Wohin geht die Reise?
Nach all den Turbulenzen...
...die mich im Laufe der Woche förmlich in stete Bedrängnis brachten, hoffte ich, dass ich etwas abgelenkt werde bei der Spendenannahme am Samstagvormittag. Noch vor Beginn kommt Michael Mollner von der jungen SPÖ Linz-Land, die heute beim Billa Plus in Enns wieder für uns Lebensmittel und Hygieneartikel sammeln wollen, und dazu 50 Bananenschachteln brauchen. Michael macht für uns immer wieder solch tolle Aktionen, vielen lieben Dank dafür, dir und deinem großartigen Team. Um 8Uhr früh hieß es, 1500l Mineralwasser, das wir zwischenzeitlich woanders eingelagert hatten, mussten wir nun gezwungenermaßen in unser Lager quetschen. Gleich morgens kam Kathi zu uns ins Lager, eine tolle junge Frau, die uns ebenfalls im Facebook entdeckte und bei uns als aktives Mitglied mitmachen möchte. Ich zeige Kathi unser Lager und erzähle ihr ein paar Fakten, zu unserer Aktion und unserem Verein. Begeistert übergebe ich Kathi an unsere Petra, die sich fortan bei Fragen um Kathi kümmert. Sie kommissioniert gleich mit und integriert sich großartig in unserem Team, toll!Am heutigen Vormittag denke ich viel über meine Zukunft, über die Zukunft meines Vereins Obdachlosenhilfsaktion nach, wie es weitergehen könnte, ob es weitergehen kann, ob der Weg für mich noch „richtig“ ist. Schuld daran sind Ereignisse, fast schon täglich, an denen man mich für Dinge verantwortlich machen möchte, die ich weder in die Welt gesetzt habe noch dafür verantwortlich zeichnen kann oder möchte. Wenn man immer wieder mit groben Unterstellungen konfrontiert ist, die an den Haaren herbeigezogen sind und einfach nur aus Boshaftigkeit in die Welt gesetzt wurden, ist irgendwann das Fass voll. Jeder zusätzliche Tropfen bringt das übervolle Fass zum Überlaufen. Wenn man sich täglich rechtfertigen muss für etwas, das man selbst nicht in der Hand hat, dann kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo man sich kritisch hinterfragen muss, ob man das alles in dieser „Intensität“ noch möchte und kann, weil die Lebensqualität massiv darunter leidet. Die kommenden Tage werden mir Aufschluss geben, wohin meine Reise geht, in welcher Form ich weitermachen kann und dazu bereit bin. Der Samstag verläuft ruhig und stimmig, hauptsächlich arbeiten wir die ganzen Spenden ab, die ich die letzten Tage aus Wels, aus Steyr usw. abholte. Jutta, meine heutige Begleiterin kommt auch schon am Vormittag und hilft im Lager mit. Unsere Petra hat den vollen Überblick und Christian unterstützt sie Best möglichst. Um 12.45 Uhr schließen wir unser Lager, ein Nachmittag mit vielen Telefonaten steht mir bevor. Also heim, Rena hat mir eine schmackhafte Kohlrabi Suppe vorbeigebracht, die ich noch schnell esse, bevor ich all die anstehenden Sachen anpacke, danke dafür!
Vieles kann ich dann doch nicht abhandeln und erledigen, weil die Menschen, die um einen Rückruf gebeten haben, nicht abheben, tja. Ich rufe dann für unsere nächtliche Linz-Tour heute Abend, alle unsere Schützlinge an, dass wir vorbeikommen. Einzig Rene ruft nach ein paar Minuten zurück, dass er heute nicht besucht werden möchte. Da werde ich hellhörig und hinterfrage natürlich gleich den Grund. Rene legt einfach auf. Auch gut. Um 17 Uhr koche ich 8 Liter Instant-Tee für heute Abend, es blieben auch noch Käse- und Neuburger Semmeln von der Jause vormittags im Lager, über, die wir mitnehmen und verteilen. Jutta ist mit ihrer „Feuerwehr“ unterwegs und kommt um 17.45 Uhr, also kanns losgehen.
