Warum?
Nach Montag, wo uns die Nachricht vom Tod Mario W. schockierte, erreichte uns heute binnen weniger Tage die nächste Hiobsbotschaft!
Nämlich der Tod von Matthias, ebenfalls einer unserer Schützlinge die regelmäßig zu unserem Bus kamen. Mario trafen wir bei fast jeder Linz-Tour, er war ein ruhiger, angenehmer Mensch, der sich nie in den Vordergrund drängte, er sprach immer mit leiser Stimme und bat uns immer nur um die Dinge, die er wirklich dringend brauchte, alles andere brauchen eh seine Kumpels bzw. die anderen Obdachlosen. Er betonte immer, er wolle niemandem etwas wegnehmen, und egal wie oft wir es ihm sagten, dass er absolut niemandem etwas wegnimmt, weil genug da ist, er blieb immer bescheiden und bedankte sich immer mehrmals bei uns. Mario wollte im Frühjahr 2021 eine Chance, deshalb ging er auf Alkoholentzug in die Kepler Klinik, als er rauskam war er so voller Hoffnung, so voller positiver Dinge, dass er nun ein neues Leben beginnen wollte. Es dauerte nicht lange war Mario wieder im Sumpf des Alkohols gefangen, ich erinnere mich noch gut an ein langes Gespräch mit ihm am Terminal, wo vieles aus ihm rausprasselte, erst da wurde mir klar wie verletzt Mario war, wie eng seine Leitschienen des Lebens gesetzt waren, wie leicht er sich auch selbst wieder aufgibt, wenn etwas nicht „normal“ läuft. Mario wollte eine Chance, eine simple Chance im Leben, die jedem Menschen zugestanden, wird. Viele Menschen, mit denen er es zu tun hatte, verurteilten ihn und ließen ihn fallen wie eine heiße Kartoffel, darunter leidete Mario besonders. Ich sehe heute noch seine tränenerfüllten Augen und wie er mich fragt: „Was habe ich verbrochen, weil ich so leben muss?“. Ich versprach Mario damals, dass, wenn er das möchte, ich ihn begleite auf die Ambulanz in der Klinik, damit er neuerlich einen Therapieplatz bekommt. Ich versprach ihm, mitzukommen. Leider blieb ihm diesmal der Therapieplatz verwehrt und ich sah in großen Schritten, wie wir zurück zum Auto gingen, wie er sich Schritt für Schritt mehr aufgibt, mit jedem Schritt näher zum Abgrund geht. Ich konnte damals nicht mehr durchdringen zu ihm, er war grenzenlos enttäuscht, all meine tröstenden Worte hörte Mario damals nicht mehr. Er stieg am Musiktheater aus meinem Auto aus und ich hatte damals ein richtig schlechtes Gefühl und ein noch schlechteres Gewissen, Mario jetzt alleine zu lassen, aber er wollte in diesen Momenten alleine sein. Ich traf Mario noch oft am Terminal, am Bahnhof, an den Hotspots, und jedes Mal hörte ich ihn fragen, obwohl er nichts sagte. Immer wieder bewegten sich seine Lippen, ohne etwas zu sagen, und immer wieder hob er seine Schultern und zeigte mir seine Handflächen mit Tränen in den Augen und vielen Fragen im Herzen. Mario war ein feiner Mensch, war ein richtiger Kumpel, auf den man wirklich bauen konnte, dem man vertrauen und glauben konnte. Ich werde meinen Freund vermissen!Heute Donnerstag, 3 Tage nach Marios Tod kommt die nächste Schreckensnachricht, Matthias hat ebenfalls seine letzte Reise angetreten. So jung, so erschüttert und so ganz ohne Hoffnung. Matthias sagte oft zu mir: „Es reicht mir, ich mag nimma“. Das Leben meint es nicht gut mit mir. Matthias war ebenfalls in seiner Welt gefangen, besuchte man ihn in seiner Welt, konnte man auch gut mit ihm reden. Er vertraute nicht vielen Menschen, er wollte es alleine schaffen und es allen zeigen, dass er leben möchte. Doch „seine Welt“ holte ihn ziemlich schnell ein, dann brach er das Gespräch meistens ab und stand auf und ging weg. Matthias war ebenfalls viel zu jung, um diese Welt schon zu verlassen. Aber wenn Menschen keinen Mut, keinen Willen und keine Hoffnung mehr haben, dass sich ihr Leben wesentlich verändern/verbessern könnte, ist der nächste Schritt, dass sich die meisten Menschen aufgeben, sich zurückziehen und still und leise vor Allem und Jedem resignieren. Matthias war eigentlich viel zu jung, um auf der Straße zu landen, nur, wir haben noch jüngere Menschen in Linz auf der Straße, die ebenfalls keine große Perspektive mehr haben, weil niemand ihnen überhaupt eine Perspektive aufzeigt, sondern lieber über sie schimpft. Wie kann man Menschen so eiskalt fallen lassen, wie das hier bei uns passiert? Wie kann es überhaupt passieren, dass junge Menschen so weit zum Abgrund hin gehen müssen, dass überhaupt jemand den Hilfeschrei hört?
