Unsere Zukunft!
Unsere Zukunft!
Vor ein paar Tagen hatte ich einen Tag, der mir schon in der Früh auf die Nerven ging, weil alles irgendwie anders war als sonst. Auf dem Weg zur morgendlichen Stippvisite in meinem Garten gehe ich über meinen Balkon per Treppe in meinen Garten, der Frühtau auf meinen Crogs und die Aluminiumtreppe vertrugen sich nicht und ich rutschte die Treppe runter. Vor ein paar Jahren fügte ich mir genau auf diese Weise Brüche an beiden Händen zu, diesmal ging es glimpflich aus, nur mit Blessuren und blauen Flecken. Im Garten fiel mir dann mein Handy in die nasse Erde meiner Chillies und genau in diesem Moment klingelte das Telefon, konnte wegen dem Schmutz diesen Anruf aber nicht annehmen. Mein späterer Rückruf kam beim Anrufer nicht mehr an. Nach dem Abruf meiner Mails am Computer ging es fröhlich weiter, durch eine unachtsame Bewegung verschüttete ich meinen Kaffee über meinen gesamten Schreibtisch, spätestens jetzt war ich am überlegen, ob ich den Rest des Tages im Bett verbringen sollte, ohne noch etwas anzugreifen. So patschert bin ich selten, aber wie man sieht, kommt es vor.
Der Tag ging weiter mit Hoppalas und Fettnäpfchen, mit Deja-vu und Dingen, die nicht geplant waren. Jedenfalls war der ganze Tag irgendwie nicht meiner und es bedurfte großen Aufwandes alles wieder ins Lot zu bringen. Abends waren all diese patscherten Placebos omnipräsent, im wahrsten Sinne des Wortes. Bis 4 Uhr früh lenkte ich mich am Computer ab, um dann endlich loszulassen und ins Bett zu gehen.
Am nächsten Tag traf ich einen guten Bekannten, der Oberarzt in einem Linzer Krankenhaus ist. Wir haben eigentlich immer Spaß, wenn wir uns treffen, diesmal war das anders, ganz anders. Ich erzählte ihm von ein paar Hoppalas vom Vortag, und er sah, dass ich mit diesem Tag haderte, all die Dinge, die mir am Vortag passierten, dass die mich auch heute noch sehr beschäftigen. Irgendwie kam mir aber kein Lacher aus, auch nicht um das Gespräch etwas aufzulockern, sondern ich ging eher in Richtung Dauer-Kopfschütteln. Als ich dann in seine Augen sah, wusste ich, dass nun etwas kommen würde, was absolut untypisch für unsere Treffen ist. Er erzählte mir mit leiser Stimme und gesunkenem Kopf, dass er gestern, 2 Menschen bei Operationen verlor, sie starben am Operationstisch. Er erzählte mir, dass es manchmal vorkommt, dass er einen Kampf gegen den Tod verliert, aber gleich zwei Mal an einem Tag? Das war zu viel für ihn. Ich fragte auch nicht mehr nach, Einzelheiten waren ganz weit weg, ich sah an seiner Mimik und Gestik wie es ihm heute, am Tag danach, noch geht. Ich versuchte zu trösten, was er mit keinem Wort annehmen konnte. 2 Menschen starben, nicht weil er einen Fehler machte bei den Operationen, nein, sondern weil der Tod diesmal stärker war, und das gleich zwei Mal. Dass auch Ärzte mit sich hart ins Gericht gehen und die Sinnfrage stellen nach so einem Tag, ist mehr als verständlich.
In dem Augenblick als ich seine Situation gänzlich erfassen konnte, waren all meine Deja-vus, alle meine Hoppalas von gestern so klein, so unwichtig, so nichtssagend. Seine Erzählung ging mir durch und durch, jede Pore meiner Haut war offen, mich fror, obwohl die Sonne schien, ich zitterte bei 24° in der Sonne. Ich habe mir geschworen, nicht mehr kleinkariert herumzujammern, sondern dem Tag, egal wie er zu mir ist, zu danken, dass ich ihn erleben darf. Dieses „Gespräch“ werde ich ganz sicher nie mehr vergessen und mir im Geiste immer dann aus der Erinnerung holen, wenn ich unzufrieden oder verwöhnt bin, danach ist mein Fokus wieder ein demütiger und ein anderer.