Erste Anlaufstelle ist wieder Stefan am Pichlingersee, der weder absagte noch anwesend ist. Seine Bank ist gottverlassen und dunkel, ich versuche ihn telefonisch zu erreichen, er drückt mich weg und ruft nicht zurück. Hier werde ich mir auch überlegen müssen, ob wir nochmal auf gut Glück hinfahren, wenn er uns so ins Leere fahren lässt. Vereinbart wäre eigentlich, dass er uns bescheid gibt, wenn Stefan nichts benötigt, was er nicht getan hat. Also weiter, zur nächsten Station, da fällt mir ein, dass ich den gekauften Telefon-Gutschein für Tara daheim vergessen habe, also nochmal ab, nach Hause den Gutschein holen. Vom Franzosenhausweg fahren wir dann direkt zum Schillerpark und Volksgarten, wo wir auch heute niemanden treffen. Also weiter zum Bahnhofsareal, Tiefgarage und Park, ohne jemanden zu sichten fahren wir ins Terminal, wo wir schon von weitem viele wartende Schützlinge stehen, sehen.
Wir bleiben wieder bei Gaby stehen und schauen uns um, machen uns ein Bild von der Situation am Terminal. Der in meinem letzten Posting erwähnte Herr im Rollstuhl fordert auch von uns Spenden, was ich ihm sofort klar mache, dass er von uns keine Lebensmittel bekommt, da ich von seinen alles andere als bescheidenen Verhältnissen (Haus, Mercedes) weiß. Er beschimpft mich noch auf Türkisch, bevor er sich dann in seinem Rollstuhl wegfahren lässt. Es ist ein Unding, wenn sich jemand absichtlich in einen Rollstuhl setzt, den er nicht braucht, um Mitleid zu erregen und um zu Spenden zu kommen. So etwas geht gar nicht, sorry! Alle anderen warten, bis sie dran sind, 3 Neue sind auch hier heute. Eine junge Frau und zwei junge Männer. Tony, Meikel, Hansi, Ronny, Affi, Schoky, Nils, Roman, Melanie usw., sie alle sind glücklich uns heute zu sehen. Melanie sieht gut aus, es geht ihr gut und sie geht wieder arbeiten, das freut mich riesig! Affi darf wieder nicht in sein Zimmer, deshalb schläft er wieder am Terminal, Ronny wurde heute schon 2-Mal von der Rettung abgeholt, seine Beine tragen ihn nicht mehr und er fällt dauernd auf den harten Asphalt. Seit seiner Impfung geht es ihm zusehend schlechter, er kann das Leben auf der Straße nicht mehr kompensieren, nicht mehr erleiden, er hat keine Kraft mehr. Ich rede Ronny gut zu, sich ins Krankenhaus bringen zu lassen und nicht mehr auf Revers das Krankenhaus zu verlassen. Er verspricht mir, sich behandeln zu lassen.
Hansi, unser langer Hansi, ist gut drauf, nüchtern und witzerzählend. Als er unsere Jutta sieht, bittet er dringend um eine „Kuschelstunde“, was Jutta aus „Zeitmangel“ leider ablehnen muss. Tony bedankt sich immer wieder für all die Hilfe, die er von uns bekommt. Tony mag ich besonders, ein aufrichtiger, ehrlicher Mann, dem das Schicksal richtig böse mitspielte, dem seine Frau letztes Jahr wegstarb und seither auf einem Irrweg ist, er weiß nicht auf welche Reise ihn das Leben treibt und wie er leben möchte bzw. könnte. Ich sichere ihm unsere Hilfe zu, wenn er sie brauchen sollte. Worauf er mich in den Arm nimmt und mich fest drückt, erst dann sehe ich seine Tränen. Es ist so schon sehr schwer, mich von all den Schicksalen und Erlebnissen nicht auffressen zu lassen, aber wenn mich dann noch so ein netter Mensch wie Tony drückt, kann ich keine Distanz einrichten und zur Tagesordnung übergehen. Das tu ich nicht und möchte ich nicht.
Roman bittet mich, ihm ein altes funktionierendes Fahrrad zu besorgen, was ich versuchen werde. Also wenn jemand ein funktionierendes Fahrrad hat und dieses nicht mehr benötigt, wir wären glücklich. Bitte – Danke! Ramazan, den ich vor wenigen Wochen wegen seiner Verletzung an der Hand und am Arm, von der Rettung abholen ließ, steht heute auch in der Reihe. Einen Gips-Verband und eine Operationsnaht, die bis zur Armbeuge geht, die er uns zeigt, zeugen von seiner schweren Verletzung. Zeigen mir auch dass es absolut richtig war, damals die 144 zu rufen. Seine Jacke und seine Schuhe sind kaputt, und bei seinem Rucksack ist ein Träger abgerissen, natürlich bekommt er neue Sachen von uns.
