Wie weit muss Hilfe gehen?
15.4.2021 - Wie weit muss Hilfe gehen? Wie heißt es so schön in einem Sprichwort? Jeder ist seines Glückes Schmied! Leider stimmt das nicht immer und somit hinkt diese Aussage gewaltig.
Wer nicht gerade auf die Sonnenseite des Lebens gefallen ist, kann die durch widrige Umstände entstandenen Nachteile oft ein Leben lang nicht wettmachen. Manche Menschen biegen irgendwo an einer Lebensampel falsch ab, und somit nimmt auch das Leben oft einen sehr komischen Weg. Für unsere Schützlinge reicht es schon, wenn durch Krankheit oder Scheidung das soziale Netz hinter einem Menschen wegbricht, ihn nicht auffängt. Normalerweise macht das die Familie oder gute Freunde, nur, was wenn diese beiden Möglichkeiten wegbrechen? Wenn die Familie nicht bereit ist oder schlicht nicht kann, die Situation zu bereinigen, dann ist der freie Fall vorgegeben. Wenn Freunde selbst keine Möglichkeit haben, hier effektiv zu helfen, das Schicksal abzuwenden, dann geht es meist ziemlich schnell, abwärts! Und liebe Leute, glaubt mir, das kann jedem passieren, wirklich jedem!Wenn durch Krankheit die Arbeitsstelle verloren ging, man die Miete nicht mehr begleichen kann, Strom und Betriebskosten bleibt man schuldig und die Situation nimmt seinen Lauf. Wir haben Akademiker, Doktoren und Ingenieure unter unseren Schützlingen, die keinen Fuß mehr ins Leben bringen, keine Chance mehr vom „System“ bekommen. Mit Alkohol oder Drogen haben sie nichts am Hut, nur halt diese Umstände zu verstehen und entsprechend zu handeln, wenn man derartig gefangen ist in seiner chaotischen Gefühlswelt, ist fast unmöglich. Wir sehen es jede Woche, wie schnell es gehen kann. Woche für Woche kommen aufgrund von Kurzarbeit oder Verlust des Arbeitsplatzes neue Menschen zu unserem Bus. Junge Menschen, ältere Semester, bunt gemischt, und alle haben ein gleich gelagertes Problem. Manche finden ein warmes Bett in der Notschlafstelle, manche kommen dort aber nicht unter, manche finden für die ein oder andere Nacht noch ein Bett bei einem Freund, aber eben nur für 1-2 Nächte, dann stehen die Menschen wieder auf der Straße. Ohne Geld auch nicht wirklich eine Situation die man leicht beenden könnte. Wir sehen Woche für Woche Menschen, die gerade delogiert wurden, vom Partner, der Partnerin auf die Straße gesetzt wurden, ohne Möglichkeit zurückzukehren.
Heute hatten wir eine junge Frau so um die 30 Jahre, frisch aufgeschlagen in der Notschlafstelle und von der jetzigen Situation sichtlich tief betroffen. Man erkennt es jetzt schon an ihrer Kleidung, dass hier etwas passiert, ist was einen Menschen kaputt machen kann, und dies auch tun wird. Planlos und mit gesenktem Kopf stellt sie sich in die Reihe, sinniert und redet mit sich selbst, ihre Turnschuhe völlig durchnässt, die Hose von einem Mann, 8-10 Größen zu groß, eine Weste ebenfalls um viele Nummern zu groß und sichtlich friert sie. Sie ist fixiert auf Lebensmittel und möchte nicht mehr, auch keine Süßigkeiten. Man muss Menschen auch in diesem Wunsch respektieren, wenn sie keine weitergehende Hilfe wollen. Ich wollte sie heute auch nicht mehr anreden, da ihr auch die Situation beim Bus peinlich war. Liebe Leute, wir sind leider keine Psychologen, keine Sozialarbeiter, keine Wunderwuzzies, nein, wir sind einfache Menschen, die einfach nur helfen möchten. Mit Lebensmittel, Hygieneartikel, mit Wertschätzung und mit vielen anderen kleinen Hilfestellungen. Was wir nicht können ist, psychosoziale Hilfe zu leisten, dazu sind wir leider nicht imstande weil uns die Ausbildung dafür fehlt. Wir können viele Umstände mildern, Hunger und Durst stillen, Kälte mit warmer Kleidung mildern, Nässe mit trockener Kleidung oder neuen, dichten Schuhen entgegnen. Wir können warme Schlafsäcke und Isomatten verteilen, können auch dem ein oder anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, aber was wir nicht können ist, Situationen oder Schicksalsschläge abfedern, können aber keine psychologische Hilfe geben, obwohl die meisten gerade die am nötigsten brauchen würden. Wir begegnen unseren Schützlingen immer mit Rat und Tat und immer mit Hilfe, soweit uns diese möglich ist. Aber für jemanden, der gerade erst obdach- oder wohnungslos wurde, nicht wirklich ein Trost, sie bräuchten schnelle, effektive Hilfe.
