Der direkte Weg in die Armut!
In den letzten Tagen ...
... gab es viel zu koordinieren, viel zu tun und viel, einfach so zu lassen, wie es grade ist. Diese Zeit ist einerseits die schönste Zeit im Jahr, für uns und unsere obdachlosenhilfsaktion.at ist es die stressigste Zeit, es ist „Hochsaison“ während den kalten Wintermonaten. Viele Menschen brauchen Hilfe und Unterstützung, brauchen ab und zu moralischen Rückhalt und viele brauchen einfach nur Hoffnung, die man vielen Menschen bereits systematisch genommen hat. Dass wir in einer sehr schwierigen Zeit leben, weiß jeder, was es aber heißt, am Rande der Gesellschaft ohne Rücklagen, ohne ausreichend Einkommen zurande kommen zu müssen, wissen nur jene Menschen, die es mitmachen müssen.
Man kann Lebenslagen anderer Menschen immer wieder relativieren, man kann aber auch die Problematik sehen wollen und erkennen, wie schwer es zunehmend wird sich nur die allernötigsten Dinge noch leisten zu können. Jemand der immer wieder auf die Butterseite des Lebens fällt, hat nicht viel zu befürchten, Angst müssen jene Menschen haben, die keine Ersparnisse mehr haben, die mit den letzten Mieterhöhungen und Betriebskostenanpassungen ihr letztes Geld im Monat hergeben müssen. Zum Einkauf von Lebensmittel reicht es vielmals nicht mehr, für Extrasachen beim Einkauf reicht es schon lange nicht mehr. Und dabei kommen all die Jahresabrechnungen und künftigen Vorschreibungen erst im Laufe des 1. Quartals 2023, wovor ebenfalls viele, auch ich, große Angst haben.
Wenn man sich nicht einmal einen Einkauf mehr in einem Sozialmarkt leisten kann, spricht das sehr wohl, Bände. Das spärliche Angebot, das den Menschen noch zur Verfügung steht, geht ebenfalls zur Neige. Manche Hilfsvereine haben schon geschlossen mangels Ware, manchen steht dieses Szenario noch bevor. Wie die ganze Situation noch halbwegs menschlich bewältigt werden kann, ist mir ein Rätsel. Diese Woche rief mich eine Frau an, nach der Stimme nach, um die 30 Jahre alt. Sie gibt ihr letztes Geld für die Miete aus, denn sie bekam grade eine kleine Wohnung zur Verfügung gestellt, hat aber kein einziges Möbel, kann sich keine Lebensmittel kaufen und vegetiert in ihrer Sprachlosigkeit vor sich hin. Ich schlug ihr vor, am Donnerstag zum Bus zu kommen, leider hat sie das Geld für die Öffies nicht, um zu uns zu kommen. Es scheitert schon an den € 2,90 für eine Fahrkarte mit der Bim, um zu unserem Bus zu kommen. Ich habe ihr am Heiligen Abend Vormittag noch genug Lebensmittel gebracht, dass sie bis nächste Woche auskommt. Aber jede Woche kann auch ich das nicht leisten, Lebensmittel zuzustellen, das geht zu weit, da wäre ich nur noch damit beschäftigt. Aber zu wissen, dass da draußen jemand hungert oder friert, wäre für mich der absolute Supergau, darum bin ich gefahren.
Für diesen Verteil-Donnerstag haben wir von Andy, dem Pächter des Gasthauses Löwenherz, ein Gulasch mit Spätzle versprochen bekommen, das wir heute gerne austeilen werden. Andy wird uns auch Kuchen und Kekse backen und einen Kinderpunsch anrichten, den wir heute ausgeben. Auch Eure Weihnachtsgeschenke werden wir heute austeilen, auch nächsten Donnerstag werden noch Geschenke ausgeteilt, da wir in der Endphase noch viele Geschenke bekamen. Dieser Tag heute verspricht enormen Stress, verspricht viel zusätzliche Arbeit und erfordert nach den Vorkommnissen der letzten Wochen, große Aufmerksamkeit. Da letzte Woche, Mitte des Monats schon 115 Menschen zu unserem Bus kamen, rechnen wir heute nochmal mit einem weiteren Anstieg, und es sollte sich schlussendlich bewahrheiten. Wir sind gewappnet, unser Team ist gerüstet für den heutigen Tag. Schon bei all den Vorbereitungen am Vormittag waren genug Helferleins im Lager, um alles wie geplant abzuarbeiten.