Melanie hält sich im Hintergrund, sitzt bei Gaby, und beobachtet Jutta und mich, bis sie sich dann nochmal für die ganze Hilfe bedankt und sich verabschiedet. Ich habe heute ein gutes Gefühl, Melanie könnte es schaffen, wenn sie auf Alkohol verzichtet. Mal schauen, ich wünsche es ihr von ganzem Herzen. Um 21 Uhr verabschieden wir uns vom Terminal, zuvor gehen wir aber noch in die Bahnhofsgarage, wo wir aber auch keine Obdachlosen finden, nur den Herrn im Rollstuhl, den wir nicht beachten und zurück zum Transporter gehen.
Nächste Station, Nähe Dom, zu Peter, er hat in einem Durchgang ein Zelt aus einer Gewerbeplane aufgestellt und blockiert hier den Durchgang total. Die Polizei stellte ihm letzte Woche schon die Rute ins Fenster, dass er hier weg müsse. Hier muss ich der Polizei zustimmen, das ist für die Fußgänger ein unhaltbarer Zustand, die Fußgänger müssen hier auf die gefährliche Kreuzung ausweichen, was in dieser Form wirklich gefährlich ist. Wir packen ein Paket für Peter und bringen ihm heißen Tee, worauf er sich bedankt und sich wieder unter seine Plane zurückzieht. Nächte Station Donaulände, zu Florian. Florian wünschte sich eine zusätzliche Gewebeplane, um die Nässe unter seiner Decke wegzubringen. Florian liegt direkt in der nassen Erde, und wenn es regnet, versumpft er dort regelrecht. Er bittet auch noch um Stoff-Handschuhe, und um warme, handgestrickte Socken, er geht mit zum Bus und es entkommt ihm ein nettes Lächeln, weil er sich über die Sachen so freut. Wir verabschieden uns und fahren weiter.
Zu Gerald und Franziska, ich hoffe so sehr, dass Franziska heute da ist, habe sie schon 3 Wochen nicht gesehen und weiß auch nicht wie es Emma, ihrem Hund geht. Wir treffen sie heute wirklich an. Am kalten Beton ist ziemlich viel frisches Blut zu sehen, ich bitte Jutta aufzupassen und nicht reinzutreten. Franziska erklärt nur: „Frauengeschichten halt“, sie legt Küchenrollen zusammen und erklärt uns, diese als Binden zu missbrauchen. Wir erklären Franziska, dass wir die ganze Palette an Damen-Hygiene dabei haben und sie besser diese nutzen sollte. Gerald schläft heute schon wird aber munter und freut sich über einen heißen Tee und ein paar Zigaretten von uns. Franziska geht mit Emma mit zum Bus und holt sich ein paar Lebensmittel und eben Damen-Hygiene, und für Emma ein Schaf-Fell, das eine Spenderin vor kurzem bei uns abgegeben hat. Sie freut sich sehr und buhlt um Verständnis für ihre Situation als obdachlose Frau, dass wir ja haben aber anderseits auch solche Dinge ansprechen, dass so viel Blut auf dem Beton einfach nicht geht. Franziska hatte für solche Dinge noch nie Einsehen, hier gilt für sie nur ihre Meinung, weshalb ich auch nicht weiter auf diesem Thema herumreite.
Weiter geht’s, zu Rene und Günther, nach Urfahr, in die Zimmer, die wir für sie zur Verfügung stellten. Beide sind schwer krank, und Günther wird ja gottseidank am 9.2. operiert. Endlich! Rene ist schon im Bett, ich öffne seine Tür und bitte ihn aufzustehen. Ich fordere nochmal von Renè Ehrlichkeit ein, er müsse mir sagen, wenn er Probleme mit der Polizei hätte, fordere ich ihn auf. Er holte heute seinen „Buam“ (seinen verstobenen, verbrannten Kater in der Plastikdose) aus seiner alten Wohnung ab, worauf die Mieterin die Polizei holte, grundlos, Renè wollte nur seinen Kater holen. Ein Telefonat mit der Polizei bestätigte mir diesen Vorgang, gottseidank, ich bin beruhigt, dass Rene keine anderen Probleme aus seiner früheren Zeit mit der Polizei hat. Was mir gar nicht gefällt, Rene hat getrunken, was ich aber heute nicht anspreche, da Rene überhaupt nicht damit klar kommt, dass das Krankenhaus ihm sagte: „Wir können nichts mehr für Sie tun“. Und diese drückende Einsamkeit den ganzen Tag lang, eine Situation, die eigentlich unerträglich ist, aber leider habe ich keine Lösung, da Rene scheinbar auch noch eine Depression entwickelt. Zu vielen Zeitpunkten habe ich keinen Zugang mehr zu ihm, er macht einfach zu und wiederholt sich immerzu. Wir gehen 2 Türen weiter, zu Günther, es geht ihm relativ gut und er freut sich sehr, endlich operiert zu werden. Günther geht noch mit zum Bus und holt sich Unterwäsche und Trainingshose für den Krankenhausaufenthalt und ein paar Lebensmittel.
