Where Have All The Flowers Gone?
Where Have All The Flowers Gone?
Long Time Passing.
Where Have All The Flowers Gone?
Long Time Ago.
Where Have All The Flowers Gone?
(®Lyrics By Pete Seeger)
In großen Schritten naht Allerheiligen und Allerseelen, und deshalb wollen wir an all unsere verloren gegangenen „Blumen“, an all unsere Schützlinge erinnern, die diese Welt viel zu früh verlassen haben.
Es ist erwiesen, dass arme, obdach- oder wohnungslose Menschen eine wesentlich kürzere Lebenserwartung haben als die große Mehrheit der Gesellschaft. Viele verschiedene Faktoren spielen hier eine wesentliche Rolle, dass unsere Schützlinge diese Welt aus einer völlig anderen Perspektive erleben müssen und früher aus dem Leben scheiden. Mögen sie dort, wo sie jetzt sind, gerechter, schöner und vor allem besser behandelt werden als auf dieser Welt.
Wir gedenken im Hinblick auf das vor der Tür stehende Allerheiligen, heute unserer verstorbenen Schützlinge.
Zum Beispiel Meikel, der ehrliche und geradlinige Wiener, der die letzten Jahre seines Lebens in Linz fristete, der mir immer entgegenrief: „Hey Walter, mein Freund, hast du einen guten Tee dabei?“. Meikel war bis zu seiner Obdachlosigkeit weder Junkie noch Alkoholiker, er war gelernter Tischler und war nach Erzählungen, sehr begabt. Meikel kam durch Zufall nach Linz, ursprünglich war er mit dem Zug auf dem Weg nach Berlin, und in Linz wurde er wegen Schwarzfahrens von der Polizei aus dem Zug „begleitet“. Zwischendurch war er immer kurze Zeit in Salzburg, bei einem Bekannten zu Besuch. Er hatte weder Geld noch Zimmer, weder Verwandte noch Freunde und wechselte am Anfang seiner Linzer Zeit, oft seinen Schlafplatz. Ausgerüstet mit Isomatte und Schlafsack und vielen Lebensmitteln von unserer Obdachlosenhilfsaktion, zog er früher von Park zu Park, von Tiefgarage zu Tiefgarage, manchmal durfte er auch bei Bekannten ein paar Tage übernachten, was er immer sehr genossen hat. Meikel war ein Indikator für das Leben auf der Straße, er sagte ohne Ausrede immer geradeheraus, was gerade Sache ist und woran es hapert. Meikel war starker Alkoholiker, wobei man hier deutlich sagen muss, dass bei ihm der Alkohol erst später beim Leben auf der Straße dazukam, der Alkohol war hier keineswegs Auslöser für die Obdachlosigkeit. Meikel war immer positiv dem Leben gegenüber eingestellt, auch in jenen Tagen, wo es ihm gesundheitlich nicht mehr so gut ging und er oft nicht mehr aufstehen konnte, weil ihm seine Beine den Dienst versagten. „Ich kann nur noch gehen, wenn ich getrunken habe“ war einer seiner Sätze, „wenn ich nüchtern bin, falle ich immer zu Boden“. Meikel wusste auch, dass, wenn er so weiter trinkt, er nicht mehr viel Zeit haben würde: „Dann ist das so, dann werde ich sterben, aber ich habe immer so gelebt, wie ICH es wollte und nicht wie andere es sagten, dass ich leben sollte.“ Meikel war ein uriger Typ und ein Mensch, den man einfach gerne haben musste. Am 8.5.2022 tauschte Meikel diese Welt, gegen eine hoffentlich bessere. Ich denke oft an ihn und wünsche ihm, dass es ihm jetzt besser geht.