Peter hilft am Vormittag im Lager und holt um 14 Uhr das Gulasch vom Gasthaus Löwenherz, bringt es dann auf direktem Wege nach Linz, er nimmt die Gasflasche und den Gaskocher mit, den Chafing Dish (Speisenwärmer) ebenfalls. Für zusätzliche Würstel (ins Gulasch) haben wir ein Notstromaggregat und einen Würstelkocher dabei. Wir haben auch ganz viele Dinge dabei, die wir sonst nicht in dieser Menge mitnehmen, z.B. extra Süßigkeiten, Knabbereien, Dosenfische, Fertiggerichte und Gebäck bzw. Brot. Das muss alles in unseren Bus rein, da Barbara heute vollgepackt ist mit all den Weihnachtsgeschenken. Wir müssen heute nicht nur an die gewohnten Artikel und Arbeitshilfen denken, nein, heute brauchen wir viel Zusätzliches Instrumentarium.
Die letzte Nacht war fast schlaflos für mich, und deshalb knicke ich regelmäßig mit meinem Allgemeinzustand ein und muss mich immer wieder hinsetzen. Blöd, weil grade heute wo wir jede Hand dringend brauchen. Von all den zusätzlichen Helferleins kommen Peters Bruder, Otto und seine Freundin, Jaqueline und ihr Vater und Petra. Müsste reichen für heute.
Alle Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, ehe Barbara zu Mittag alle zum Tisch ruft, es gibt wieder sensationelle Haschee Knödel mit Sauerkraut. Die Stimmung bei Tisch ist immer eine sehr angenehme, eine sehr kollegiale, wo viel gelacht und besprochen wird. Heute Mittag werden noch auf viele kleine Dinge hingewiesen, auf die wir zu achten haben. Unsere Silvia hat eine selbst gemachte Nachspeise mitgebracht, einfach köstlich. Und für heute Abend, wenn wir vom Verteil-Donnerstag zurückkommen, sind wir bei Patrik Steinberger und Sonja zum Chili Con Carne essen eingeladen.
Die Boxen sind heute voller als sonst, sie sind schwerer als sonst und sie sind zahlreicher als sonst, hoffentlich findet alles Platz im Bus. Beim Einladen haben wir schon unser System, damit wir nichts vergessen und alles auch seinen Platz im Bus hat. Zuerst die schwersten Boxen am Boden, nach oben immer leichter werden damit wir keinen hohen Schwerpunkt haben der kippen könnte. Dann die 10 Biertische einladen, die wir als Abstellmöglichkeit nutzen und zu Guter Letzt dann unsere Kühl- und Gefrierkombi. Es ist kalt genug, so dass wir uns die 2. Kühlkombi heute ersparen und es schlicht in den Boxen lagern. Unsere Beate fährt wieder früher nach Linz, um unseren Platz freizuhalten. Wir, Jaqueline und ihr Vater und ich, fahren um kurz vor 15 Uhr in Ansfelden weg und hoffen, der Wettergott bleibt uns heute gut gestimmt. Bei Ankunft in Linz warten schon etwa 20 Schützlinge und die Warteschlange sollte sehr schnell anwachsen. Insgesamt werden uns heute etwa 130 … 140 Menschen besuchen, und sich Lebensmittel mit nach Hause nehmen. Erschreckend wie die Warteschlange anschwillt, im Gegensatz zu den letzten Wochen ist aber heute totaler Frieden, Disziplin und Geduld in der Warteschlange zu beobachten. Die Unruhe aus den letzten Verteil-Donnerstagen überträgt sich heute nicht, gottseidank!
