Nathalie und der neue Rucksack!
Nathalie und der neue Rucksack!
Der Samstag beginnt heute bei mir um 6 Uhr früh mit den Vorbereitungen für die Spendenannahme, die von 9-12 Uhr in unserem Lager stattfindet. Es wird ein langer Tag werden, einer mit vielen auf und abs. Vormittags Spendenannahme und abends die Linz-Tour zu den Hot Spots. Am Vormittag mäßig Besucher:innen bzw. Spender:innen, es schüttet wie aus Kübeln und es ist mir schon klar, dass man bei diesem Wetter eigentlich gar nicht aus dem Haus/der Wohnung geht, wenn man nicht wirklich muss.
Im Lager alles herrichten, die Spendensackerl vom Billa auspacken und sortieren, alles in die Lagerdatenbank eintragen und nachschauen, was fehlt, was geht aus und wie gehen wir weiter vor. Am Vormittag kommt ein befreundetes Ehepaar, dass sich unser Lager anschauen möchte, ich führe sie durch unser Lager und erkläre ihnen wie wir vorgehen, um wie viele Menschen es bei uns geht, die wir mit Spenden versorgen.
Leider muss ich dauernd zum Tor raus, weil alle Spender:innen mit mir reden wollen und mir persönlich die Spenden übergeben möchten. Dadurch komme ich natürlich weniger zur Lagerarbeit, aber die Spendenannahme ist wichtig, sehr wichtig für uns. Hilde, Astrid, Andy und Brigitte befüllen die Boxen, die wir für den Verteil-Donnerstag wieder aufgefüllt brauchen und ich switche hin und her, zwischen Kleiderlager und Werkstatt, zwischen draußen und drinnen und versuche, immer auch produktiv zu sein.
Am Vormittag kommen einige langjährige Spender:innen, die ich mich sehr freue, zu sehen. Vroni aus Ried im Innkreis, Marion aus St. Pölten, Annalore und Freundin aus Linz Umgebung, ich freue mich riesig euch zu sehen.
Gegen Mittag sind die Boxen für die heutige Linz-Tour immer noch nicht befüllt, worüber ich mich nicht sehr freue. Hier muss ich eine Liste anlegen, dass alle sehen, was in die Boxen gehört und welche Stückzahl. Binnen 30 Minuten haben wir dann auch diese Boxen aufgefüllt und wir beginnen einzuladen. Die Linz-Tour beladen wir schon mittags um dann abends pünktlich um 18 Uhr die Tour starten zu können.
Heute Abend fährt Christian mit, der eigentlich selbstständig ist und sich samstags die Zeit nimmt, um mich bei der Linz-Tour zu begleiten und um mir zu helfen. Um 17.50 Uhr kommt Christian mit 50 frisch aufgebackenen Semmeln zu mir heim, er trinkt noch einen Kaffee bevor wir starten. Wir wissen natürlich niemals, was auf uns zukommt, wen wir wo antreffen und wer Hilfe braucht. Um 18.10 Uhr brechen wir auf, Richtung Schillerpark und Volksgarten, die ersten Hot Spots, wo wir nachschauen, ob wir jemanden unserer Schützlinge finden, was heute nicht der Fall ist. Im Volksgarten wird am Adventmarkt gearbeitet, auch im Finsteren. Wir fahren weiter zum Bahnhof, Finanzgarage und Terminal. Am Terminal stehen wir wie immer, bei Gaby und gehen aber gleich mal zu Lenny, der einige Bänke weiter vorne schläft. Lenny wünscht sich heißen Tee und ein paar Kleinigkeiten zu essen. Lenny ist einer jener Menschen, die immer sagen, Zitat: „Gibs den anderen, die brauchen es auch, dein Essen“. Wir haben genug für alle mit dabei, Salate mit Dressing, Weintrauben, frisch aufgebackenes Gebäck neben all den normalen Dingen, die wir ohnehin immer dabei haben. Warme Winterjacken und entsprechende Kleidung, neue warme Schuhe, Rucksäcke, Schlafsäcke und Isomatten, neue Unterwäsche und neue Socken etc..
