Warum gehen wir so mit Menschen um?
Wir sind ja im „Sommermodus“, das heißt wir haben zurzeit nur 14-tägig Spendenannahme in unserem Lager und wir fahren auch nur 14-tägig nach Linz zu unserem Verteil-Donnerstag. Letzte Woche Mittwoch und Donnerstag jedoch haben mich etwa 25 Bedürftige angerufen, ob wir nicht doch am Donnerstag (letzte Woche) mit Lebensmittel kommen könnten, da einige Einrichtungen scheinbar geschlossen haben. Daraufhin entschieden Barbara und ich, wir packen die nötigsten Lebensmittel zusammen und fahren ins Terminal, um dort Lebensmittel und Hygieneartikel zu verteilen. Die Schützlinge, die dann kamen, waren mehr als glücklich uns zu sehen. Wir waren etwa 1 ½ Stunden am Terminal, ehe wir dann noch zu Florian und Gerald fuhren und auch bei den Beiden unsere Spenden ließen. Warum sich hier manche Einrichtungen nicht absprechen und einfach zusperren, ist mir ein Rätsel! Aber scheinbar hat sich nicht viel verändert in all den letzten Jahren, die Kommunikation unter all den Vereinen und Einrichtungen hat noch gewaltig viel Luft nach oben.
Am Montag war vereinbart, eine Spende in der Größe einer Palette Berner Würstel, von den Fleischwerken Marcher (ehem. Landhof) abzuholen und einzufrieren. Vielen lieben Dank liebe Geschäftsführung und lieber Manuel, für diese großartige Spende. Für Mittwoch wurden uns weitere Paletten Wurstwaren zugesagt. Großartig.
Am vergangenen Dienstag erhielt ich einen Anruf, dass es wieder von Seiten des Magistrats und der Stadt Linz eine gewollte Eskalation am Terminal gab. Nach all den vereinbarten Terminen tagsüber fuhr ich am Dienstag-Abend um 18.30 Uhr ins Terminal und nachzuschauen, was heute alles passiert ist. Unsere Gaby und alle anderen anwesenden Obdachlosen wurden unter Aufsicht und Führung der Polizei und im Lichte eines Fotografen des Magistrats, wie Tiere aus dem Terminal getrieben, um den schon wartenden Müllwagen problemlos die Entsorgung der letzten Habseligkeiten aller Obdachlosen am Terminal, zu erleichtern. Hier wurde keine Rücksicht auf private Dinge genommen, auf Rucksäcke oder Taschen, auf Lebensmittel oder Kleidung, alles wurde einfach entsorgt, wie schon des Öfteren dort. Gaby warf man sogar die neuen Crogs, die wir ihr letzten Donnerstag erst gaben, weg. Gaby hatte keine Socken mehr, keine Schuhe, keine Lebensmittel und keine Hoffnung mehr.
Ich sah Gaby noch nicht sehr oft weinen, aber diesmal war es ihr zu viel. Ihre Matratze, ihren Schlafsack und ihre Isomatte, ihre warme Jacke für die kühlen Nächte, alles einfach entsorgt. Wer hierfür persönlich verantwortlich zeichnet, kann ich nicht sagen, aber es war wie schon so oft, lt. Auskunft ein Auftrag des Magistrats. Ausgeführt von hinterfotzigen Verwaltungstätern, die scheinbar weder Empathie noch Charakter und noch weniger Anstand haben. Neben Gaby lag Affi auf einer Bank, der grade aus dem Krankenhaus geworfen wurde, trotz aufgequollener und mit Wasserblasen übersäten Beine. „I hab schon wieder ein Platzverbot hier bekommen, meinen Schlafsack und meinen Rucksack haben sie mir weggeworfen, ich weiß nicht mehr weiter und weiß nimmer, wo ich noch bleiben kann und darf, überall werde ich vertrieben“. Affi ist angesichts seiner Beine und quälenden Schmerzen emotional am Ende, bei den „Schwestern“ warf man ihn nach ein paar Stunden Schlaf und großen Schmerzen trotzdem um 4.30 Uhr früh aus der Ecke in der Notaufnahme, ohne Medikamente und ohne weitere Versorgung, und dann wirft man ihm auch noch seine letzten Habseligkeiten einfach weg. Wie SCHÄBIG!!!
