Vergessen, und nicht abgeholt!
Vergessen und nicht abgeholt!
Samstag, 28.10.2023 - Erste Linz-Tour in der kommenden Wintersaison!
Gestern, Samstagabend starteten wir, Nicole & Christian Skrasek und ich die erste Linz-Tour zu den Hot Spots und Schlafplätzen mancher Schützlinge. In all den warmen Monaten fahre ich ja die Linz-Tour nicht, erst wenn der Herbst ins Land zieht und es langsam kalt wird, dann starten wir die nächtliche Fahrt zu den Plätzen unserer Schützlinge.
Heute zum ersten Mal mit dabei, Nicky und Christian, die gespannt sind, was auf sie zukommen wird, heute Nacht. Treffpunkt war heute 17.30 Uhr bei mir daheim, vor der Abfahrt noch schnell einen Kaffee und eine kurze Besprechung, auf was wir achten werden. Wir haben heute heißen Tee und natürlich auch belegte Brötchen bzw. Sandwiches dabei, einige gespendete Zigaretten packen wir auch ein die wir verteilen werden, und viel gute Stimmung unsererseits ist auch mit dabei.
Wir beginnen im Schillerpark, gehen eine Runde durch den Park sehen aber niemand bekannten. Also weiter in den Volksgarten, wo uns schon von weitem lautes Geschrei entgegendröhnt. Es wird gerade dunkel und Babys sowie Kleinkinder schreien um die Wette. Wir beginnen unsere Runde und treffen bald Udo, der bei weiteren neuen Obdachlosen steht. Udo vermittelt ihnen, dass sie Lebensmittel haben können aber unbedingt „Danke“ sagen müssen. Udo wie er so ist, dankbar und geradlinig. Udo nimmt beide in den Schlepptau und geht andersrum im Volksgarten zu unserem Bus, wir gehen noch Richtung Musiktheater und gehen dann die Runde fertig. Beim Bus angekommen warten wir noch ein paar Minuten bis Udo mit den beiden kommt, sie sind ausgehungert und glücklich, dass sie zu essen bekommen. Wir packen ihnen einige Sackerl voll mit Lebensmittel, für Udo noch einen Body-Warmer, und wünschen dann noch einen schönen Abend, große Dankbarkeit inklusive.
Vom Volksgarten zum Bahnhofsvorpark, der bis auf einen Obdachlosen leer ist, und dieser eine gibt mir auf die Frage, ob er etwas zu essen braucht, die Antwort: „Danke nein, ich komme grade von der Wärmestube“. Auch gut. Bei den Löwen, beim Eingang zum Hauptbahnhof treffen wir Gerry und einen Freund von ihm. Ich biete ihm Lebensmittel an und er nimmt gerne an. Auf der anderen Straßenseite stehen auch 2 Schützlinge, die uns schon von weitem grüßen. Wir bitten alle zum Bus, der bei der Post abgestellt ist und wir gehen inzwischen noch in die Finanzgarage und Postgarage, heute niemand hier. Gerry und seinem Freund packen wir ebenfalls ein Sackerl voll mit dem Nötigsten und den anderen Beiden händigen wir ebenfalls je 1 volles Sackerl aus. Cabanossi, Eckerlkäse, Aufstriche, Schwarzbrot, Dosenfisch und Thunfisch, haltbare Milch, Süßigkeiten und Knabbereien sowie je 1 neue Unterhose und neue Socken. Ich mache Gerry, der letzten Winter mehr als 1 Chance von uns bekam und alle Chancen verstreichen ließ und mich noch belogen hat, ein „Angebot“, dass er nun nach 8 Monaten auch am Verteil-Donnerstag wieder zum Bus kommen darf, daraufhin schien ihm ein riesengroßer Stein vom Herzen zu fallen, er bedankt sich gefühlte 100-mal und wärmt seinen Blödsinn vom letzten Winter immer wieder neu auf bis ich ihm sage: „Wir beginnen wieder bei null, nutze diese Chance, denn ich werde mich künftig nicht mehr belügen lassen von dir“. Er gibt mir noch die Hand und wir brechen auf, ins Terminal.