Lenny kommt mit zum Bus da er heißen Tee möchte, beim Bus reden wir kurz, was es Neues gibt, hier sagt er mir leise, dass er sich eine kleine Wohnung wünscht, er möchte schnellstens weg von der Straße, ich verspreche ihm, dass ich Ohren und Augen offen halte. Er bekommt ein wenig Geld, wovon er sich eine kleine Wohnung leisten könnte, nur, woher nehmen, der Markt ist zurzeit so schnell, dass man immer sehr schnell handeln muss, was ich durch die Tatsache, dass ich tagsüber meist unterwegs bin, nicht leisten kann. Ich hoffe, dass ich mit Glück eine kleine Wohnung für Lenny finde, er hätte eine verdient, wirklich! Ich bleibe dran und verspreche nichts aber werde umsichtig sein. Lenny bedankt sich und geht zurück zu seiner Bank und wir widmen uns Gaby, der ich heute 2 Baumwolldecken und 2 Thermo-Leggins mitgenommen habe. Ich erinnere Gaby daran, dass vereinbart war, dass sie die Sachen am Donnerstag beim Bus abholt, was sie nicht machte. Ich werde Gaby nicht alles „frei Haus“ liefern, ein wenig muss auch sie aus ihrem Häuschen kommen und Dinge einhalten, die abgemacht waren. Gaby wird immer bequemer was wir bestimmt nicht fördern werden, sie kann am Donnerstag zum Bus kommen, andere schaffen das nicht, und für diese Schützlinge machen wir eigentlich unsere nächtliche Linz-Tour, für jene, die es nicht schaffen. Wir packen Gaby noch ein Sackerl voller Lebensmittel und schenken heißen Tee ein bevor wir runter in die Bahnhofskatakomben gehen.
Auf dem Weg in die Bahnhofsgarage fällt Christian die junge Frau auf, die bei der letzten Linz-Tour schon bei unserem Bus war. Beim zurückgehen werden wir sie ansprechen und fragen, ob sie Hilfe braucht. In der Tiefgarage liegt heute niemand, eigentlich rechneten wir hier mit einigen Obdachlosen, wegen des Wetters, aber Fehlanzeige. Also zurück zum Bus, bei Nathalie, der jungen Frau bleiben wir stehen und fragen, ob sie Hilfe benötigt, sie hat nur eine dünne Jacke an und friert sichtlich. Sie kommt mit zum Bus, wo sie uns um einen Schlafsack und eine Isomatte bittet, die Tasche die sie dabei hat, ist mehr kaputt als gut und wir suchen einen neuen Rucksack für Nathalie. Sie packt alles um in den neuen Rucksack und hat sichtlich eine große Freude: „Das gibt’s doch gar nicht murmelt Nathalie, ich träume doch“ wiederholt sie mehrfach. Nein, du träumst nicht, alles wird gut. Wir packen ihr noch Lebensmittel und Hygieneartikel ein, einen Kapuzen-Sweater und Schuhe. Nathalie ist geschätzt etwa 30 Jahre jung, aber von der Obdachlosigkeit geprägt, man sieht, dass sie nicht erst seit Vorgestern auf er Straße lebt. Sie glaubt es immer noch nicht, dass sie jetzt auch eine warme Winterjacke und alles hat, was sie dringend notwendig brauchte.
Durch die sehr intensiven Minuten mit Nathalie vergessen wir auf den Obdachlosen, der auf der anderen Seite des Terminals schläft, und brechen auf Richtung Tony in die Wiener Straße.
Tony ist überglücklich, er bekam am letzten Verteil-Donnerstag neue Leder-Stiefeletten, weil seine alten Lederschuhe sich schon auflösten, Tony war immer so stolz auf seine unverwüstlichen Schuhe, jedes Mal erzählte er mir von den Schuhen, was sie alles ausgehalten haben und nun aber langsam kaputt gehen. Letzten Donnerstag war es dann so weit, dass wir ihm neue Schuhe übergeben konnten, er freute sich wie ein kleiner Junge, Zitat: „Jetzt kann der Winter kommen, jetzt friere ich nicht mehr und meine Zehen bleiben trocken, danke schön“. Und, letzte Woche brachte ich Tony 2 dicke Schafwolldecken, der Schlafsack in seiner Hütte war zu wenig, auch hier friert Tony nicht mehr. Er hat zwar keinen Strom und keine Heizung in seiner Hütte, aber Tony ist glücklich, nicht immer seinen Trolley mitnehmen zu müssen. Für Tony ist es, als ob er eine eigene Wohnung bekommen hätte, so sehr freut er sich. Wir nehmen gleich noch heißen Tee mit und erkundigen uns, dass es ihm gut geht. Nach 3 Minuten brechen Christian und ich wieder auf, zum nächsten Spot.