Um 22.20 Uhr verabschieden wir uns von Günther und fahren weiter auf den Gründberg, zu Tara und Markus. Tara hebt das Telefon ab und macht im Nu ihr Zimmer auf, ihr gehe es wirklich sehr gut, und sie ist so überglücklich über dieses Zimmer, diese Herberge. Ich gebe ihr den Gutschein fürs Handy und wünschen ihr noch viel Kraft. Weiter zu Markus, nebenan. Zuerst bitten wir Tara und Markus noch zum Bus, um Tara nicht nochmal rausläuten zu müssen. Rainer ist bei Markus und kommt auch mit zum Bus. Rainer ist gestern erst aus dem Krankenhaus entlassen worden, er ist schneeweiß im Gesicht und ich merke bald, dass es Rainer gar nicht gut geht. Rainer hat Brust- und Lungenkarzinom im Endstadium. Alle haben in einem Sackerl die gewünschten Lebensmittel bekommen und Markus lädt uns noch auf einen Früchtetee ein, wir nehmen die Einladung gerne an. Die Unterhaltung mit Markus, seine Pläne, seine Träume, seine Zukunft, er freut sich riesig drauf, er will einfach seien Chance nutzen.
Um 23.45 Uhr verlassen wir Markus und brechen zum Pleschingersee auf, wo auch heute wieder zugesperrt ist aber ein Liebespaar im Auto vorm Eingang des Campingplatzes verweilt. Wir vertschüssen uns, wollen nicht stören. Wir fahren noch in die Industriezeile zu diversen Hot Spots und ich sage zu Jutta, dass mein Tag schon seit 6 Uhr früh dauert und ich langsam müde werde. Wir werden dann wohl Schluss machen und ins Lager fahren ausladen und einlagern. Als wir ins Lager kommen sehen wir 3 Trolleys voll beladen mit Bananenschachteln von der jungen SPÖ Linz-Land, die sie gesammelt und ins Lager gebracht haben. Wahnsinn, so viele volle Schachteln. Vielen, lieben Dank lieber Michael, dir und deinem Team. Vergelt’s Gott. Um Punkt 2 Uhr früh verlassen Jutta und ich unser Lager in Ansfelden. Jutta hat ihre „Feuerwehr“ bei mir daheim stehen, ich wünsche ihr noch eine gute, unfallfreie Heimfahrt und hoffentlich keine Wildtiere unterwegs. Jutta verspricht mir, gut aufzupassen.
Ich wasche noch die Teekannen aus, räume den Korb mit den Jetons aus, hänge die Lampen an die Steckdose an, um sie aufzuladen, und falle dann in den Computersessel, wieder der ganze Browser voller privater Nachrichten offen, 19 Anfragen über den ganzen Abend, einige beantworte ich um 3.15 Uhr noch, dann fallen mir die Augen zu und gehe zu Bett. Ein anstrengender Tag mit vielen Eindrücken geht zu Ende, aber irgendwie bin ich zu müde noch über den Tag nachzudenken, morgen ist Sonntag, dahabe ich etwas Zeit darüber nachzudenken. Obwohl die ganzen Vorbereitungen für den Vortrag am Montagabend noch zu machen sind, die ganzen Texte sind noch zu schreiben und eben dieses Posting auch noch. Es wartet auch heute viel Arbeit auf mich.
Danke für Eure Aufmerksamkeit, ich wünsche Euch noch einen ruhigen Sonntagabend und einen tollen Wochenbeginn morgen, Montag. Danke all unseren Spendern/innen, dass wir auch heute wieder helfen durften. Vergelt’s Gott 😊