Warum Du?

Meikel...
...der letzte Sonntag gestorben ist, hinterlässt bei seinen Freunden am Terminal eine große Ratlosigkeit, eine große Lücke. Meikel war beliebt, weil er so war, wie er war. Als ich am Dienstag bei meinem außertourlichen Besuch am Terminal vom Tod Meikels erfahren habe, zog es auch mir die Beine weg. Jeder der Meikel kannte, wusste dass es wohl nur eine Frage der Zeit sein würde, bis so etwas passiert. Ich erinnere mich noch gut an eine samstägliche Nachttour durch Linz zu den Hot Spots, wo ich Meikel jeden Samstag getroffen habe und der von meinem Früchte-Tee schwärmte als sei er purer Wodka, es war wohl irgendwann zwischen Weihnachten und Hl. 3 Könige, wo ich keinen Zeitdruck hatte, und mit Meikel reden konnte, weil er auch nüchtern war. Darauf angesprochen ob er nicht ein Leben ohne Alkohol dem jetzigen Leben vorziehen würde. NEIN, schoss es aus ihm heraus, ein Leben auf der Straße ohne Alkohol halte ich nicht aus. Und, er liebte all seine Kumpels am Terminal, in der Wärmestube, er war eine Instanz auf, die jeder hörte.
Wenn Meikel wieder einmal als einziger vom Terminal verwiesen wurde, und alle anderen durften bleiben, dann waren es seine Kumpels die Meikel nicht alleine ließen, sie suchten sich vorübergehend gemeinsam mit Meikel einen anderen Schlafplatz, im Fahrradkeller, unter dem Fahrradständer, in der Tiefgarage, egal wo, Elmar und alle anderen Freunde Meikels waren eine eingeschworene Gemeinde, die es gerade jetzt sehr schwer hat. Sie alle trauern um einen ehrlichen, um einen geradlinigen Freund wie man ihn sich in vielen Situationen nur wünscht. Meikel verkörperte vieles, für die Polizei war er Reizfigur und trauriges Opfer zugleich, für die Security war er einfach nur einer jener, den man aus dem Terminal eliminieren muss und für viele Passanten war Meikel einer, dem man weder zuhört noch nach dem Grund seiner Obdachlosigkeit fragt, Meikels Schicksal interessierte niemanden, aber den erhobenen Finger der Selbstgerechtigkeit, den erheben viele recht gerne, ohne zu wissen, wie schnell es gehen kann dass man auf der Straße landet.
Meikel ist für mich so ein typisches Beispiel geworden, um einmal darüber nachzudenken, ob man selbst auch so behandelt werden möchte. Meikel erzählte mir oft, dass er nachts am Terminal seinen Rucksack am rechten Bein festmachte, weil man ihm alles schon gestohlen hatte im Schlaf. Und eines Tages, Meikel hatte gefühlte 3 Promille intus, wurde er nachts munter und jemand fuhrwerkte an seinem Bein, um den Rucksack zu stehlen, er setzte sich auf und erst da suchte der Dieb das Weite. Dass man Obdachlosen im Schlaf die letzten Habseligkeiten stiehlt, ist Tatsache, dass man dann aber die Dokumente, die meistens auch im Rucksack aufbewahrt werden, wegwirft und entsorgt, ist an Boshaftigkeit nicht zu überbieten. Für Obdachlose ist es ungemein schwierig, alle Dokumente wieder zu besorgen. Das alles ist mit großem Aufwand belegt, und mit hohen Kosten, die sich unsere Schützlinge nicht leisten können. Für einen Antrag auf einen Ausweis muss jemand zur Behörde mitgehen und den Obdachlosen dort eindeutig identifizieren, was nicht immer so leicht ist, denn Staatsbürgerschaftsnachweis und Geburtsurkunden haben noch die wenigsten zur Verfügung. Das alles ist ein großes Problem im täglichen Leben auf der Straße. Meikel war aber immer auch derjenige, der als erster das Wort für Opfer von Diebstahl oder gegen Behördenwillkür erhob, deshalb war er selbst oft „Opfer“ von menschlicher, moralischer Anmaßung in Beamtenkleidung. Das war über weite Strecken der Alltag, von dem mir Meikel oft erzählte. All diese Dinge kann man sehen, wie man mag, wenn man aber Meikel kannte, lernte man den Codex der Straße schnell kennen. Auch unter den Obdachlosen gibt es ein Gesetz, gibt es Grenzen, über die NIEMAND zu gehen hat.