Es kommt immer an welche Sichtweise man anlegen möchte, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, ob man aufrecht, zufrieden und gespannt durchs Leben geht oder ob man als geprügelter Mensch in gebückter Haltung und mit pessimistischer Einstellung sein Dasein fristet. Manchmal, und das fällt mir heute deutlicher auf als noch vor Tagen, jammere ich auf hohem Niveau, und das ohne wirklichen Grund, viele Dinge werden da ganz klein und unscheinbar, einfach unwichtig, und genau das werde ich mir zu Herzen nehmen und entsprechend handeln und leben. Wie schnell das Leben vorüber sein kann, wurde mir grade deutlich vor Augen geführt, deshalb werde ich trotz vieler Situationen mit unseren Schützlingen, dem Leben die positive Seite abgewinnen, versprochen!
Letzte Woche wurde im Bahnhofspark R. aufgefunden. G. und R. waren „Freunde“, beide verbrachten die letzte Nacht im Bahnhofspark, nebeneinander schlafend im Schlafsack. G. wurde am Morgen munter und fand R. leblos vor. Er starb nachts ohne vorherige Zeichen. R. schrieb mir noch vor wenigen Monaten ein Mail und bat uns um Hilfe, er wollte eine Wohnung anmieten und hätte hierfür eine Kaution gebraucht. Er bekam keine Leistungen, war nicht versichert und hätte auch die Miete nicht bestreiten können. Leider musste ich ihm absagen und er schreib mir dann noch als Antwort, Zitat: „Ich dachte es mir eh, dass ihr mir die € 2600,- nicht leihen könnt‘, aber ich wollte es versuchen, weil das Leben auf der Straße halte ich nicht mehr lange aus, es bringt mich um.“ Aus heutiger Sicht und dem Wissen, dass es so schlecht um ihn stand, mache ich mir heute selbst Vorwürfe, ob ich anders reagieren hätte sollen. Vielleicht hätte ich für ihn Wege suchen sollen, damit er noch eine Chance bekommt, dass er diese Kaution bekommen hätte und in die Wohnung ziehen hätte können. Ich weiß es nicht, liebe Leute, ich kann es euch nicht sagen. Jedenfalls war auch das ein Vorfall, der mich künftig mehr Hilfestellungen in Betracht ziehen lässt. Aber ich bin halt auch nur Mensch und somit nicht perfekt, bin genauso mit Fehlern behaftet und erkenne auch nicht jede Situation auf Anhieb richtig. Leider!
Unseren Verteil-Donnerstag gibt es ab diese Woche wieder jede Woche. Unsere Sommerpausen sind vorüber, sind Geschichte. Wir sind jetzt wieder jede Woche im Einsatz, auch mit unserer Spendenannahme jeden Samstag. Wenn ich Helfer finde, die bereit sind, mit mir die Linz-Tour zu fahren, werde ich auch diese wieder aufnehmen. Nur, alleine werde ich diese nächtliche Tour nicht mehr fahren, zu viel geschah in der Vergangenheit. Nicht durch unsere Obdachlosen, sondern immer durch Menschen, die es nicht verstanden, warum wir ihnen nicht auch helfen. Entweder illegale EU-Ausländer, Flüchtlinge oder Asylwerber, die anderweitig in Betreuung sind und eigentlich keine derartige Hilfe durch uns brauchen. Alleine dadurch, dass wir sagen, sie sollen sich an Caritas oder andere Einrichtungen wenden, wecken wir deren Aggressivität und Wut, gehen dann mit allen möglichen Utensilien auf uns los. Oft schon war es eskaliert und wir dann froh, wenn uns die Obdachlosen geholfen haben, die Situation zu beruhigen und zu entspannen. Mal schauen, wann ich die erste Linz-Tour fahre, ich freue mich trotzdem schon darauf.
Diese Woche hat sich Frau Prof. G. vom Stiftsgymnasium Wilhering angemeldet, wo ich im Frühjahr einen Vortrag über Obdachlosigkeit machte, sie möchte mit ihren Schülern bei unserem Verteil-Donnerstag mithelfen, Lebensmittel auszugeben. Die Kinder im Alter von etwa 13-14 Jahren wollen nach meinem Vortrag die Wirklichkeit unserer Obdachlosen kennenlernen, und wenn es geht, mit ein paar unserer Schützlinge reden, Fragen stellen.