Peter und sein Bruder haben den Gaskocher und das Notstromaggregat schon bereitgestellt, das Gulasch wird schon auf kleiner Flamme erhitzt, die Spätzle sind heiß und in den Chafing Dishes, der Kinderpunsch in unserem 40 Liter Thermobehälter, alles läuft bestens. Alle PKWs mussten noch umgestellt werden, da die letzte Station in der Reihe, die mit den Weihnachtsgeschenken sein sollte. Unsere „neuen“ Helferleins sind schon gespannt, was heute auf sie zukommen wird. Sie sind schon von all den Vorbereitungen überwältigt: „Dass das so viel Arbeit ist, sieht man ja nicht auf den Bildern“. Tja, liebe Jaqueline, es ist viel Arbeit jeden Donnerstag und heute ist es noch ein bisschen mehr. Punkt 16 Uhr legen wir los, wie immer zuerst anmelden bei Beate, dann können sich die Menschen Lebensmittel holen, anschließend Kleidung, dann bekommen sie ihr Weihnachtsgeschenk und zum Schluss gibt es das sensationell hervorragende Gulasch von Andy. Heute ist es hier besonders eng, weil wir mit den Tischen nicht ganz so nah zur Wand gingen, wie sonst. Als wir die Ausgabe beginnen, stehen die Menschen schon um die Kurve hinten bei der Durchfahrt, leider regnet es heute immer wieder und gerade dort hinten ist keine Überdachung mehr, deshalb schauen wir zu, dass die Hinteren weiter nach vorne kommen, wenn auch dadurch die Traube vorne drastisch anschwillt. Hauptsache sie sind im Trockenen.
Manche kommen heute nur um die Nächtigungsjetons, denen ist die Warteschlange zu lange, sie wollen oder können nicht warten. Manche haben schon jetzt Angst, zu kurz zu kommen, wir konnten jedoch alle beruhigen, es ist genug für alle da. Ich schaue immer wieder bei den einzelnen Stationen zu und frage auch immer wieder nach, ob unser gesamtes Team „save“ ist, ob es allen auch wirklich gut geht und niemand überfordert ist. Im Gegenteil höre ich oft, so viel Dankbarkeit habe ich schon lange nicht mehr erlebt, kommt die erste Rückmeldung. Viele Gesichtern sind voller glänzender Augen, viele bedanken sich mehrmals oder fallen uns gleich um den Hals aus Dank. Gesittet und ruhig läuft heute alles ab, nur hinten bei der Gulaschausgabe stehen die Leute im Regen, also aufrücken ins Trockene. Wir richten einen bereits leeren Tisch her, wo die Leute in Ruhe ihr Gulasch essen können. Die Dankbarkeit ist heute größer als sonst, es ist heute die Weihnachtsausgabe unseres Verteil-Donnerstags, und deshalb mit sehr viel Emotionen behaftet. Mir drückt es ab und an den Hals zusammen und muss gut aufpassen, nicht in Tränen zu versinken.
Wenn man manche Menschen vor sich stehen hat, die Hintergründe ihres Schicksals kennt und die aktuelle Lebenslage sieht, könnte ich oft nur mehr weinen, so traurig macht mich der öffentliche Umgang mit unseren Schützlingen und ihrem Schicksal. Wir mussten auch einsehen, die Welt nicht retten zu können, aber wir können in unserem Umfeld etwas erreichen, und das tun wir, Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat, seit Jahren. Jedem einzelnen Menschen bei unserem Bus zu helfen, ist einerseits eine wunderbare Aktion, damit niemand Hunger leiden muss, doch die Geschichten hinter den Menschen, ist nochmal eine andere Liga. Ich nehme alle Geschichten mit nach Hause, denke sehr viel über die Lebensampeln nach, wo man versehentlich falsch abbiegt, und man kommt ins Strudeln und niemand fängt dich auf. Nachts liege ich oft wach und rede mit Gott und stell ihm fragen, die leider allzu selten eine Antwort finden. Warum z.B. muss jemand, der Vollzeit arbeiten geht, in die Notschlafstelle zum Schlafen gehen? Die Antwort ist, weil er keine leistbare Wohnung mehr findet. Die Mieten explodieren, die Betriebskosten und Energiepreise steigen ins bodenlose, es wird 2023 viele, viele Menschen direkt treffen, auf dem Weg in die Armut bzw. Obdachlosigkeit. Wir sehen jede Woche bei unserem Bus nur die Spitze des Eisbergs, der Eisberg selbst wird erst im nächsten Jahr sichtbar. Wir merken schon seit Wochen, wie die Besucherzahlen steigen und immer mehr Menschen unseren Bus dringend benötigen. Einige erzählen, dass sie zwar noch eine kleine Wohnung haben, aber keinen Strom und kein Wasser mehr, und auch keine Heizung, sie bitten beim Bus um Lebensmittel, sonst wäre die Lage verheerend. Dass es so weit kommen kann, an das dachten bis vor kurzem nur die Wenigsten und da ausschließlich die Pessimisten. Nein, die Lage heute ist keine mehr nur für Pessimisten, die Lage geht schon mehrere Schritte weiter bis hin zur Existenzangst und Panikattacken. Wenn man Menschen in die Enge treibt, ihnen nichts mehr zu essen gibt, werden sie ums Überleben kämpfen, mit allen Mitteln, und davor habe ich genauso Angst, vor Übergriffen.