Für mich war das auch früher unverständlich, weil ich nicht hinter die Kulissen blicken konnte, als Ich dann mit der Zeit viele Obdachlose „Freunde“ nennen durfte, verstand ich die Gesetze. Und, Meikel war ein Verfechter dieser Regeln im Nirvana der Gesellschaft. Elmar, Meikels bester Freund ist grade selbst so verloren, dass ich heute auch Angst um ihn habe.
Elmar, als Titel trägt er „Ing.“ für Ingenieur und Freund des Herzens, ein selten guter Mensch, ein so feinfühliger Mensch, dem ich mit meiner ganzen Hochachtung begegne und um den ich mir große Sorgen mache. Elmar ist wirklich Ingenieur, genoss eine tolle Ausbildung, bis ihm das Schicksal den Mittelfinger zeigte. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich Elmar treffe, mit ihm reden kann und ihm lauschen kann, ein gebildeter Mann, der auf der Straße aufschlug und bis heute nicht aus dieser Lethargie der Handlungsunfähigkeit herauskommt. Ich nenne es einfach, vom Leben verprügelt und von der Gesellschaft fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, und dann gibt es diese Selbstgerechten (Eseln) die dann noch etwas von „arbeitsscheues Gsindl“ faseln, ohne erst einmal nachzudenken, wo denn ein möglicher Arbeitgeber die Menschen anmelden sollte, ohne Hauptwohnsitz, ohne Wohnmöglichkeit? Aber Hauptsache man prügelt, und sei es „nur“ rhetorisch auf die Menschen ein, die eh schon am Boden liegen. Vor den Obdachlosen habe ich größten Respekt, vor solchen Menschen, die immer nur hin dreschen können, ohne je selbst überhaupt etwas geschafft zu haben, kann ich weder Respekt noch Achtung haben.
Aus irgendeinem niederen Grund auf andere Menschen zu zeigen, die als nicht „Gesellschaftskonform“ einher gehen, ist ja fast schon Mode geworden, wenn es dabei bleiben würde und der körperlichen Gewalt entsagt werden würde, wäre mir wohler. Teile der Community stellen sich in öffentlichen Parks ja gegenüber den Obdachlosen so dar als wären Sie die Instanz, auf die WIR zu hören hätten, und beim kleinsten Laut gehen dir schon 3 Typen fremder Herkunft nach und wollen dir Angst machen. Oft genug selbst erlebt, nur, ich habe meinen Herrn dabei, der mich beschützt, darum zeige ich oft auch keine Angst was die Typen dann noch aggressiver macht.
Auch Meikel hatte vor niemandem Angst, er war einfach ein wunderbarer Mensch, den ich „Freund“ nennen durfte und den ich niemals vergessen werde. „Mach’s gut mein Freund, irgendwann seg’n ma uns wieda.“
Im Laufe dieser Woche habe ich oft an die Linz-Tour, an all die Schützlinge, die wir dort trafen, denken müssen. Vor einigen Wochen war es Mag. Laura B. die gestorben ist, jetzt Meikel, letztes Jahr Mario und Matthias, ich tu mir zurzeit sehr schwer mir das alles auf Distanz zu halten, es geht einfach nicht, es fährt mir jedes kleine Detail von dem mir erzählt wird, direkt ins Herz. Darum tu ich mir zurzeit so schwer, jemandem der mich erst kürzlich belog, noch zu glauben, als Beispiel. Das bringe ich derzeit nicht.
Am Mittwoch hatte ich um 15 Uhr das erste Treffen mit Ali von LT1, der einen Bericht über Obdachlosigkeit in Linz und über unseren Verein macht. Zur Begrüßung ein paar fakten, Ali wusste vieles nicht, warum jemand obdachlos wurde oder wie das Leben auf der Straße sich anfühlt. Ein paar Beispiele in Erzählungen, dann fahren wir ins Terminal, zu Hansi, Elmar, Affi, Gernot, Jürgen u.a.. Jürgen hätte eigentlich versprochen ein Interview zu geben, er ist derjenige der einfach nicht gekommen ist und mich hängen lässt. Unser langer Hansi kommt mit, da Ali das Interview an unserem Verteilplatz drüben machen möchte, auf dem Weg dahin treffen wir noch Ronny, der auch mitkommt und ein paar Sätze sagen wird. Um 17.15 Uhr muss ich dann Ali auf Donnerstag vertrösten, da ich um 19 Uhr einen wichtigen Termin habe, mit einem jungen Mann, der nicht mehr leben will.