Für die Vorbereitungen heute Vormittag stehe ich leider meinem Team nicht zur Seite, da ich einen wichtigen Termin bei Gericht habe. Ich komme heute erst zu Mittag ins Lager, Gabi, Rena und Hilde schaukeln all die Vorbereitungen, sie können das gut und machen das verlässlich. Hilde fährt gottseidank heute Nachmittag mit nach Linz, um unser Team zu vervollständigen, leider haben wir wegen mehrerer Veranstaltungen zurzeit Mangel an Helferlein, aber kurzfristig schaffen wir es dann immer wieder irgendwie, uns die Arbeit so einzuteilen, dass wir unseren Verteil-Donnerstag gut und problemlos über die Bühne bringen. An jenen Donnerstagen diesen kommenden Winter, wo wir nicht genügend Helferleins haben werden, müssen wir leider pausieren und unsere Schützlinge auf einen 14-Tage Zyklus verweisen, auch wenn uns das am meisten weh tut, aber wenn es nicht anders geht, müssen wir reagieren.
Als ich zu Mittag ins Lager komme, ist schon fast alles hergerichtet, die Kühl- und Tiefkühlboxen sind befüllt, die Wurstsemmerl sind hergerichtet und verpackt, also können wir mit einladen unseres Transporters beginnen. Wir haben noch genügend Zeit, wir müssen keine hektischen Dinge vollbringen, gut Ding braucht Weile. Nach 1 Stunde ist unser Transporter beladen und fast fertig zur Abfahrt, es fehlen nur noch die Kühlboxen, die wir möglichst lange am Netz lassen, um die Akkus noch zu schonen.
Um 15.06 Uhr und bei strahlendem Sonnenschein brechen Hilde und ich im Transporter auf Richtung Linz. Dort erwarten uns schon einige unserer Schützlinge, wir beginnen auszuladen und aufzustellen. Als wir alle Tische aufgestellt haben kommt Frau Prof. G. mit ihren 19 Schülern, eine großartige, quirlige Truppe aus dem Stiftsgymnasium Wilhering, die sich heute riesig freuen, mithelfen zu können. Wir laden noch die letzten Boxen aus dem Transporter dann habe ich Zeit genug, den Kindern zu erklären, was wir wie machen und wo sie heute helfen dürfen. Alle sind motiviert und wollen schon loslegen, ich erkläre den Kindern noch was ein NoGo ist und wie wir damit umgehen, ich erkläre ihnen, dass wir mit jedem unserer Schützlinge respektvoll und wertschätzend umgehen, dass wir sie fragen, was sie gerne hätten, ABER auch, dass hineingreifen und Selbstbedienung gar nicht geht.
Bevor wir mit der Ausgabe beginnen, machen wir noch Fotos von der Geldspenden-Übergabe, die die Kinder der 3D Stiftsgymnasium Wilhering zusammengetragen haben. Sensationelle € 1283,- kamen zusammen und wurden mir übergeben. Wir teilen die 19 Kinder auf die ganze Länge unserer voll beladenen Tische auf, und um 16 Uhr geht’s los, wir starten mit der Ausgabe.
Zuerst die Anmeldung bei mir, beim Computer und dann nach und nach die ganzen Boxen abgehen, um danach beim Bus noch Wurst und Kühlwaren abzuholen. Die Kinder sind voll motiviert und haben großen Spaß daran, sie machen Fotos mit einigen unserer Schützlinge und kommen bald schon zu mir, um anzufragen wann sie wieder kommen dürfen? Wir werden auch heuer wieder Weihnachtsgeschenke direkt an unsere Schützlinge austeilen, an einem der 2 letzten Verteil-Donnerstagen vor Heiligabend dürfen die Kinder Eure Weihnachtsgeschenke direkt an unsere Schützlinge austeilen, am 2. Verteil-Donnerstag vor Heiligabend darf dann auch noch eine 2. Klasse kommen, um auch Geschenke auszuteilen.
Die Kinder sind erstaunt, weil unsere Schützlinge so freundlich und nett sind, weil sie gar nicht so sind, wie sie im Vorfeld dachten. Das zeigt mir auch dass hier oftmals ein falsches Bild von obdachlosen Menschen durch die Welt getragen wird, ein von Grund auf falsches. Deshalb ist es gut und hoffentlich für die Kinder prägend, dass Obdachlose auch ganz „normale“ Menschen sind und nicht so, wie man manchmal versucht, sie völlig falsch darzustellen.