Ich bin dann sofort ins Lager gefahren, es war mittlerweile fast 19.30 Uhr, und stellte ein Paket mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, sowie Schlafsäcken, Isomatten und Jacken zusammen, um dann wieder aufs Terminal zu fahren. Jetzt waren es nicht mehr die 9-10 Obdachlosen, die immer am Terminal sind und dort schlafen, plötzlich standen 23 Leute vor mir, die teilweise alle das gleiche Schicksal haben, weil alles entsorgt wurde. Gottseidank hatte ich mehr eingepackt als ursprünglich benötigt, jetzt war ich darüber sehr, sehr froh. Jeder bekam etwas zu essen und die Dinge, die dringend gebraucht wurden. Die Worte von Affi, Zitat: „I mog nimma leben, de vertreiben mi überoi, nirgends derf i bleibn, i mog nimma“. Diese Worte geistern noch heute dauernd in meinem Kopf, weil Affi schon alles verloren hat, seine Würde, seine Selbstständigkeit und seine Hoffnung, so zerstört man gezielt Menschen.
Am Mittwoch fuhr ich dann zum 2. Mal zu den Fleischwerken Marcher und holte die neuerliche tolle Spende über 3 Paletten verschiedener Wurstwaren ab, die wir gleich ins Tiefkühllager brachten und die dort warten, verbraucht zu werden. Vielen Dank auch für diese tolle Spende an die Fleischwerke Marcher.
Begonnen hat man mit Leo, dessen Anwesenheit von der anwesenden Redakteurin und der Kamerafrau von Servus TV, gefilmt wurde, später fuhr man mit Leo auch an die Plätze wo er als Obdachloser, gelebt und geschlafen hat. Das Team von Servus TV handelte absolut großartig, es wurde immer darauf Rücksicht genommen, wenn jemand nicht gefilmt werden wollte. Einige Interviews später diskutierte ich mit den Fernsehleuten über die Problematik der Obdachlosen hier in Linz und sprach auch viele Vorkommnisse an, die von der Stadt Linz ausgehen. Dass die Willkür groß und der Anstand der Entscheidungsträger sehr zu wünschen übrig lassen, was auch wirklich so ist. In Linz baut man um zig-Millionen 2 Fußballstadien, aber man findet keinen adäquaten Platz, wo die Obdachlosen bleiben und leben dürfen, wo sie weder vertrieben noch bestraft werden.
Was ist das für eine Gesellschaft, die so etwas, ohne zu hinterfragen, zulässt? Was muss noch alles passieren, dass Menschen wie Menschen, und nicht wie Tiere behandelt werden? Das Recht nehme ich mir, die Dinge beim Namen zu nennen und die Dinge so darzustellen, wie sie tatsächlich geschehen sind. Dass sich manche Verantwortliche wieder mit der üblichen Dramaturgie aus der Affäre ziehen werden, ist für Linz selbstverständlich.
Die Fernseh-Ladies nahmen alles auf und waren empört, wie man in Linz mit unseren Schützlingen umgeht. Dieser Verteil-Donnerstag ist kein normaler, schon durch die Anwesenheit der Optiker von Brillen Zwerger und der Anwesenheit von Servus TV, war eine gewisse Hektik zu spüren. Und, da bei den letzten Verteil-Donnerstagen nur wenige Schützlinge kamen, glaubten wir an unsere eigene Schuld, weil so wenige kamen. Aber auch aus den Einrichtungen erfuhren wir, dass weniger Bedürftige kamen. Heute werden es am Schluss 96 Schützlinge sein, die zu unserem Bus kamen und sich Lebensmittel, Hygieneartikel, neue Brillen holten oder einfach nur unsere Nähe suchten. Einige sagten uns, dass sie nichts brauchen würden, aber gerne hier sind, um sich mit anderen auszutauschen. Das freut mich besonders, wenn jemand zu uns kommt und nichts benötigt, sondern uns einfach nur aus Dankbarkeit einen Besuch abstattet, weil wir ihm oder ihr geholfen haben, oder weil der Bus immer auch ein Signal der Verbundenheit in die Welt projiziert.