Wir sehen es regelmäßig bei unserer nächtlichen Linz-Tour, was sich wirklich abspielt in Linz, und das wurde im letzten Jahr, wo sich einige Politiker mit der Parole „Flagge zeigen“ auf die Fahnen hefteten, unsere Schützlinge wie Tiere durch Linz zu jagen, viele Platzverbote auszusprechen, jeder dahergelaufene Ordnungsdienstler sagte den Obdachlosen, wo sie nicht sein dürfen, aber niemand sagte ihnen, wo sie sein dürfen und wo sie ihr Leben fristen können. Das ist einfach nur MENSCHENVERACHTEND diese Hetzjagd! Zum SCHÄMEN!
Warum können Wien, Graz und andere öst. Städte ein vorbildliches Programm für Obdachlose auflegen, wo jeder Obdachlose die Möglichkeit hat OHNE ZWANG das Angebot anzunehmen oder auszuschlagen, und hier bei uns sind Möglichkeiten, die z.B. in Wien zum Standard gehören, noch nicht einmal erprobt geschweige denn von der Politik gewollt. Wenn Linzer Politiker behaupten, in Linz gäbe es 20-30 Obdachlose, und die lassen sich nicht helfen, so ist zum einen die genannte Zahl eine unverschämte Lüge und dass sich die Menschen auf der Straße nicht helfen lassen wollen, die nächste Floskel, die man dann erzählt, wenn man keinen Dunst von der wirklichen Situation hat. Mir sagte in den letzten 8 Jahren KEIN einziger Mensch auf der Straße: „Ich bin gerne hier und möchte auch auf der Straße bleiben“. Niemand von den Betroffenen sagte je so einen Unsinn, der kommt immer nur aus den Parteizentralen, wenn die „Herren“ dort nicht mehr weiter wissen. Viele Dinge, die in Linz so unter dem Deckmantel der Öffentlichkeit/Sicherheit passieren, sind menschenverachtend, abgrundtief bösartig und für die Menschen, sehr erniedrigend! Wie kann es sein, dass charakterliche Flegel, die so manches Magistratsbüro besetzen, hier walten und schalten können, bis sich Menschen ganz aufgeben? Willkür ist hier ein starkes Wort, aber absolut angebracht und treffend. Es gibt aber auch genau das Gegenteil, trotz Arbeitsanweisungen respektieren manche aus den gleichen Reihen unsere Schützlinge und rufen uns sogar zu Hilfe, um für die Menschen das Beste herauszuholen. Manchmal sind ohnehin die Gesetze der Stolperstein, aber dort wo es echte Chancen gäbe, sollte man diese auch nutzen, und wenn es auch nur wegen der so wichtigen Perspektive für die Menschen wäre. Hin dreschen kann jeder, da braucht man weder Empathie noch Respekt und noch weniger Charakter dafür. Menschen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft leben müssen, nochmal Prügel vor die Beine werfen, ja, das wird scheinbar immer moderner. Wann, ja, wann endlich werden Zeichen gesetzt, dass ein anderer Ton und ein respektvoller Umgang diesen Menschen gegenüber an den Tag gelegt werden MUSS! WANN?
Die Situation, wie sie gerade passiert, ist unerträglich geworden. Unfair und unpassend, willkürlich und verlogen. Harte Worte, aber absolut treffend, wenn man verschiedene Vorkommnisse selbst sieht, diese bewertet und die so bezeichnend sind, dass Obdachlose ungebetene „Gäste“ in Linz sind, die niemand haben möchte. Es sind UNSERE Mitmenschen, die da draußen auf der Straße schlafen müssen, weil irgendeine Ampelkreuzung im Leben der Menschen statt grün, rot zeigt. Und das liebe Wegbegleiter, das kann jedem/jeder hier passieren. 2-3 Dinge, die eine Situation eskalieren lassen und schon kann es sein, dass man sich auf der Straße wieder findet. Gibt genug solche Beispiele. Armut und Obdachlosigkeit kann JEDEN treffen, darum, lasst uns bitte ALLE zusammenhelfen, um das Leid dieser Menschen, unserer Schützlinge so abzumildern, dass man von einer echten, wertschätzenden Hilfe auch wirklich reden kann.
