicht, ich werde die Wohnung auf ihren Zustand überprüfen, da wir ja als Verein in der vollen Haftung sind und es so vereinbart war. Die Wohnung ist leer, sie ist aufgeräumt und es ist schlechte Luft dort, wir lüften kurz und brechen dann wieder auf, zu Tony und Jürgen, unter der Autobahnbrücke. Tony hat uns einparken gesehen und kommt schon auf uns zu und Jürgen kommt auch heraus. Sie erzählen mir, dass ihr 3. Begleiter von ihrem Schlafplatz, Michael der Zündler, von irgendwem eine Wohnung zur Verfügung gestellt bekam. Was? Michael? Der fackelt doch die Wohnung ab, wie der drauf ist. Tony und Jürgen bekommen so eine Chance nicht, und das verstehe ich grade nicht. Beide möchten heißen Tee und kommen zum Bus. Tony nimmt sich noch einen 2. Becher Tee und beide bekommen je 5 Zigaretten aus unserem gespendeten Vorrat. Tony, braucht noch frische Unterhosen und Socken, Jürgen bekommt ebenfalls noch lange Thermo-Unterwäsche und gestrickte Socken. Wir erinnern die Beiden, dass am kommenden Verteil-Donnerstag Gulasch und Semmelknödel ausgegeben wird und dass alle Schützlinge, die zum Bus kommen, eine Weihnachtsschuhschachtel bekommen werden. Glänzende Augen bei beiden und: „Ja, da kommen wir gerne“. Ich freu mich auf Euch und dann brechen wir auf, Richtung Terminal.
Wir bleiben wie immer bei Gabys Schlafplatz stehen und parken dort, ihr Schlafplatz ist halbwegs verwüstet von Elvisa, und leer. Gaby fehlt mir und ich weiß nicht, was los ist mit ihr. Gerhard der kranke Tiroler sitzt direkt neben Gabys Schlafplatz auf der Bank und winkt uns. Ich kenne ihn ja nicht und wusste nicht, wie er aussieht. Gerhard kommt mit langsamen Schritten auf uns zu, man erkennt von Weitem, dass es ihm nicht gut geht. Er hat nur einen Pullover und eine dünne Jacke an, und eine normale lange Sommerhose mit Sommerschuhen. Er ist krank, das sieht man ihm deutlich an. Man sieht seinen Katheder aus der offenen Hosenöffnung und den dazugehörenden Urinbeutel, der teilweise blutige Sekrete enthält. Gerhard erzählt, dass er heute im Krankenhaus war und darum gebeten hat, einen kleineren Katheder zu bekommen, was vom Krankenhaus abgelehnt wurde und er wurde wieder weggeschickt. Dieser Katheder ist eine schwere Körperverletzung, wie dick der ist und dass er hin und her rutscht. Was sich manche Krankenhäuser auf Kosten der Obdachlosen leisten, ist eine große Frechheit! Gerhard erzählt, dass er erst vor wenigen Minuten hier von ausländischen Jugendgruppen bestohlen und beschimpft wurde und wir überlegen, ob wir die Polizei holen und Anzeige machen. Er möchte einfach nur weg hier, es geht ihm ziemlich schlecht. Wir laden die 2 Sackerl von Gerhard ein und brechen auf, in unsere Wohnung in die Eullerstrasse, wo Gerhard ein paar Tage bleiben darf. Eigentlich ist die Wohnung einem anderen Obdachlosen versprochen, aber das hier ist ein absoluter Notfall, über den ich nicht hinwegschaue. Dieser Mann muss dringend weg, von der Straße, sonst überlebt er diese Nacht nicht. Angekommen in der Eullerstrasse, drehen wir die abgestellte Heizung auf und merken, dass nur die Lampe beim Einschalten durchbrannte, nicht aber der FI flog. Trotz abgedrehter Heizung ist es nicht kalt in der Wohnung, und Gerhard erfreut sich über die Einrichtung und den Gesamtzustand der Wohnung. Rudi und ich überziehen das Spannleintuch und packen seine mitgebrachten Decken und Polster aus. Gerhard ist überglücklich, hier bleiben zu dürfen. Er erzählt, dass die letzten Tage in irgendwelchen eisigen Kellern der pure Horror waren, sehr, sehr kalt und er wurde immer wieder von den Plätzen vertrieben. Hatte keinen fixen Schlafplatz. Rudi und ich sind entsetzt über Gerhards Situation und seinem Gesundheitszustand, er würde eigentlich dringend in ein Krankenbett im Krankenhaus gehören als in eine private Wohnung. Ich sage Gerhard noch: „Egal was ist, wenn du mich brauchst, ruf mich an, egal zu welcher Zeit“. Ich möchte, dass er sich sicher fühlt in dieser Wohnung und in seinem Zustand. Er verspricht mir, sich zu melden, wenn sich sein Gesundheitszustand verändert oder er etwas benötigt.