Ein anderer Schützling, der mir ebenfalls sehr ans Herz gewachsen war, war Affi. Affi hatte einen Zwillingsbruder, der schon vor Jahren gestorben ist, dessen Tod er aber nie wirklich verarbeiten konnte. Affi war schwerer Alkoholiker und schwer krank. Ich ließ ihn 2-mal vom Terminal mit der Rettung abholen, weil er ca. 40cm große Blasen an den Ober- und Unterschenkeln hatte. Ich habe noch nie vorher solch enorme Blasen gesehen, ich konnte mir nicht erklären, woher die vielen riesengroßen Blasen kommen, Affi erzählte nur dass er große Schmerzen hat und er aus dem Krankenhaus um 4 Uhr früh einfach „entlassen“, besser gesagt wieder auf die Straße gesetzt wurde. Er wurde im Krankenhaus aufgenommen und in der Nacht wieder rausgeworfen, und von niemandem bekam man Antworten, auch wir nicht. Affi war kein Mensch der grundlos jammerte, der auch nicht lügte oder Dinge erzählt, die nicht stimmen. Mich hat er nie angelogen und immer mit leiser Stimme um Hilfe gebeten, er war kein Mann der lauten Worte, er war eher einer der wegging, wenn es wo Streit oder ungute Situationen gab. Ich schaue oft an unseren Verteil-Donnerstagen Richtung Bahnhof, in der Hoffnung Affi zu sehen, und dann kommt die Ernüchterung und das Wissen, dass er erst vor wenigen Monaten, am 26.8.2023 heimgegangen ist. Ich wünsche auch Affi, dass es ihm jetzt besser geht da oben als hier unten in dieser ungerechten und teilweise boshaften Welt. Ich werde dich nie vergessen mein Freund, lieber Affi!
Am 24.10.2021 verließ auch Matthias viel zu früh diese Welt. 1 Woche vor seinem Ableben war Matthias noch bei unserem Bus, blass und sichtlich hoch depressiv und vollgepumpt mit Tabletten, konnte er meinen Fragen beim Verteil-Donnerstag nicht folgen, er konnte nicht einmal verständlich reden. Matthias war ein junger Mann, knapp vor 40, der immer wieder zu mir sagte: „Ich mag nimma, ich halte diese Welt nicht mehr aus“. Irgendwann ging er mit Daniel, seinem Freund, in dessen Zimmer, wo er einige Tage bleiben durfte, Daniel ging mit seinem Hund Gassi, als er zurückkam lag Matthias tod auf Daniels Bett. Daniel machte sich lange Zeit Vorwürfe: „Hätte ich Matthias nicht alleine gelassen, wäre das alles nicht geschehen“. Nein, lieber Daniel, Matthias hätte dann wohl andere Wege und einen zeitnahen „Termin“ für seine „Vorhaben“ gefunden. Matthias wollte in dieser Welt, die so gar nichts übrig hatte für ihn, nicht mehr sein, er wollte nicht mehr Bestandteil einer Gesellschaft sein, die sich mit dem Winde dreht. Matthias ging leider ebenfalls viel zu früh von dieser Welt, die ihn zeit Lebens immer zu einem „Schuldigen“ seines Schicksals machte. Matthias wir werden dich nicht vergessen!
An eine Frau, die am 4.4.2022 nach langer Krankheit heim gehen musste, erinnere ich mich immer wieder sehr gerne. Mag. Laura B., die bei unseren Verteil-Donnerstagen immer darauf bedacht war, dass die anderen genug bekommen von uns, und wenn etwas übrig bleibt, würde sie auch ein bisschen was mitnehmen. Laura war immer demütig den Menschen und dem Leben gegenüber, war immer am Boden geblieben und dankbar für alles, was man ihr schenkte. 2 Tage vor ihrem Tod kam sie noch zum Verteil-Donnerstag und schenkte mir ein getrocknetes Gänseblümchen, sie sagte: „Es soll sie immer an mich erinnern, wenn ich nicht mehr bin“. Ich glaube Laura spürte, dass sie nicht mehr viel Zeit hat. Laura war immer darauf bedacht sich um jene Menschen zu kümmern, die noch weniger hatten als sie, dabei hatte Laura schon nichts mehr. In den 2 letzten Jahren lebte Laura neben Ratten und anderem Ungeziefer, wurde dort unten nur noch kränker, aber dort hatte sie ihre Ruhe, wie sie immer sagte, deshalb blieb sie dort. Laura war gebildet und trank weder Alkohol noch nahm sie Drogen, auch sie war irgendwo an einer Lebensampel falsch abgebogen und bekam keinen Fuß mehr ins Leben. Ich erinnere mich gerne und oft an Laura, die so vieles durchleben musste. Du bleibst unvergessen, liebe Laura!
