Evelyn und ihre Kameraden!

Evelyn und ihre Kameraden!
Viele Antworten für diese komische, rastlose und überaus egoistische Zeit werden wir nicht heute, nicht morgen und nicht übermorgen bekommen, sondern erst in weiterer Zukunft. Was viele Menschen zurzeit durchmachen und durchleben müssen, kann man oft nicht in passende Worte kleiden, und wenn man es doch versucht, streift man die Erklärung dieser Situation nur am Rande und völlig unzureichend. Hinter jedem Erklärungsversuch, den ich in den letzten Jahren veröffentlichte, stand ein Schicksal eines Menschen, der sich in einer Situation wiederfand, aus der er alleine nicht herauskam und unbedingt Hilfe brauchte.
Manchen konnten wir helfen, manchen konnten wir die Mietrückstände für ihre Wohnung bezahlen, manchmal konnten wir die ausstehenden Betriebskosten begleichen, so dass viele Menschen ihr Daheim, ihre Wohnung und ihre Bleibe nicht verloren haben. Manchen haben wir mit der Vorstreckung der Kaution für ein kleines Zimmer, eine kleine Wohnung, geholfen, die aber Großteils bis zum letzten Cent wieder an uns zurückbezahlt wurde. So konnten wir in der Vergangenheit immer wieder Menschen in prekären Situationen auffangen und deren Weg zum Guten umdrehen.
Manchmal ging es aber, und so ehrlich muss man sein, auch schief. Zum Beispiel in den Wohnungen, die wir in der Vergangenheit angemietet hatten, um dort Obdachlose eine neue Chance bieten zu können. Die zeitlich engmaschige Überprüfung auf ordentlichen Zustand der einzelnen Wohnungen war uns in der ohnehin stressigen Winterzeit leider nicht möglich, und nur deshalb war es möglich, dass die Personen in den Wohnungen dort teilweise machen konnten, was nicht vereinbart war. Als wir das Dilemma erkannten, brachen wir diesen Versuch wieder ab und gaben unsere Wohnungen wieder zurück an die Genossenschaften. Diese Art der Wegbegleitung, der Unterstützung, können wir als nicht ausgebildete Sozialarbeiter oder nicht ausgebildete Sozialpsychologen leider nicht leisten, es wäre für uns ein immenser Aufwand, engmaschig die Menschen in unseren Wohnungen zu überprüfen, und das war uns nicht möglich.
Was aber, wenn ein Angebot wegfällt und die Menschen wieder auf der Straße landen? Dann verweisen oder bringen wir diese Menschen in Einrichtungen, die professionelle Hilfe anbieten, darin geübt sind und langjährige Erfahrung haben. Manchmal geben Menschen an, wenn sie geholfen haben und dem ein oder anderen Obdachlosen eine Jause kauften, dadurch langjährige Erfahrung in der Obdachlosenhilfe zu haben. Liebe Leute, direkte Obdachlosenhilfe an vorderster Front ist mehr als ein paar Lebensmittel auszugeben und dann öffentlich als Referenz „Erfahrung in der Obdachlosenhilfe“ anzuführen. Auch wir hörten in der Vergangenheit öfter, Zitat: „Wenn ich das sehe, wie manche Obdachlose leben, bringe ich das nicht mehr aus meinem Kopf und kann dann nicht mehr schlafen“. Dass unsere direkte Arbeit mit obdachlosen Menschen keine leichte Kost ist, das ist Fakt, aber im Fokus unserer Hilfe stehen zuallererst die Menschen die dringende Hilfe benötigen, und erst später die Situation rund um den Hot Spot (Schlafplatz), den ich ohnehin kurzfristig ohne Einverständnis nicht auflösen kann.
Viele Obdachlose brauchen begleitende Hilfe, Tag für Tag, und oft auch nachts. Wir helfen hier zuerst mit allem Notwendigen zum Leben aus, Lebensmittel, Hygieneartikel, warme Kleidung oder neue Schuhe, Schlafsäcke oder Isomatten usw., meistens ist mit unseren Spenden das erste Leid und sind die oft brachialen Umstände gemildert, wenn dann noch etwas nötig sein sollte, lassen wir unsere Schützlinge natürlich auch nicht im Stich und besorgen Fehlendes.
Bei meinem letzten Posting erzählte ich Euch von Frau M. und ihrer Tochter, die durch Mietrückstände und Stromabschaltung kurz vor der Delogierung steht. Anonyme Spender:innen haben uns 3 Monatsmieten über etwa € 1100,- und die offene Stromrechnung von etwa € 350,- anvertraut, telefonisch habe ich der zuständigen Genossenschaft und der Stromgesellschaft bereits angekündigt, dass die Außenstände von uns beglichen werden, doch bis heute bekam ich weder IBAN noch andere Kontoverbindungen von der Genossenschaft mitgeteilt, wo wir das Geld hinüberweisen müssen. Ich werde kommende Woche nochmal überall nachhaken, damit hier nicht wieder eine Situation entsteht, die wieder zum Nachteil von Frau M. erwächst. Frau M. wäre natürlich glücklich, baldmöglichst wieder Strom zur Verfügung zu haben, deshalb liegt kommende Woche mein Hauptaugenmerk auf die Regelung aller Widrigkeiten bei Frau M..