Von all den Vorbereitungen für diesen Verteil-Donnerstag erzähle ich heute nichts, da ohnehin jedes Mal der gleiche Ablauf passiert. Viel wichtiger ist, das Geschehen beim Bus zu dokumentieren und zu transportieren. Unser „langer Hansi“ kommt mit unzähligen Schürfwunden an Ellenbögen und Knien und erzählt, dass er sich wegen eines Anfalls verletzte. Hansi sieht gar nicht gut aus, er ist vorher im Bahnhofspark kollabiert wegen der Hitze und er hat nichts getrunken, was er hier beim Bus gleich nachholt.
Teilweise ist der Trubel einigen schon zu viel, mir auch. 96 Menschen in so einer kurzen Schlange bei Laune zu halten, für Max und mich heute ein kleines Kunststück, aber Max ist da ein Vollprofi.
Rene, den wir ein paar Monate in einem Zimmer hatten, lässt sich heute auch wieder blicken, er war schon längere Zeit nicht mehr hier und sagt dauernd nur: „Ich hole das für Affi, nicht für mich“, nach dem gefühlten 20. Mal sage ich ihm, dass ich es mittlerweile gehört und verstanden habe, dass er für Affi, der am Terminal liegt und nicht mehr gehen kann, die Lebensmittel holt. Später, bevor ich zurück ins Lager fahre, werde ich noch ins Terminal fahren und bei Affi vorbeischauen. Aber hier beim Bus heute, ist überwiegend tolle Stimmung und gute Laune, bis auf die paar genannten Problemchen. Auch dass sich wieder illegale Rumänen in die Reihe stellten, haben wir sofort unterbunden. Wir gaben ihnen Wurstsemmeln und Apfel bzw. zu trinken, und Sr. Lydia übersetzte ihnen dann, wo sie Hilfe finden werden. Wir machen uns strafbar, wenn wir diese Menschen mit Spenden versorgen und außerdem, kümmern wir uns ohnehin schon um viele, viele Menschen in Not. Es gibt eine Anlaufstelle für diese illegalen Menschen hier, die Armutsmigration der Caritas, dort bekommen sie zu essen und eventuell einen kostenlosen Fahrschein der ÖBB für die Rückfahrt in ihre Heimat. Aber wie gesagt, wir sind hier der falsche Ansprechpartner.
Ein paar Schicksale spreche ich an, erzähle von Problematiken und Herausforderungen, und niemand glaubte bis vor kurzem, dass es solche Dinge in Österreich gibt. Das sehen wir auch immer wieder bei den Vorträgen, dass viele Zuhörer von den Konsequenzen, von all den Schicksalen, schockiert sind. Dass wir bei all den Vorträgen nicht nur die negativen Dinge aufzeigen, sondern auch von positiven Entwicklungen berichten, ist selbstverständlich, aber leider überwiegen meistens die negativen Erzählungen aus dem „System“ und wie man mit Obdachlosen umgeht. Einige Zuhörer dichteten uns schon an, dass wir bei den Vorträgen nur Mitleid erregen wollten, was ein total falscher Gedanke über uns ist. Wir wollen aufzeigen und die Dinge ansprechen, die schief laufen bei uns, und das sind wahrlich viele!
Der Verteil-Donnerstag geht langsam dem Ende entgegen, ich gebe noch ein Interview für Servus TV, unser Team beginnt schon, einzuladen. Die Optiker haben auch noch 1 Wartenden vor dem Wagen, wir laden alles in den Bus.