Unser Verteil-Donnerstag läuft total friedlich und gesittet ab, niemand gibt auch nur ein lautes Wort von sich, eine großartige Stimmung. Ich bleibe eine Weile bei Jaqueline und ihrer Packerlausgabe stehen und genieße die leuchtenden Augen, wenn sie ihre Weihnachtsschuhschachtel bekommen, wunderbar anzuschauen. Ich bin wie jeden Donnerstag, so dankbar, mit meinem Team auf diese Weise direkt und umfassend helfen zu können, dank EURER tollen Unterstützung das ganze Jahr über. Vergelt’s Gott und habt großen Dank dafür! Wir verneigen uns vor Euch, die Ihr so viel Gutes ermöglicht, mit Euren Spenden, Eurem Wirken und tun!
Unser heutiger Weihnachts-Verteil-Donnerstag geht langsam zu Ende, es war ein wunderschöner Tag mit einem großartigen Team das immer wieder jede noch so große Hürde, schafft. DANKE für eure Loyalität und Hilfe, ohne EUCH wäre das alles lange schon nicht mehr möglich. Wir packen gemeinsam zusammen, ich höre von einigen die sich unterhalten, noch schöne Danksagungen und gebe diese gerne ans gesamte Team weiter. So geht ein gelungener Verteil-Donnerstag vorüber, und jetzt freuen wir uns auf die Einladung von Patrik Steinberger und Sonja. Im Lager wird alles ausgeladen, auch das übrig gebliebene Gulasch. Ein Anruf in der Notschlafstelle Wels und Rudi ist schon dorthin unterwegs, dass es den Menschen dort ebenfalls eine große Freude bereitet. Bei Patrik finden wir eine schöne Weihnachtsstimmung vor, wir werden vorzüglich bewirtet und verwöhnt, es war ein vollends gelungener Ausklang des Tages und Eintritt in den Feierabend. Danke lieber Patrik, liebe Sonja, für diesen wunderbaren Ausklang des Tages und das schmackhafte Chili. Es war grandios!
Anmerkung zum Heiligen Abend:
Ich hatte geplant am Heiligen Abend nach Linz zu fahren und unseren Schützlingen zu zeigen, dass jemand an sie denkt, aber leider fand ich nicht mehr die nötige Kraft das wirklich zu machen. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt ein paar Tage Pause machen, ich werde unsere Schützlinge bald wieder besuchen, am Terminal, in den Tiefgaragen und diversen Schlafplätzen, aber ich muss auch zusehen, dass ich nicht ganz wegklappe, dann müssen wir alles einstellen. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich heuer weder die Weihnachtsfeier noch die Linz-Tour machen konnte. It Was Too Much! Sorry!
Euch allen noch erholsame Feiertage und alles, alles liebe und Gute. Gott segne Euch! Ich verneige mich vor all unseren Spendern:innen und vor meinem ganzen Team, das einfach sensationelle Arbeit leistet, im EHRENAMT! :-)