In den letzten Wochen, in denen wir unsere dringend notwendige Sommerpause machten, meldeten sich vermehrt Menschen, denen die Lebensmittel ausgegangen sind, worauf ich unser Lebensmittel-Not Paket aus dem Lager holte und vorangekündigt ins Terminal gefahren bin. Es waren nie viele Menschen, die dort auf mich warteten, aber immer so 10-15 Personen, denen die Lebensmittel ausgegangen sind. Es war eine Art Erste-Hilfe gegen Hunger, die dankend angenommen wurde. Gerade solche Aktionen benötigen dann aber auch Zeit, da ich ja die Lebensmittel im Lager erst zusammenstellen muss.
Aber auch wenn man mich nicht auf den ersten Blick sieht, bin ich oft in Bahnhofsnähe oder an gewissen Hot Spots, um zu sehen, ob jemand Hilfe braucht. Nicht immer muss ich deshalb schlafende wecken oder diskutierende stören. Ich kenne unsere Schützlinge und kenne auch die Situation, wenn jemand Hilfe braucht. Ich mache die Arbeit mit unseren Schützlingen gerne, es liegt mein ganzes Herzblut in dieser Arbeit, ich bin froh, wenn ich ohne Umwege helfen kann.
Diese Woche war wieder ein Verteil-Donnerstag angesagt, nach 3-wöchiger Pause treffen wir wieder alle Vorkehrungen für unseren Verteil-Donnerstag. Obst und etwas Gemüse einkaufen, umsortieren und neu verpacken, dazu helfen mir heute Maria und Rena, Max und ab Mittag auch Rudi. Wir haben einiges aufzuräumen und einzulagern, da brauchen wir jede helfende Hand. Zu Mittag gibt es dann auf Wunsch Pasta Asciutta, die ich am Mittwochabend noch zubereitete. Vor allem Maria wünschte sich dieses Mittagessen. Nach dem Essen wird unser Bus eingeladen, Max und Rudi erledigen das großartig. Um 14 Uhr kommen unsere neuen Mitglieder, die ich auf diesem Weg herzlich in unserem Verein begrüßen darf, Gaby und Roswitha werden uns heute beim Verteil-Donnerstag tatkräftig unterstützen. Ich bin überglücklich über die neue Verstärkung und Hilfe. Um 15.10 Uhr brechen wir dann Richtung Linz auf, Gaby und Roswitha fahren mit mir im Transporter mit, was mir ermöglicht, dass ich noch auf ein paar Dinge hinweise.
In Linz angekommen warten schon etwa 10 Schützlinge auf uns. Die Hitze und der heiße Asphalt machen es gleich nach dem Aussteigen aus dem klimatisierten Bus fast unmöglich sich zu fassen. Brennend heiß kommt es vom glühenden Asphalt hoch, gottseidank haben wir für unsere Schützlinge und uns genügend eingekühlte Getränke mit. Während wir ausladen und aufstellen wird die Warteschlange immer länger, am Ende werden es 72 Schützlinge sein, die uns heute besuchen und sich Lebensmittel holen. 72 Schützlinge Mitte des Monats, ganz schön viel, wir haben genug Lebensmittel eingepackt, um alle Wartenden zu versorgen. Unser Angebot ist umfangreich, Bananen, Äpfel, Kartoffel, süßes Gebäck, Brot und normales Gebäck, diverse Getränke, haltbare Fertiggerichte und Dosensuppen, Dosenfisch, Aufstriche, Sauergemüse, Cabanossi und Eiweißbrot, Hygieneartikel wie Duschgel und Shampoo, Seifen, Zahnpasta und Zahnbürsten, Mundwasser, Waschpulver, Toilettenpapier u.v.a.m..
Um 16 Uhr beginnt unsere Ausgabe und vereinzelt höre ich in der Warteschlange Bedenken, ob wir auch genug Lebensmittel und Hygieneartikel für alle dabei haben. Ja, haben wir, können wir alle beruhigen. Einige hamstern übereifrig, die wir abrupt stoppen, weil ja alle anderen auch etwas bekommen wollen, ein paar sehen es nicht ein, die Hamsterei zu beenden, dann tun wir es. Es ist genug für alle da, aber 3-4 volle Taschen kann sich niemand mitnehmen, denn dann reicht unser Sortiment bei weitem nicht für alle. Roswitha und Gaby machen ihren Job in der Ausgabe hervorragend, etwas konsequenter müssen sie noch werden, aber das kommt automatisch mit der Übung und der Zeit.