Wir lernten vor einigen Monaten Andy kennen, er war, ohne es vorher zu ahnen, von heute auf morgen in der Obdachlosigkeit gelandet, am Terminal habe ich ihn kennengelernt. 6 Wochen war Andy obdachlos, ehe wir ein Zimmer für ihn fanden und Spender spendeten uns 3 Monatsmieten à € 200,- für Andy, eine großartige Geste, Andy war fürs Erste weg von der Straße, er hat ein warmes Zimmer am Gründberg. Jetzt hat er Zeit zum Nachdenken, und hier kommt er nicht wie von uns gewollt zur Ruhe, nein, er möchte so schnell wie möglich wieder arbeiten gehen, um diese, seine Situation aufzulösen. Nur, in Corona-Zeiten ist es nicht so einfach, Arbeit zu finden. Diese Tage, wo Andy im Zimmer sitzt und den ganzen Tag über seine Zukunft nachdenkt, bewirkt erst recht, dass Andy keine Zukunft mehr sieht, keine Lösung mehr sieht. Andy ist in einer schweren Depression gelandet, Karin der gute Geist vom Gründberg kümmerte sich die letzte Woche um Termine bei einem Arzt, zurzeit unmöglich, kein einziger Linzer Arzt nimmt Andy als Patient und hilft ihm. Andy hat mehrfach per SMS verlautbaren lassen, dass er dieses Leben satt hat und es beenden möchte. Hier stehen wir an, wir wissen nicht mehr weiter, wie wir Andy helfen können. Wir wollen Andy helfen, aber Ärzte sind wir halt keine, Sozialarbeiter auch nicht, wir können nur menschlich und wertschätzend ihm Mut machen, ihm Zuspruch geben und an ihn glauben. Hier müssen wir zurzeit leider passen, werden aber Andy nicht fallen lassen. Nur langsam wird’s halt auch eng mit der weiteren Finanzierung seines Zimmers. Aber das meine ich liebe Leute, wo wir mit unserer Hilfe anstehen und nicht weiter wissen. Für manche Menschen reicht es, wenn wir Lebensmittel schenken, für manchen reicht ein Lächeln und für manche, reicht beides nicht.