Ali verschiebt das Interview mit Hansi auf Donnerstag, und das mit Ronny ist bereits im Kasten. Ich vertschüsse mich und fahre heim, für das Treffen noch ein gespendetes Fahrrad für Sr. Lydia zu holen, die dem Treffen beiwohnen wird. Um 19 Uhr Treffpunkt Bahnhof mit Sr. Lydia, sie bringt heiße Lasagne mit für mich: „Du hast bestimmt noch nichts gegessen heute“, war echt lecker, danke liebe Sr. Lydia. Mit unserem jungen Mann vereinbaren wir ein langsam beginnendes Programm, ohne Druck und ohne Maßnahmen. Wir sind gespannt, ob wir es schaffen, ihm seine Ängste, seine Befürchtungen zu nehmen und ihm eine Begleitung zu ermöglichen, mit der er leben kann. Ein Abenteuer für uns, aber wir versuchen es. Somit ist mein Mittwoch auch vorbei, ein langer Tag von 6 Uhr früh, wo mich ein Anruf aus dem Bett klingelte, bis 21 Uhr und der ganz ist der Tag ja noch nicht zu Ende.
Der Donnerstag beginnt auch wieder um 6 Uhr früh, wie immer alles vorbereiten, heute ist Barbara wieder dabei, alles herzurichten, und am Nachmittag sehen wir unsere vermisste Petra wieder, die in den letzten Wochen leider eine Ausbildung machen muss und somit für uns keine Zeit hat, aber heute kommt sie mit ihrem Sohn und einem Freund ihres Sohnes, beide müssen für ein Sozialprojekt eine Präsentation machen, dafür helfen sie heute Nachmittag beim Verteilen. Ich freue mich riesig, Petra zu sehen. Aber vorher sind noch viele Dinge zu bewerkstelligen, zu tun, Wurstsemmeln und Wurstbrote belegen, Käse und Wurst schneiden und neu verpacken, die gespendeten Waren einlagern und inventieren, und zwischendurch bringt unsere Silvia zu Mittag wieder eine herrliche Mahlzeit, Wurstsalat, Salate, Aufstriche, Kuchen und Torten, ein richtiger Glücksfall, unsere Silvia. Beate bringt auch eine tolle selbstgemachte Torte mit, wir schlemmen und genießen. Es erzeugt auch eine heimelige Stimmung am Tisch, wenn man so eine Gemeinschaft hat, wir sind alle sehr dankbar für diese Stunden, wir sind eben ein großartiges Team, das gemeinsam vieles schon geschafft hat und in Zukunft noch vieles schaffen wird.
Um 13.30 Uhr beginnen wir den Bus zu laden, alles wie gehabt, unsere Beate fährt nach Linz, um uns den Platz für später zu reservieren. Vormittag war noch Ingrid im Lager, die aber dann wieder heimfahren musste um Nachmittag direkt nach Linz zur Verteilung zu kommen, also ist der Anhänger schon gut sortiert und wir können das ganze Obst und Brot dort einladen. Um 15.10 Uhr Abfahrt nach Linz, schönstes Wetter und ich freue mich, unsere Schützlinge zu sehen. Ali und sein Kollege sind schon da und filmen, interviewen und checken die Lage vor Ort. Wir stellen ab und räumen aus, wie immer, heute etwas verzögert, weil Ali den Platz fürs Interview noch benötigt, kein Problem. Vor Ort ist auch alles ruhig, keine Probleme mit den Chauffeuren, ganz im Gegenteil. Manche Bedürftigen zeigen nicht einmal so viel Anstand, dass sie den geliehenen neuen Staubsauger entleeren oder den Staubsauger mit dem Zubehör zurückgeben. Die 3 Leute, die in Urfahr in den ehem. Zimmern, die von uns angemietet waren, hatten einen Staubsauger von uns, und erst auf Einforderung bringt Johanna heute das Zubehör mit. Ich nehme von ihr das kleine Sackerl und widme ihr keine weitere Minute, weil man so etwas nicht macht. Sie faselt etwas von „ist nicht meine Schuld“, ich höre nicht mehr hin, weil es mich nicht mehr interessiert, was diese Frau mir erzählt, immer sind die anderen schuld, und niemals sie selbst. Deshalb wende ich mich ab und gehe ans andere Ende. Auch das geliehene Geld für Markus fand bis heute nicht den Weg zu mir zurück, ist mir auch eine Lehre. Wie diese Menschen jetzt mit uns umgehen, nachdem wir aufgrund ihres Verhaltens die Betreuung aufgegeben haben, ist schon sonderbar und alles andere als „dankbar“.