Ich gehe immer wieder mal durch, bis nach ganz hinten, um nachzufragen ob eh alles in Ordnung ist und niemand an einem Schicksal „hängen“ bleibt. Hier ist größte Vorsicht geboten, dass die Kinder nichts in die Situation hineininterpretieren, 2 ehemalige Helferinnen machten das und zerbrachen fast daran, mussten bei uns aufhören, weil sie die Schicksale nicht ertragen konnten. Aber bei den Kindern gibt es keine Probleme, die beiden Lehrkräfte haben alle Kinder im Blick und können sofort reagieren, das ist gut so. Auch die Lehrkräfte sind beeindruckt von unserer Aktion, von dem was wir hier machen, und vor allem wie wir es machen.
Am Ende werden es 99 Menschen sein, die heute zu uns kommen und die von den Kindern und unserem Team versorgt werden. Es werden wieder 99 Schicksale sein, die Hilfe brauchen und die nicht wissen, wo sie sonst, kostenlos Lebensmittel für 1 Woche bekommen würden. Heute in der Warteschlange ist auffällig, dass wir ganz viele ältere Frauen stehen haben, einige neue und viele bekannte Gesichter. Viele von den wartenden Frauen versuchen sich in der Warteschlange zu verstecken, weil sie sich wegen ihrer Armut schämen. In Wirklichkeit ist Armut absolut kein Grund, sich zu schämen, denn dieses Schicksal kann wirklich jede/n treffen, JEDE/N!
Wir geben heute insgesamt 68 Jetons an unsere Schützlinge für die Notschlafstelle aus, damit sie in den bereits sehr kühlen Nächten wenigstens an 2-3 Tagen in der Notschlafstelle schlafen können. Mittlerweile kostet 1 Nacht, also 1 Jeton, € 4,50, die auch wir zu diesem Preis ankaufen müssen. Zusammengerechnet kostet so ein ganz normaler Verteil-Donnerstag nur mit den Lebensmitteln, die wir jede Woche zukaufen müssen, etwa € 400,-, also im Monat etwa € 1600,-. Viele unserer Schützlinge bitten heute vermehrt um warme Jacken, neue Winter-Schuhe, Winter-Schlafsäcke und warme Iso-Matten, irgendwie brauchen wir dringend eine Helferin, die künftig an den Verteil-Donnerstagen wieder in unserem Humer-Anhänger stehen möchte und von dort unsere Kleidung ausgeben möchte. Vielleicht finden wir ja eine Kleider-Dame, wäre toll.
Langsam geht der Verteil-Donnerstag zu Ende, meine Uhr zeigt mir 17.46 Uhr und ich hätte nicht gedacht, dass wir schon so nah am Ende unseres Verteil-Donnerstags sind, wo ist heute nur die Zeit geblieben? Die Kinder müssen zum Zug, sie werden die heutige Nacht gemeinsam in der Schule verbringen und in einem Gespräch mit den Lehrkräften nochmal Revue passieren lassen, eine tolle Idee, dann sind die Kinder zu Hause nicht alleine mit ihren Eindrücken. Ich bin echt überrascht, wie reif die Kinder sind und wie sie sich artikulieren, bin begeistert, vor allem wie sie den Nachmittag im Rückblick sehen. Ich glaube, bei den Kindern wurde heute deren soziales Gewissen positiv gestärkt, und sie gehen so leicht damit um, und sie wurden auch im wertschätzenden Umgang mit Schwächeren gestärkt, was ja auch nicht alltäglich ist. Unser gesamtes Team ist beeindruckt, wie die Kinder mit Armut umgingen. Macht weiter so, liebe 3D Klasse des Stiftsgymnasiums Wilhering, ihr seid ganz große Menschen, bleibt bitte so, dann kommt die Welt irgendwann in bessere Hände, in viel bessere.
Wir packen alles ein und räumen auf, verabschieden uns von der Klasse 3D und brechen auch Richtung Ansfelden auf, wo wir wieder alles einlagern bis nächste Woche, bis zum nächsten Verteil-Donnerstag. Eine tiefe Verneigung all unseren Gönner:innen und Wegbegleiter:innen, ein dankbares VERGELT’S GOTT und DANKE dass wir auch diesen Verteil-Donnerstag machen durften mit Euren Spenden, Gott segne euch.
In meinem Kopfhörer trällern Mac & Katie Kissoon den Titel „I’ve Found My Freedom“, irgendwie passt dieses Lied gerade zu meiner Stimmung, ich wünsche Euch einen erholsamen Sonntag und alles liebe.