Auch bei Dominic stehen wir an einem kritischen Punkt an, weil er ab morgen wieder keine Tabletten für seine Krankheit mehr haben wird, er wusste das schon länger und wusste auch, dass er endlich selbst seinen Beitrag leisten muss, um die Situation langfristig zu verbessern. Er tat es nicht, er nahm Termine die Sarah für ihn vereinbarte, nicht wahr. Er ist über weite Strecken nicht imstande, einfache Dinge zu erledigen. Wir müssen Dominic endlich fordern, und seine Mitarbeit einfordern, dass er sich an Termine hält, er sich um andere Dinge kümmert. Zurzeit sind wir ganz weit weg von unserem Wunschdenken, deshalb wird es ein Gespräch mit ihm geben müssen, wo wir ihm klar machen müssen, entweder er steht auf und nimmt unsere „Hand“ oder wir verlassen die Intensivbetreuung, die Dominic seit vielen Wochen hat. Manchmal müssen wir einsehen, dass Hilfe unmöglich ist, das darf natürlich auch sein, aber wir müssen uns dann abgrenzen und dürfen uns nicht in Verantwortung ziehen lassen, wo es für uns keine gibt. Dominic, so hoffe ich sehr, wird das Gespräch am Samstagabend ernst nehmen und entsprechend munter werden. Wenn er so weiter macht, wird es nicht mehr viele Chancen geben für ihn. Wie gesagt, wir werden auch Dominic nicht fallen lassen, aber wir müssen endlich auch Dominics eigene Verantwortung sich selbst gegenüber, einfordern, und das machen wir. Aber ihr seht, es ist von so vielen Faktoren abhängig, ob langfristige Hilfe wirklich passieren kann, ob der Schützling auch wirklich aufsteht und um seine Zukunft kämpft. Viele Menschen auf der Straße sind dazu nicht mehr fähig, weil sie das Leben auf der Straße schon so kaputt machte, dass es hier keine Chance mehr gibt auf Heilung. Aber wo noch Hoffnung besteht, wollen wir auch weiterhin Hilfe anbieten, ABER wie gesagt, nur wenn die Menschen auch mitarbeiten, die Situation aufzulösen. Wir wussten, dass es nicht leicht sein würde, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Diese neue Frau von heute geistert durch meinen Kopf, sie tut mir unendlich leid und ich weiß nicht, wie wir ihr wirklich helfen können. Vielleicht öffnet sie sich in den nächsten Wochen und findet Vertrauen zu uns, dann werden wir uns genauso anstrengen wie bei Andy und Dominic, versprochen, aber es wird an ihr liegen!
All die Vorbereitungen zu unserem Verteil-Donnerstag kennt ihr durch und durch, weil es jede Woche die gleichen sind, deshalb kürze ich die Vorbereitungen heute ab und erzähl Euch noch, wie klasse unser Lagersystem, das unsere „ProntoPronto“ Barbara in die Hände genommen hat, funktioniert. Großartig! Wir haben alles für eine unterjährige Inventur angelegt und haben nach langer Suche nun eine entsprechende Software gefunden. Barbara, Petra und Ulli bemühen sich wirklich sehr, alles auf gesunde Beine zu stellen, was dabei bisher rauskam ist einfach spitze. Unser Team wird immer professioneller, immer besser, immer umsichtiger und wir lösen Probleme sofort und wenn Fehler passieren, wird sofort an einer Lösung gearbeitet, das liebe Leute bringt so eine großartige Stimmung ins Team, für die ich sehr, sehr dankbar bin. Alle, jede und jeder im Team ist bemüht, geht verantwortungsvoll mit den Situationen um und trägt somit einen großen teil zum Gelingen bei. DANKE dafür! Heute Mittag Regen, Schnee, Sonne, und das alles abwechselnd im 5 Minutentakt. Gemeldet waren Wolken, aber kein Niederschlag, wir glaubten dem Wetterbericht und haben unsere Pavillons nicht eingepackt. Um 15.20 Uhr war Abfahrt nach Linz, tief hängende Regenwolken über dem gesamten Bahnhofsviertel ließen mich zum Himmel beten. Punkt 16 Uhr beginnen wir mit der Ausgabe, einige neue Gesichter, einige provokant mit einer Bierdose in der Hand. Das geht für uns gar nicht, Alkohol bei unserem Bus. Ich erinnere