Rudi und ich brechen nochmal auf, zum Terminal, dort sitzt Lennart, alleine in der Kälte. Für Lennart haben wir leider keine Lösung grade anzubieten, wir haben kein freies Bett mehr und keine Wohnung mehr, wo noch Platz wäre, leider. Lennart ist sichtlich enttäuscht, weil auch er große Angst vor der Kälte hat. Wir geben ihm heißen Tee, frische Unterwäsche und dicke Socken, und wir bleiben noch bei ihm stehen und quatschen ein wenig. Dann brechen wir auf, zu unserer Bahnhofsrunde, in die Tiefgarage, in die Keller. Gegenüber von Lennart auf Terminal A sitzt wie immer, Elke schlafend über ihre Koffer und hat die Augen zu, wir stören nicht. Neben Elke ist ein Ungar, dem wir heißen Tee bringen und dann weitergehen, in die Katakomben des Bahnhofs. Auf dem Weg in die Bahnhofstiefgarage steht uns eine Gruppe von etwa 10-15 ausländischen Jugendlichen im Weg, wir versuchen ein Durchkommen ohne ein Wort, da platzt es von einem Jugendlichen in einem aggressiven Ton in unsere Richtung: „Is was?“ Rudi und ich drehen sich nicht um und schenken dieser dummen Bemerkung kein Augenmerk. Wir drehen unsere Runde und schauen ob irgendwo Obdachlose ihr Schlaflager aufgeschlagen haben, aber es war nichts. Auf dem Rückweg wieder durch diese Gruppe Jugendlicher, und sie beobachten jede Bewegung von uns, ich bin geistig auf einen körperlichen Angriff von den Jugendlichen eingestellt, doch es war nichts, nur Gemurmel und aufzuzeigen, das eine „Gruppendynamik“ alles eskalieren lassen könnte. Wir schenken diesen „Gästen“ keine weitere Bedeutung und gehen zurück zu unserem Bus. Dort angekommen wechseln wir noch ein paar Sätze mit Lennart, bevor wir aufbrechen, ins dunkle und mittlerweile -5° kalte Linz. Prognostiziert wurden für heute Nacht -9°.
Wir fahren zur Nibelungenbrücke, wo ebenfalls ein Schlaflager sein soll. In der Nacht sehen wir viele Reaktionen im Verkehr, die von einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt herrühren könnten, denn so eine Fahrweise hat kein normaler Mensch, heute aber sind viele offensichtlich unberechenbar, also heißt es „aufpassen“! Unter der Nibelungenbrücke angekommen, finden wir heute niemanden dort sehen aber zugleich, dass hier jemand öfters geschlafen hat.
Wir fahren weiter, zu Gerald und Franziska. Es ist schon 21.45 Uhr und wir haben schon -8°, bei Gerald und Franziska zieht der eiskalte Wind um die Ecke, Gerald sitzt 1 Meter neben der Ecke und bekommt die volle Ladung Eiseskälte ab. Franziska bittet um einen heißen Tee: „ I steh aber heut nimma auf, mir ist kalt“, Rudi reicht ihr einen großen Becher Tee, Gerald bekommt ebenfalls einen und 1 Pkg. Zigaretten, die speziell für Gerald gespendet wurde. Er freut sich sichtlich und bedankt sich immer wieder. Wir erzählen noch vom künftigen Verteil-Donnerstag und dass es Geschenke geben wird. „Vielleicht kimm i“, kommt von Gerald, der bis heute noch nie beim Bus war. Ich würde mich riesig freuen, lieber Gerald. Nach einigen Minuten spür ich wie die Kälte in jede Pore schlüpft und brechen hier ab, wünschen den Beiden alles Gute und gehen zum Bus.
Beim Bus habe ich einen Anfall von Müdigkeit, ich komme aus dem Gähnen nicht mehr heraus und sage noch zu Rudi: „Heute brechen wir früher ab, ich kann nimma“. Rudi versteht meinen Zustand, er war heute Vormittag auch beim Spendenannahmetag dabei, wo wir uns die Beine in den Bauch stehen durften. 2 Stationen noch dann brechen wir ab, Fernheizwerk und Pleschingersee, beide einsam und verlassen, um 22.45 Uhr und bei -8,5° fahren wir Richtung Lager Ansfelden, um alles wieder auszuladen und einzulagern. Rudi und ich sind geschafft, emotional gebeutelt und ziemlich ratlos, was künftig alles passieren müsste, um unsere Schützlinge genauso zu behandeln, wie es jeder andere Bürger auch verdient und einfordert, doch bis dahin ist es noch ein langer, steiniger Weg. Solange die Politik wegschaut, Zahlen nach unten manipuliert und die Willkür in Linz Feste feiert, wird sich nichts ändern. Ich kenne KEINEN einzigen politisch Verantwortlichen, der in Linz an einer Verbesserung der Situation für Obdachlose Interesse hat, die sind alle höchst beschäftigt mit ganz viel unwichtigen Detailfragen zu unzähligen unwichtigen Entscheidungen. Wichtig ist ja auch, große politische Verantwortung von sich zu weisen, sonst könnte ja jemand drauf kommen, dass die Situation für viele Obdachlose in Linz einfach nur hoffnungslos ist, das kümmert aber keinen dieser Bonzen, im Gegenteil!
Wir bedanken uns bei all unseren Spendern:innen und Gönnern:innen, dass wir auch diese Linz-Tour zu den Hot Spots fahren durften. Vergelt’s Gott und habt großen Dank! Gott segne Euch! Allen noch einen friedvollen 4. Advent und alles liebe.