Ali macht ein Interview mit Melanie, dann das mit Hansi, Ali ist begeistert von dem ganzen Material, was er schon hat. Er erzählt mir von der Authentizität unserer Schützlinge, und dass niemand Berührungsängste habe, erstaunt ihn. Nebenbei hat die Ausgabe begonnen, auch Sr. Lydia ist da um für Petra, die wegen einer schweren Erkrankung nicht kommen kann, Lebensmittel mitzunehmen. Tony kommt auch um für Jürgen Schuhe mitzunehmen, und Steffi kommt, um für Oliver eine Hose mitzunehmen, NEIN! Wer etwas braucht hat schon noch selbst zu kommen, mitnehmen gibt es nicht mehr. Steffi die junge Frau sieht, wie Melanie unseren Christoph zum Bus bringt. Christoph hat eine gebrochene Schulter und ist nicht fähig, gerade zu sitzen. Ich gebe ihm einen Hocker, damit er nicht wieder einschläft und dann wieder Radau macht. Er ist heute handzahm, fängt wieder zu weinen an, Christoph fehlt jeder Halt, er irrt orientierungslos umher, nimmt mit was er braucht und bleibt aber dann trotzdem bis zum Schluss unserer Ausgabe. Ali und sein Kollege vertschüssen sich zwischendurch und unser Verteil-Donnerstag geht langsam dem Ende entgegen. Das Linzer „Prinzeßchen“ Andy kommt noch und jammert wie immer, über all die Dinge, die ihm nicht passen, und Andys Liste ist lange.
Auch geben wir heute zum letzten Mal Nächtigungsjetons aus, wir stellen diese Ausgabe bis Oktober ein da wir die Jetons in dem Umfang, wie wir sie bräuchten, zurzeit nicht finanzieren könnten. Einige Schützlinge wissen heute schon nicht, wo sie künftig Jetons bekommen, um in der Notschlafstelle übernachten zu können. Wir können uns leider auch nur nach der Decke strecken, die wir zur Verfügung haben, und die ist heuer leider kurz, sehr kurz. Martin ist auch wieder da, er ist heute gut drauf, „bestellt“ bei Ingrid ein Sakko, wie immer ist er freundlich und energisch im Abgang, aber so ist eben Martin. Roman steht auch bei uns und beobachtet das Geschehen, Gaby kam auch vom Terminal rüber, über jede/n Einzelne/n freue ich mich sehr. Um 18 Uhr wird alles wieder eingepackt, eingeräumt und im Lager ausgeräumt und wieder eingelagert. Unser Max ist immer eine große Hilfe und Unterstützung, Max schafft es auch fast alleine, den Bus alleine auszuräumen, wenn es mir nicht gut geht, über so einen Menschen bin ich überglücklich, und davon haben wir viele im Verein. Wenngleich auch immer die gleichen 10…11 Mitglieder die gesamte Arbeit machen und andere sich nicht darum kümmern, ob wir sie nach 5-6-7-8 Monaten Abwesenheit nicht vermissen im Verein. Wir haben so eine tolle Truppe, die alles schafft, wenn wir auch nur 10. oder 11. Sind. Die Anstrengungen sind oft weit über Maß, die Tage länger und anstrengender als sonst, aber wir schaffen es.
Im Lager angekommen wird alles schnell ausgeladen, um dann noch gemütlich zu Tische zu sitzen, und um noch gemeinsam zu jausnen und über den Tag zu reden, ein Resümee anzustrengen. Es ist immer hochinteressant, wie andere Teammitglieder die Dinge sehen und verstehen, ich bin glücklich, dass wir auch großartig über diese Dinge reden und daraus lernen können. DANKE liebes Team, dass es EUCH gibt und ihr mir immer wieder das Gefühl gebt: „Es kann kommen was mag, wir stehen zusammen“. Ein tolles Gefühl, für das ich jeden Tag sehr dankbar bin, auch wenn Tage wie heute sehr anstrengend sind, wenn ich ca. 25km gehen muss und viele Anstrengungen zu meistern sind.
Ein großes DANKE und Vergelt’s Gott an all unsere Spender/innen, die uns auch diesen Verteil-Donnerstag ermöglichten. Danke auch für Eure Treue und Loyalität und für all Eure Spenden, die uns unsere Arbeit erst möglich machen. Danke für Eure Aufmerksamkeit, Euch ein erholsames Wochenende und alles liebe.
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