Dort angekommen parken wir wie immer bei Gaby, ihre Bank ist verlassen und Gaby ist nicht da. Ich gehe zur letzten Koje, wo Lenny schläft, um ihn nicht zu erschrecken rufe ich aus ein paar Meter Entfernung „Lenny“, worauf er sich im Schlafsack umdreht und uns anlacht. „Hey Walter, schön dich zu sehen“. Auf meine Frage, ob er etwas benötigt, kommt ganz schnell geschossen: „Mah, ja, Unterwäsche und Socken und ein paar Lebensmittel wären toll“. Lenny schält sich aus seinem Sommer-Schlafsack und zeigt mir, dass der in der Nacht jetzt zu dünn ist, er friert, kein Wunder, da es nachts bis auf 0° herunter geht und es im Terminal fast immer zieht. Lenny kommt zum Bus, zuerst gibt Nicole ihm einen Becher heißen Tee und ein Sandwich, Christian packt ihm ein Sackerl mit den gewünschten Lebensmitteln, ich gehe zum anderen Ende des Busses und hole eine neue Isomatte und einen neuen Winter-Schlafsack, Lenny dankt es uns mit einem aufrichtigem „DANKE, ihr seid ein Wahnsinn“. Lenny schlürft noch einen weiteren Becher Tee und inzwischen kam Gaby zurück zu ihrem Schlafplatz, ihr packte ich eine warme Thermo-Leggins ein, die kann Gaby jetzt gut gebrauchen, genauso wie neue, warme Winterschuhe, neue Unterwäsche und warme, von unseren Spenderinnen selbst gestrickte Socken. Auch Gaby trinkt heißen Tee und bittet mich um eine dicke Decke, die ich heute leider vergessen habe, aber nächste Woche nachbringe.
Es kommen noch weitere 3 Schützlinge zum Bus im Terminal, denen wir allen je 1 Sackerl packen. Nebenbei gehen Passanten vorbei, 2 junge Mädels schauen uns aus einer Entfernung von etwa 10 Metern zu und sind begeistert: „Poah ist das eine tolle Aktion, voi geil, des is voi klass.“ Dieses Kompliment nehmen wir natürlich gerne mit in die Nacht, danke. Eine junge Frau mit Sandalen, Wintermantel und Handschuhen kommt auf uns zu und fragt, ob wir ihr helfen können. Sie erzählt von einem Elektro-Smog in ihrer Wohnung, in der sie sich überhaupt nicht mehr wohl fühlt. Es wurde im Haus gegenüber ein riesengroßer Handymasten montiert, und seither ist ihr Leben in dieser Wohnung ein einziger Horror, wie sie erzählt. Sie kann dort nicht mehr bleiben und möchte schnellstens weg, ich erzähl ihr, dass mich vor wenigen Wochen eine Frau aus Niederösterreich per Facebook angeschrieben hat, die sich jemanden auf ihrem kleinen Bauernhof als „Unterstützung“ wünscht, die aber auch dort mit ihr lebt und ihre beiden Hunde akzeptiert. Ich bitte die Frau uns eine Viertelstunde Zeit zu geben da Christian dringend zur Toilette muss, sie wolle auf uns warten, sagt sie.
Wir brechen auf in die Katakomben des Bahnhofs, in die Tiefgarage des Bahnhofs. Christian geht zur Toilette, Nicky und ich befragen inzwischen die ÖBB Security über weitere Schlafplätze Obdachloser im Bahnhofsbereich, worauf wir zur Antwort bekommen, dass es zurzeit niemanden gibt der/die am Bahnsteig schläft. Christian ist zurück und wir gehen rüber in die Tiefgarage, wo wir zwar eindeutige Utensilien finden, die auf Obdachlose verweisen, aber niemanden antreffen. Also zurück zum Bus, zu dieser Frau, die hoffentlich auf uns wartet. Als wir zum Bus kommen warten erneut 3 Schützlinge die Lebensmittel brauchen, die bedienen wir zuerst, und dann steht die junge Frau wieder vor uns und erzählt weiter. Ich verspreche ihr mich bei der Frau in Niederösterreich zu erkundigen ob hier etwas möglich wäre, was ich am kommenden Montag machen werde. Sie erzählt mir noch lange von ihren Ängsten und Bedenken, wir verbleiben so dass wir uns nächste Woche telefonisch verabreden.
Sodale, vom Terminal geht es Richtung Wiener Straße, wo Tony eine Holzhütte bewohnen darf. Ich war noch nie dort, wir finden aber die etwa 2 x 2 Meter großen Hütten gleich und ich klopfe an die Tür, es ist mittlerweile 21.30 Uhr und Tony hat schon geschlafen, mit verschlafenen Augen öffnet er die Tür und freut sich überschwänglich, mich zu sehen. Er bittet mich in sein „Reich“ und erklärt mir überglücklich, welcher Segen diese einfache Holzhütte für ihn sei, ein Dach über dem Kopf, zwar ohne Heizung aber dafür trocken und sicher und er muss nicht immer sein gesamtes hab und Gut auf jeden Spaziergang mitnehmen, er ist froh über diese Hütte. Sie ist nur spärlich eingerichtet, aber er will auch gar nicht mehr haben, er kann mit dem Gaskocher kochen, hat ein großes Bett und kann seine Klamotten ablegen. Tony ist 76 Jahre alt und so ein Sonnenschein von einem Menschen, zufrieden und mit kleinen Dingen glücklich zu machen, ich mag Tony sehr. Nicky und Christian holen für Tony ein paar Fischdosen und zu trinken, mehr braucht er nicht, meinte er. Nach etwa 20 Minuten brechen wir auf, zum nächsten Halt.