Christoph, der uns monatelang abgegangen war, kommt auch heute wieder und zeigt mir seine zerfetzten Flip-Flops, die wir gegen neue Trekkingschuhe austauschen. Er ist überglücklich und bedankt sich gefühlte 20-mal. Ing. Elmar kommt auch heute vorbei, weil er von Lenny Schuhe bekam, die wir vor 2 Jahren ausgegeben haben, Lenny gab sie Elmar und nun sind sie kaputt, auch hier tauschen wir die völlig kaputten Schuhe gegen neue aus. Elmar ist bekannt dafür, dass er nie etwas mitnehmen würde, was er nicht braucht, Lebensmittel hat er noch sagte er mir, aber eben die Schuhe, die sind hinüber. So bescheiden wie die meisten der Obdachlosen sind, würde ich mir manchmal auch in der Gesellschaft wünschen, unsere Schützlinge sagen immer: „Gib mir nicht zu viel mit, die anderen brauchen auch noch etwas“. Bescheidenheit in ihrer reinsten Form, was mir immer wieder eine innere Verneigung abverlangt.
Lenny kommt auch heute, er braucht eine Winterjacke, weil die Nächte im Terminal manchmal schon kalt sind und er dann friert. Das sagte er mir letzte Woche auf der kurzen Linz-Tour. Maria hat ihm einen Anorak beiseitegelegt und gegeben, er ist überglücklich. Es ist heute viel Disziplin in der Warteschlange, kein lautes Wort oder unangenehmes Verhalten, nichts, unser Max hat genau auf solche Dinge seine Augen. Max macht das wirklich gewaltig gut, er ist Bindeglied zwischen unseren Schützlingen und dem Rest des Teams.
Herr S. von der ÖBB, der uns diesen Platz zur Verfügung gestellt hat, kommt vorbei und wir reden ein wenig, wobei er mir dann sagt, dass wir vermutlich Ende dieses Jahres von diesem Platz wegmüssen, dafür aber einen anderen, jenseits des Bahnhofs bekommen. Ich werde mir diesen Platz kommende Woche genauer anschauen, um dann gerüstet zu sein. Die Post möchte das alte ABC-Buffet niederreißen und neu bauen, wann genau Baubeginn sein wird, ist noch unbekannt. Mal schauen.
Auch Evelyn kommt heute vorbei, sie ist 25 Jahre jung und schläft auf der Straße, ist vom Beruf Bürokaufmann und erzählt mir, dass jeder sie nur ausnutzt, sie bekommt keine Chance im Berufsleben und hat auch keine gute Aussicht auf ein eigenes kleines Zimmer. Sie bekommt keine Leistung (Sozialhilfe, AMS-Geld etc.) und ist somit auch nicht versichert, also auch kein Arztbesuch möglich. Ich frage ein paar Sachen und merke wie genervt sie schon ist, sie dreht sich dann unangekündigt weg von mir und bricht das Gespräch ab. Irgendwie ein armes Mädel, das dabei ist, sich aufzugeben, schlimm das mitanzusehen. Sie holt sich Lebensmittel und Hygieneartikel und verschwindet dann schnell um die Ecke, vor lauter Scham.
72 Schicksale gingen heute an uns vorüber, jedes einzelne Schicksal ist eines zu viel. Ich habe vor ein paar Monaten gezweifelt, ob die Menschen uns wirklich brauchen, die Antwort ist, JA, sie brauchen uns heute notwendiger und dringender denn je. Um 18 Uhr beginnen wir alles wieder in den Bus zu räumen und uns auf den Heimweg zu machen. Es war wieder ein Tag, an dem man wieder richtig geerdet wurde, wo uns vor Augen geführt wurde, dass ein Herd oder Kühlschrank oder ein großes Bett keine Selbstverständlichkeiten sind. Man merkt immer wieder bei unseren Verteil-Donnerstagen, dass es im Leben nicht viel braucht, um das Schicksal in die Enge zu treiben, so dass es zurückschlägt. Armut und Obdachlosigkeit kann jedem, wirklich jeder/jedem passieren, niemand ist wirklich sicher davor. Einmal an einer Lebensampel falsch abbiegen, das könnte schon reichen, um in einen Strudel zu kommen den man dann alleine nicht mehr stoppen kann.
Im Lager wird alles ausgeräumt und wieder eingelagert, anschließend wäre ich noch unser übriggebliebenes Mittagessen auf, das Max, Rudi und ich dann gänzlich vertilgen. Im intensiven Nachdenkmodus an den vergangenen Verteil-Donnerstag bleibt schon ein Gefühl in mir übrig, das mich traurig und nachdenklich macht, das mir zeigt, dass wir die schlimmsten Situationen noch lange nicht hinter uns haben und dass noch ganz viele Menschen künftig zu unserem Bus kommen werden. Wir werden da sein für diese Menschen, für unsere Schützlinge.
Auf diesem Weg ein demütiges VERGELT’S GOTT und ein aufrichtiges DANKESCHÖN an all unsere Spender:innen und Gönner:innen, dass wir auch diesen Verteil-Donnerstag abhalten durften.
Danke auch an all unsere Wegbegleiter, dass sie uns immer wieder moralisch den Rücken stärken. Schön, dass es Euch gibt. 😊 <3
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