die Menschen heute an unsere Regeln, keinen Alkohol oder dergleichen, keinen Streit provozieren, keine sonstigen sonderbaren Verhaltensweisen. Als ich dem neuen Besucher mit Hund erklärte, dass er hier bitte Maske tragen muss und die Bierdose zu entsorgen hat, oder eben die Warteschlange verlassen müsse, kam ein trockenes: „Ich trinke, wo ich es will und nicht wo Du es mir sagst“. Bumm! Ganz so ist es nicht, machte ich ihm klar, er trank die Dose aus und warf die leere Dose in unseren Müll. Sein „Freund“, schon ein paarmal bei uns, angesprochen auf einen Einkommensnachweis entgegnete dieser mir: „Du magst mich nicht, das wusste ich sofort, und nur deshalb verlangst Du von mir den Zettel“. Nein, wir machen jede Woche Stichproben, da wir zurzeit nicht durchgängig kontrollieren dürfen. Auf meine Ansage wegen dem Einkommensnachweis mischte sich der vorherige Besucher ein und meinte zu mir: „Ich will nicht, dass Du hier mit deiner Maske rumstehst und uns hier blöd anmachst, schleich dich“. Bumm, die Zweite! Ich machte ihm dann nochmal klar, dass es ER sein wird der hier geht, wenn er seinen Ton nicht schnellstens anpasst. Seine Aussagen danach waren ebenso unangepasst, dass er zwar Brot bekam aber sonst nichts mehr. Für solche Menschen, die sich dann noch selbst „Freigeist“ nennen und sich derartig frech artikulieren, habe ich keine Geduld und keine Lösung mehr. Ich muss ja auch unser Team schützen, wenn jemand frech oder ausfällig ist, und hier sind einfach nur schnelle Konsequenzen durchzusetzen, indem derjenige eben ohne Lebensmittel den Bus verlassen muss. Es war heute durchgängig eine aggressive Stimmung in der Reihe, Streit, Gezeter, Alkohol und schlechte Stimmung waren heute die Nerv-Zieher. Solche Tage hatten wir noch nicht viele, aber es gibt sie und wir gehen gut damit um. Summa summarum waren heute 12 neue Menschen beim Bus, die wir noch nie sahen. Erschreckend viele Neue! Ich bin gespannt wie viele wir in den nächsten Wochen nochmal sehen werden. Ich fürchte wir haben die Spitze des Eisbergs noch lange nicht erreicht, es kommen immer wieder Neue dazu, die dann später entweder nicht mehr kommen oder sich dann per Facebook oder Telefon für unsere Hilfe bedanken. Auch ein schönes Gefühl, wenn sich jemand meldet, der/die es wieder geschafft hat, zu LEBEN!
Um 18 Uhr packen wir zusammen und unser letzter Gast heute, fragt nach Wurst und Fertiggerichten, und nach Nächtigungsjetons. Als er weggeht dreht er sich noch ein paarmal um und als mir Wolfgang sagt, „Der ist letzte Woche aus der Notschlafstelle rausgeflogen“, wusste ich, dass er mich um 2 Nächtigungsjetons geprellt hat, und jetzt wusste ich auch, warum er sich mehrmals umdrehte. Tja, diesmal haben wir 2 Nächtigungsjetons verloren, nächste Woche, wenn er wieder in der Reihe steht, werde ich ihn darauf ansprechen und werde wissen wollen, warum er das macht. Als wir alles eingepackt und verstaut haben, wir sitzen im Bus und es lässt einen Schauerregen herunter, dass ich hier richtig froh bin, dass unsere 2 Stunden trocken abgelaufen sind, jetzt kann es schütten, wie es will. Der Herr hatte wieder ein Auge auf uns, wie schon oft begann es bei der Abfahrt zu regnen/schneien. Auf dem Weg ins Lager viel Verkehr und viele Autofahrer, die dem Tage angepasst ebenso aggressiv fahren, als seien sie allein auf der Straße.
Seit 3 Stunden sitze ich bei diesem Text und im Kopfhörer klingen OMD mit ihrem „Victory Waltz“, entspannend und ohrwürmig, bis ganz tief rein. Ich bedanke mich bei Euch für Eure Aufmerksamkeit und sage all unseren Spendern ein Vergelt’s Gott und Danke, dass wir auch heute unseren Verteil-Donnerstag machen durften, und vielen, lieben dank an unser Team, das sich wirklich großartig engagiert. Danke und, schön, dass ihr den Weg mitgeht! 😊 ❤