Unser Verteil-Donnerstag heute begann wie immer mit den Vorbereitungen für Nachmittag, Barbara und Beate halfen im Vorfeld alles aufzuarbeiten, vorzubereiten. Um 15.20 Uhr waren wir so weit, dass wir alles beisammen hatten und aufbrechen konnten, Richtung Linz. Tief hängende Regenwolken ließen wettertechnisch nichts Gutes erwarten, mal schauen und abwarten. Der drohende Regen ließ uns einen Autobus-Chauffeur fragen, ob er ein Stück vorfahren würde, damit wir noch Platz unterm Dach hätten, ja, macht er, er fuhr gleich ganz weg auf seine Tour und wir hatten Platz. Danke lieber Herr da droben! Auspacken, aufstellen, alles auf die Tische ordnen und los geht’s. 16 Uhr, fertig, los! Unser Team begann die Ausgabe und ich ging zum Würstelstand, um einer neuen „Unart“ zu frönen, Bosna holen. In den letzten Wochen wurde es „Mode“, eine der besonderen Bosnas gegenüber zu holen, und heute lud uns unsere Prinzessin ein. Vielen Dank! Zurück mit Hot Dogs und Bosna, kamen auch schon die ersten Fragen aus dem Team auf mich zu. Hr. Sch. „bestellte“ letzte Woche eine warme Hose, unsere Barbara kürzte sie und brachte sie heute wieder mit. Hr. Sch. Kam jetzt auf den Geschmack und orderte noch eine 2. warme Thermohose, zum Wechseln, auch die bekommt er. Unter seiner dicken Jacke schaut ein 1cm dicker Schlauch heraus, der in eine Tasche auf seinem Rollator mündet. Hr. Sch. bedankt sich nach der Runde mit mir, auf der wir alle Lebensmittel einsammelten und ließ uns wissen, dass er bestimmt nächste Woche wieder kommt. Mit einem Augenzwinkern deuten wir an, dass wir uns darauf freuen, ihn wiederzusehen.
Der nächste „Gast“ ist einer, der jede Woche kommt, bis heute keinen Einkommensnachweis brachte und jede Woche Kleidung haben möchte. Seit 3 Wochen bekommt er keine Kleidung mehr, sondern lediglich Lebensmittel, da er wirklich auf der Straße lebt. Trotzdem hat er wie alle anderen auch, die Unterlagen zu bringen, bevor er weitere Hilfe bekommt. Heute taucht er mit nagelneuen Nike Turnschuhen auf und fragt gleich zu Beginn, ob er eine neue Jacke und wieder neue Schuhe haben könnte. NEIN! Kann er nicht, und schon gar nicht solange er keinerlei Unterlagen brachte. Wir kennen unsere Pappenheimer, manche sind Schlitzohren, manche sind ehrlich, ich würde sagen, ein guter Mix wie auch sonst überall. ABER, wir haben versprochen, die Spenden dort einzusetzen, wo diese dringend notwendig sind, und wir halten unser Versprechen. Ch., ebenfalls ein noch ziemlich junger Obdachloser, kommt von Weitem immer näher, und ich sag ihm noch bevor er zum Bus kommt, dass er seine Weinflasche weg tun müsse, weil das gar nicht geht, Alkohol bei unserem Bus, Ch. packt sie in seinen Rucksack und setzt sich neben die große Mülltonne und schläft ein. Bestimmt 10 Versuche ihn zu wecken, scheiterten. Erst der letzte Versuch um 18 Uhr, Wasser auf sein Haupt zu leeren und ihn aber auch gleich wieder trocken zu reiben, half ihn munter zu bekommen. Zuerst schimpfte und polterte er, aber als er bei sich war, war wieder alles OK und wir packten noch einige Lebensmittel für ihn aus und versicherten uns, dass Ch. nicht auf diesem Platz bleibt, sondern dort weggeht damit wir keine Probleme mit der ÖBB bekommen. Tja, so wurde es 18 Uhr und wir fuhren wieder ins Lager, wie gewohnt ausladen, einlagern, Kühl- Gefrierkombi putzen und dann ab, durch die Mitte. Petra und Barbara bleiben noch im Lager und kümmern sich noch um die Beschriftungen an den Lagerboxen. BRAV - DANKE!
Der gestrige und der heutige Tag zeigten mir deutlich auf, dass ich jetzt wirklich für mich die Notbremse ziehen muss und mir ein paar Tage Auszeit nehmen muss, demnächst. Sonst sehe ich mich nicht mehr in der Lage, überhaupt noch helfen zu können. Nur, wo beginne ich kürzer zu treten? Wem sage ich zuerst, dass ich eine Auszeit brauche und ihm nicht mehr helfen kann deswegen? WEM? Ich kann das nicht, ich kann das niemandem sagen, weil es IMMER die Ärmsten trifft, egal an welchem Ende ich kürzer trete. Mein Gewissen würde mich auffressen, das geht so nicht, nicht in dieser Form und nicht mit diesen Menschen. Ich werde einen Weg finden, wie wir beides schaffen, zu helfen und eine kurze Auszeit für mich. Danke für Eure Aufmerksamkeit und Eure Zeit, danke dass Ihr uns immer begleitet und moralisch unterstützt, das ist wichtig, auch um zu wissen, dass wir in Eurem Sinne helfen, in Eurem Sinne unterwegs sind und Ihr Euch wieder findet, in unserer Aktion, in unserem Verein. Danke an alle Spender/innen, dass wir auch heute wieder helfen durften, dort wo es dringend notwendig ist. Vergelt’s Gott und Danke auch unserem gesamten Team. Gott schütze Euch!