Unter der Autobahnbrücke besuchen wir Michael, den früheren ORF-Redakteur, der schon schläft, seine kleine Kerze im Plastikeimer steht gefährlich nahe an der Matratze, ich sage noch zu Michael: „Bitte pass auf, wenn die Matratze zu brennen beginnt, erwischt es auch dich“. Michael zieht es ins Land der Träume, dass ihm was passieren könnte, wie immer. Wir wecken Michael auf und er kommt mit zum Bus, wo wir ihm Lebensmittel und alles was er braucht, geben. Michael sagt bei jedem Artikel „jo bitte“ und „Göts Gott“ (Vergelt’s Gott), bei jedem Stück hat er ein glückliches Lächeln im Gesicht worauf sich schließen lässt, dass er wirklich dankbar ist. Michael erzählt uns, dass er nicht weiß, wo seine Freunde Jürgen und Tony geblieben sind, ich kläre ihn auf und sage ihm, dass die Beiden nicht wieder unter die Autobahnbrücke kommen werden. Michael wirkt sehr nachdenklich, als wolle er zu uns sagen: „Und warum bekomm ich keine Hütte oder Wohnung?“ Michael aber ist glücklich, dass er gerade einiges zu essen bekommt und für die nächsten Tage versorgt ist.
Mittlerweile ist es schon fast 21Uhr, die Zeit vergeht im Flug bei der Tour, und wir halten trotzdem die Augen offen, ob wir zufällig jemanden unter einem Baum entdecken, aber heute nicht. Nächster Halt ist der Dom und das drumherum, hier nächtigen auch gerne Menschen. Auch hier Fehlanzeige, wobei ich weiß, dass einer unserer Schützlinge in der Tiefgarage bei der Promenade in einem der Untergeschosse schläft, ich aber nicht genau den Platz weiß. Dort werden wir heute nicht hinfahren, weil wir wahrscheinlich lange suchen müssten, ihn zu finden. Ich sagte ihm, dass wir um 19 Uhr heute am Terminal sind und er sich Lebensmittel holen könnte, am Terminal war er nicht, also wird’s nicht so dringend sein.
Vom Dom fahren wir unter die Nibelungenbrücke, wo auch einige Obdachlose campen, eine Sitzbank und einen Tisch finden wir, aber niemanden der/die dort schläft, dazu ist es ihnen heute bei diesem nasskalten Wetter zu schmutzig dort. Wir gehen runter an die Donau, um nachzusehen, ob auch dort niemand schläft. Aus einer Entfernung von etwa 4-5 Meter entdecken wir 2 Bieber, die sichtlich großen Spaß haben an Holzresten zu nagen, wir bleiben einige Minuten und schauen ihnen zu, etwa 40cm lang (ohne Schwanz) und ich schätze mal so etwa 5-6kg schwer. Sie haben uns gesehen und nagen trotzdem unbeirrt weiter, ein schöner Zufall, der uns hier zuteilwurde, sieht man auch nicht alle Tage, wenn Bieber so zutraulich sitzen bleiben. Wir fahren wieder weiter, Nähe Donaulände, und schauen uns dort um.
Vor dem Brucknerhaus stehen Busse und es sieht aus, als wäre hier heute eine große Veranstaltung, wir fahren trotzdem zu und parken uns ein. Wir gehen bei Florian vorbei, rund um das Haus und finden auf der Rückseite ein verlassenes Bettenlager mit Schlafsack und ein paar Meter weiter schläft jemand unter dem Betonvorsprung, wir fragen, ob er Hilfe braucht, was er ablehnt. Schade! Weiter geht’s!
Zur OMV-Tankstelle in der Hafenstraße, kurze Kaffeepause, es ist inzwischen fast 22 Uhr, wir gönnen uns eine Pause bei Leberkässemmel und Verlängertem. Wir philosophieren über alles Mögliche und kommen zu dem Schluss, dass unsere Tour eine der wichtigsten Aktionen in unserem Verein ist, deshalb stecken wir auch so viel Kraft und Geduld in diese Aktion, weil wir auch auf diese Weise direkt Menschen helfen können.