Unter der Autobahnbrücke besuchen wir Michael, der ebenfalls schon schläft. Auch er ist glücklich uns zu sehen und schält sich aus dem engen Schlafsack, wenn er was haben mag, muss er mitkommen zum Bus, das verlangen wir. Michael watschelt hinter uns zum Bus, 3 Zigaretten, heißen Tee und alles, was er braucht. Cabanossi, Dosenfisch, Brot, Sugo, Gulaschsuppen und Chili Con Carne, Süßigkeiten und Knabbereien packen wir auch noch in sein Sackerl ein. Nicky deutet mir leise an, dass Michaels Jogginghose angemacht ist, worauf wir ihm neue Unterwäsche und eine neue Jogginghose mit Sweater geben. Michael ist dankbar und verabschiedet sich ein wenig beschämt, weil wir seine angemachte Hose bemerkten. Aber sein Dank war groß und ehrlich.
Von der Autobahnbrücke fahren wir weiter zum Dom, wo der Durchgang mittlerweile gesperrt ist, damit dort niemand mehr übernachten kann. Also gleich weiter zum Brucknerhaus. Dort „residiert“ ja Florian, der, sollte er etwas benötigen, sich bei uns telefonisch meldet, also gehen wir bei Florian vorbei auf die Rückseite, wo eine Matratze liegt, und Sonnensessel stehen, wir aber niemanden antreffen. Also weiter wieder zum Bus, da fällt mir ein eine Frau hat mir am Freitag ein Mail geschickt, dass am Hessenplatz ein alter Mann mit Rollator in der Bushaltestelle schläft.
Wir brechen nochmal auf Richtung Hessenplatz, stellen den Bus ab und suchen die Adresse zu Fuß auf. Plötzlich sehen wir einen alten Mann, der gerade noch stehen kann, sich am Rollator festhalten. Wir setzen uns gemeinsam auf die Bank und ich frage vorsichtig, ob er obdachlos sei und was passiert ist. Er erzählte uns, dass er seit 5. Oktober auf der Straße leben muss, er invalid ist und die Welt nicht mehr verstehe. Sein Allgemeinzustand war für uns besorgniserregend, er weinte, ist vom Leben enttäuscht, weil auch seine Einsprüche gegen die Delogierung nicht fruchteten, sondern lediglich billige Ausreden als Ergebnis zeigten. Ich merkte, wie er von der Gesellschaft und der Welt enttäuscht ist, als 62-jähriger Invalide ohne Alternative delogiert zu werden. Sein Gebiss lag zerbrochen auf seinem Rollator, und ich wusste wir brauchen hier eine Lösung, jetzt gleich! Ich ruf in der Notschlafstelle an und frage, ob ich mit einem neuen Obdachlosen kommen dürfe, damit er in der Notschlafstelle übernachten kann. Ich sage auch gleich dazu, dass der Herr etwas getrunken hat, aber dringend weg muss von der Straße. Sofort wurde mir zugesichert, dass es ein freies Bett geben würde. Herr W. begann fast zu hüpfen vor Freude, er war so glücklich, keine weitere Nacht in der Kälte verbringen zu müssen. Er bedankte sich dauernd, zuerst bei Nicky und Christian und dann fiel er mir noch um den Hals, als Danke. Also packen wir Rucksack, Schlafsack, Rollator zusammen und brechen auf, in die Notschlafstelle des B37, wo wir uns auf diesem weg herzlichst bedanken wollen, DANKE und VERGELT’S GOTT für diese großartige Vorgehensweise. Dort angekommen müssen wir ein paar Treppen gehen, um zur Rezeption zu kommen, Herr W. schafft es mit Hilfe von Nicky und Christian, ich ging vor, um uns anzukündigen. An der Rezeption saß ein Mann der Herrn W. von früher kannte, da er ihn in einer anderen Einrichtung einmal betreute. Auch der Alkomat gab dann noch sein OK, da niemand in die Nowa darf mit über 3 Promille. Da war Herr W. weit weg davon. Er war überglücklich im warmen zu sein und nicht mehr dem Gesetz der Straße ausgesetzt zu sein. Manche Passanten am Hessenplatz, die bei seiner Koje vorüber gingen waren nicht unbedingt freundlich, manche spukten ihn an und warfen seinen Rollator um, erzählte Herr W.. Wir hinterlegten 15 Jetons, damit Herr W. nun einmal zur Ruhe kommen kann und seitens des B37 wird schon nach einer langfristigen Lösung gesucht. Einfach TOLL! Wir verabschiedeten uns still, und als er merkte, dass wir gehen, brach er wieder in Tränen aus und rief uns nochmal DANKE nach. Einfach ein tolles Gefühl, auf diese Weise helfen zu können, wenngleich uns alle beim Anblick des Herrn W. der Hals zuschnürte und uns sprachlos machte.