Am 18.10.2021 brach eine Welt zusammen, für Marios Geschwister und Familie. Mario W. stürzte am Volksgarten WC und konnte sich noch ins Freie retten, beim Baum vorm WC brach Mario zusammen und alle Wiederbelebungsmaßnahmen hatten keinen Sinn mehr, Mario war Tod. Mario war innerlich zerrissen, war kurz vor seinem Tod eine Zeit lang in Wien bei einer neuen Freundin, die ihm Liebe, Kraft und Zeit schenkte, und doch hielt er diese Nähe nicht immer aus und flüchtete dann für kurze Zeit. Mario rief mich kurz vor seinem Tod an und bat mich um Hilfe bei der Suche nach einem Zimmer, er wollte wieder zurück nach Linz sagte er mir am Telefon. Den Tag an dem er nach Linz zurückkehrte wusste ich nicht, ich erfuhr plötzlich aus heiterem Himmel von seinem Tod im Volksgarten. Mario war auch nie ein lauter Mensch, er war immer leise, immer angenehm und manchmal einfach seiner eigenen Hilflosigkeit ausgeliefert. Er wollte immer etwas machen damit er wieder auf die Beine kommt, doch beim geringsten Gegenwind gab er frustriert auf und trank sich seinen Frust von der Seele. Lange Zeit hielt er der Abstinenz treu den Stab, aber es kam dann immer dicker und manchmal war er auch der Willkür der Ämter ausgesetzt, was er mir erzählte, und gegen diese Willkür konnte und wollte Mario nicht mehr ankämpfen, er spürte die Sinnlosigkeit dieses „Kampfes“. Aber sein Tod war ein Unfall, der nicht hätte passieren dürfen.
Und so erinnern wir uns an viele, viele Schützlinge, die wir mit dem Nötigsten versorgen durften, die wir einen kleinen Weg lang begleiten durften, manche wurden zu Freunden, manche blieben Bekannte und manche wollten unsere Nähe gar nicht, und trotzdem ist mir jede/r einzelne wichtig, an sie/ihn zu erinnern. Alle waren Menschen mit dem gleichen Schicksal, der Obdach- oder Wohnungslosigkeit, die sie alle zermürbte, ohne wirkliche Chance auf einen neuen Weg. Alle waren dem gleichen „Schicksal“ ausgeliefert und doch wussten auch alle, dass sie ohne professionelle Hilfe es nicht mehr weg von der Straße schaffen würden.
Wir erinnern an dieser Stelle auch an Auböck Peter, Ganglberger Markus, Herbert „Bertl“ Weissengruber, Rubenzucker Erwin, Kirov Peter, Robert Christian, Selimovic Mirzet, Pettinger Günther, Walter Kriegl, Mario Erlbeck, Johannes Dietersdorfer, Franz Holzinger, Gerhard Weidinger, Christian Schneider, Ernst Meisinger, Silvia Stockenhuber, Szasz Sandor und an alle anderen Linzer Obdachlosen, die ich an dieser Stelle vergessen habe. Ihr bleibt unvergessen und tief in unseren Herzen.
Where Have All The Flowers Gone?
Unser Verteil-Donnerstag am Nationalfeiertag war geprägt von Danksagungen unserer Schützlinge. Für uns ist es normal, dass wir natürlich auch an den Donnerstags-Feiertagen unseren Verteil-Donnerstag abhalten, wir wollen niemanden im Stich lassen. Viele unserer Besucher vom Donnerstag bedankten sich gefühlt 3-4-mal bei uns, dass wir auch am Feiertag da sind für sie, dass sie zählen können auf uns und dass sie so große Hilfe bekommen. 76 Schützlinge sollen es am Ende dieses Verteil-Donnerstags sein, die uns besuchten und die sich bei uns Lebensmittel holten. 76 Menschen mit düsteren Perspektiven, mit wenig Hoffnung und vermutlich einer nicht lebenswerten Zukunft. Wenn jemand immer darauf angewiesen ist, Hilfe zu bekommen, wird man irgendwann müde, um Hilfe zu bitten, das ist ebenfalls eine Erfahrung, die wir immer wieder machen.
Es war in kurzen Worten, ein großartiger Verteil-Donnerstag, an dem wir wieder ausgiebig helfen konnten und durften, an dem wieder neue Menschen zu uns gefunden haben, weil sie sonst nicht mehr wissen, wie sie zu Lebensmittel kommen würden.
Bitte lieber Leute, lieber Spender:innen und Wegbegleiter:innen, unterstützt uns tatkräftig mit Spenden, damit wir weiterhin dort helfen können, wo es am dringendsten ist. Wir versprechen Euch, dass jede noch so kleine Spende auch wirklich dort ankommt, wo diese dringend benötigt wird. Dafür verbürgen wir uns.
Recht herzlichen Dank für Eure Aufmerksamkeit und Eure Geduld beim Lesen dieses etwas kürzeren Postings, Vergelt’s Gott und habt großen Dank, dass wir auch diesen Verteil-Donnerstag abhalten durften.