Nach 15 Minuten geht es um die Ecke, wieder unter eine Autobahnbrücke, zu Franziska und Gerald. Franziska wurde ja vor 14 Tagen am Finger operiert, weil eine große Eitergeschwulst fast aufgebrochen war und sie große Schmerzen hatte. Franziskas Tochter fuhr mit Franziska ins Krankenhaus und wurde dort operiert, das wegen ihrer prekären Situation wesentlich ist. Franziska gab im Krankenhaus an, dass sie keine Leistungen wie Sozialhilfe o.ä. bekommt und deshalb auch nicht krankenversichert ist, was das Krankenhaus dahingehend „inspirierte“, dass es die Rechnung für Franziska von etwa € 800,- auf die Hälfte, auf € 400,- heruntersetzte, die Franziskas Tochter beglichen hat. Und heute war Franziska zum letzten Mal im Krankenhaus um sich abschließend nochmal anschauen zu lassen, was nun wiederum etwa € 150,- an Kosten mit sich ziehen wird. Ich verspracht Franziska, dass wir diese Behandlungskosten von € 150,- übernehmen werden, um Franziska hier in keinen Graubereich abrutschen zu lassen. Ich werde übermorgen, am Dienstagabend den Einzahlungsschein von Franziska holen und den Betrag einzahlen.
Wir gehen um die Ecke, zu Gerald, der sich schon hingelegt hat aber noch nicht geschlafen hat. Gerald kommt mir vor, als wäre noch mehr psychisch vernachlässigt als noch vor Monaten, er wiederholt 3–4-mal das Gleiche und fragt nach Franziska, die nur ein paar Meter von ihm schläft, er tut so, als würde ich ihm etwas Neues erzählen. Wir sind keine Psychologen und keine Sozialpädagogen, haben keine Erfahrung mit psychischen Erkrankungen, aber Gerald kennt uns und er weiß, dass wir ihm nichts Böses wollen, er ist sehr dankbar für den heißen Tee und die Zigaretten und das kleine Sackerl Lebensmittel, das Christian ihm packte. Wir verabschieden uns wieder und gehen zurück zu Franziska, dabei ruft vom Gehweg unten jemand herauf, es ist Michelle, die mir bestens bekannt ist und die sich gerade in Rage schimpft, wegen Franziska, keine Ahnung was hier vorgefallen ist. Wobei uns Michelle als jemand bekannt ist, die hoffnungslos übertreibt und nicht immer die Wahrheit sagt. Zurück bei Franziska versuchen wir ihr nochmal deutlich zu machen, dass ich Dienstagabend den Einzahlungsschein vom Krankenhaus abhole und einzahle. Sie bedankt sich mehrmals und bittet nochmal um einen heißen Becher Tee, inzwischen den 4. Becher, den wir ihr anfüllen.
Als sich Michelle dann noch lauter echauffiert brechen Christian und ich auf. Ich spüre heute meine Müdigkeit enorm, meine Füße tun weh, meine Hände sind eiskalt und ich bin unendlich müde. Auf dem Weg zum nächsten Hot Spot bitte ich Christian, die Linz-Tour abzubrechen, ich kann nicht mehr, meine Kraft geht zur Neige und mein Tag ist schon jetzt viel zu lange. Wir fahren noch den ganzen Pleschingersee ab, inklusive Campingplatz, und brechen die Tour ab und fahren nach Ansfelden, alles ausladen und wieder einlagern. Christian versteht meine Situation und teilt meine Meinung, dass wir hier abbrechen.
Im Lager packen wir alle Boxen wieder in die Trolleys, für die nächste Linz-Tour, alles gut gegangen, es ist jetzt 23.25 Uhr und Christian hat sein Auto im Franzosenhausweg stehen, von Ansfelden zu seinem Auto übernimmt Christian das Steuer unseres Transporters, was mir wirklich gut tut. Es war trotzdem wieder eine Tour durchs nächtliche Linz, wo wir wieder auf direktem Weg den Menschen helfen konnten, und das erfüllt uns, den gesamten Verein Obdachlosenhilfsaktion.
Danke an alle Spender:innen dass wir auch diese Linz-Tour fahren durften und hier direkt helfen durften.
Vergelt’s Gott und habt großen Dank! 😊 <3