Von der Nowa fahren wir an die Donaulände zur Tankstelle, wir brauchen jetzt einen Kaffee und eine Leberkässemmel und ein paar Minuten Aus-Zeit von der Linz-Tour. Alle drei waren wir etwas betrübt, aber auch glücklich, geholfen zu haben. Zwischendurch frage ich Nicky und Christian immer wieder nach ihren Eindrücken, die mir sehr wichtig sind. Alles gut antworten beide. Beide sehen, wie wichtig diese Linz-Tour ist, gesamt gesehen, weil wir hier doch einige Menschen antreffen, die es sonst nicht zu uns schaffen würden. Wir begegnen allen Menschen wertschätzend und auf Augenhöhe, wir zeigen Respekt was viele verwundert aber für uns das mindeste ist, was wir aufzubringen haben.
Von der Tankstelle geht’s ein paar hundert Meter weiter, zu Gerald und Franziska. Franziska hat sich von Gerald gelöst und hat ihr Lager um die Ecke aufgeschlagen. Es zeichnete sich schon länger ab, dass Franziska ihre Habseligkeiten nehmen muss, um dem Streit mit Gerald aus dem Weg zu gehen. Gerald blieb an seinem Platz, Franziska erzählte uns, warum und wieso sie wegging, absolut verständlich. Emma, Franziskas Hund wedelt mit ihrem Schwanz wild umher vor lauter Freude, bevor sie unter die Decke zu ihrem Frauerl kriecht. Wir gehen kurz rüber zu Gerald, um auch ihn zu begrüßen und einen heißen Tee zu vorbeizubringen, auch hier verteilen wir einige Zigaretten, Geralds Augen glänzen vor Freude. Lebensmittel winkt er ab: „Ich habe noch genug hier, aber danke dir“. Wir wünschen noch eine gute Nacht und gehen zurück zu Franziska, die sich warme Handschuhe wünscht. An ihrer linken Hand hat sie einen dicken Verband wegen einer schweren Nagelwurzelentzündung und eines Bisses eines Käfers, der diese Entzündung weiter vorantrieb. Christian holt warme Handschuhe, die wir Franziska überlassen. Die Zeit ist schon weit vorangeschritten, der Tag dauert schon seit 6 Uhr früh und jetzt ist es 23.15 Uhr.
Wir brechen auf Richtung Plesching, sehen aber außer vielen Hasen nicht viel Leben dort. Die geparkten Wohnmobile scheinen auch schon Nachtruhe zu vollziehen und wir wollen nicht stören.
Zu guter Letzt fahren wir noch in die Industriezeile, um ein paar Hot Spots abzufahren, wo wir aber auch niemanden antreffen, zu diesem Zeitpunkt ist es knapp vor Mitternacht, worauf ich hoffnungslos übermüdet Nicky und Christian bitte, alles für heute abzubrechen, da die sich die Müdigkeit schon in die letzte meiner Poren schlafen gelegt hat, schlicht gesagt, ich kann nicht mehr, die Müdigkeit hebelt mich aus.
Wir fahren Richtung Franzosenhausweg, wo Nicky und Christian ihr Auto stehen haben, um anschließend mit mir ins Lager, ausladen, zu fahren. Nach getaner Arbeit verabschiede ich mich um 00.25 Uhr von den Beiden und bedankte mich für die Begleitung und große Hilfe.
An dieser Stelle auch ein großes DANKE und VERGELT’S GOTT all unseren Spender:innen, dass wir auch diese Linz-Tour fahren durften, um zu helfen.
Es dauerte dann noch einige Stunden bis ich so weit vom ganzen Tag loslassen konnte, um einzuschlafen. Solche Tage und Nächte nimmt man mit nach Hause und denkt unentwegt nach, was man besser hätte machen können oder was man ändern muss, um eventuell noch effektiver helfen zu können. Und die Schicksale und Situationen der Menschen nimmt man trotz allem auch mit nach Hause, das geht gar nicht anders. Viele Stunden wälzt man noch Gedanken, welche Möglichkeiten man noch hätte, um zu helfen.
Ich werde noch viele Stunden nachdenken, wie wir helfen können, versprochen! Danke für Eure Loyalität und Eure Aufmerksamkeit. Gott segne Euch! 😊 <3