Unser Team fährt ins Lager vor und ich fahre, wie versprochen noch ins Terminal, zu Affi. Ich bleibe, diesmal mit Anhänger, im Terminal bei Gaby stehen und sehe von weitem, Affi. Er krümmt sich vor Schmerzen und weint, weil er die Welt nicht mehr versteht, weil er nicht verstehen kann, wie Menschen mit ihm umgehen. Seine Beine sind sehr stark geschwollen, voller Wasserblasen, sein Körperwasser steht in großen Tropfen und Blasen auf der ganzen Haut. Er kann weder aufstehen noch gehen. Ich rufe daraufhin 144, Rettung, Affi muss unverzüglich ins Krankenhaus. Um 18.44 Uhr setzte ich den ersten Anruf auf 144, um 19.05 Uhr den 2. Anruf, wo man mir wörtlich sagte, Zitat: „Wir haben andere Dinge zu machen als den Herrn Affenzeller dauernd spazieren zu fahren, wir hatten einen Einsatz und das Fahrzeug würde eh gleich kommen“. Bumm! Um 19.10 Uhr kam dann das Fahrzeug an.
Weil Affi schon einige Male diese Woche ins Krankenhaus gefahren wurde, dort aber immer wieder rausgeworfen wurde, deshalb artikuliert man sich auf der 144 derartig? „Wir hatten einen Notfall, der war wichtiger als Herr Affenzeller“. Hier wird mir suggeriert, dass in der Stoßzeit die Rettung nur 1 Fahrzeug zur Verfügung hätte, in Wirklichkeit hatten sie 5 Fahrzeuge. Mit den Sanitätern vor Ort habe ich dieses Problem dann ausreden können, sie erklärten mir auch die Lage, trotzdem war der Ton am 144er Telefon unter aller Kanone.
Ich bin nicht jemand der Dinge dramatisiert, aber wenn man die Beine sieht (Bilder im Posting), kriege ich eine große Wut wie man hier diesen kranken Menschen einfach in eine Ecke der Notaufnahme stellen kann um ihn dann um 4.30 Uhr früh unfreundlich rauswerfen kann. Affi ist versichert, er bekommt eine kleine Pension und ist deshalb krankenversichert, und gegenüber diesem Menschen haben sich weder Ärzte noch Schwestern in eine Angriffsposition zu bringen, sie haben diesen Menschen einfach zu behandeln, PUNKT!
Was ist nur los in unserem System, in unserer Gesellschaft? Wie kann man nur so kalt und ignorant handeln und Menschen, die ohnehin schon am Boden und am Rand der Gesellschaft sind, nochmal den schwarzen Peter zustecken? Langsam spüre ich, wie pervers sich unsere Gesellschaft in eine Richtung entwickelt, die nicht gut sein kann und nicht gut sein wird, für NIEMANDEN!
Dieser Verteil-Donnerstag war ein großes Erlebnis, zuerst positiv und später dann, eher ein trauriges. Ich werde, liebe Leute, immer gegen solche Ungerechtigkeiten vorgehen, werde meinen Mund nicht halten, unsere Schützlinge haben leider kein Sprachrohr und keine Lobby, die Rücksicht auf sie nimmt. Alleine die Tatsache, wie man als Krankenhaus so einen kranken Menschen nachts wieder auf die Straße setzen kann, ist mir unbegreiflich und höchst menschenverachtend.
Allen Beteiligten für das Gelingen des heutigen Verteil-Donnerstages ein besonders herzhaftes VERGELT’S GOTT und DANKE!
Ein dankbares Vergelt’s Gott ergeht auch an all unsere Spender/innen, die auch diesen Verteil-Donnerstag wieder möglich machten. Habt großen Dank und wir verbeugen uns ob dieser tollen, menschlichen Gesten vor Euch allen. Gott schütze Euch!