Zeit!
Zeit!
Verteil-Donnerstag vom 18.4.2024:
Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
Quelle:
Altes Testament. Quelle: Altes Testament. Der Prediger Salomo (Kohelet) (#Pred 3,1-8) Der Prediger Salomo (Kohelet) (#Pred 3,1-8)
Die Zeit, ein unsichtbares Netz, das uns alle umgibt, in ihren Facetten und Nuancen, die jeden neuen Tag unser Leben bestimmt. Sie fließt wie ein Fluss, mal sanft, mal wild, und in ihren Wellen tragen wir unser Schicksal, unser Bild.
Die Zeit, eine treue Begleiterin, die uns nie verlässt, im Takt der Sekunden, Minuten, Stunden, sie uns stets erfrischt. Sie schenkt uns Momente der Freude, des Lachens, doch auch Augenblicke der Trauer, des Nachdenkens.
Die Zeit, ein kostbares Gut, das wir nicht zurückdrehen können, wir können sie nicht festhalten, nicht anhalten, nicht versöhnen. Doch in ihr liegt die Magie des Werdens und Vergehens, Sie formt uns, prägt uns, lässt uns wachsen und vergehen.
Die Zeit, ein Rätsel, das Philosophen und Dichter beschäftigt, ihre Bedeutung, ihre Tiefe, ihre Endlichkeit uns bewegt. Doch egal, wie wir sie deuten, wie wir sie begreifen, sie bleibt ein Mysterium, das uns alle umgibt und treibt, uns oft vor sich hertreibt.
Die Zeit, ein Geschenk, das wir achten und nutzen sollten, um Liebe zu schenken, um Träume zu leben, um zu wachsen. In ihren Facetten finden wir unser Leben, unsere Spuren, und in jedem Moment liegt die Chance, etwas Großes zu vollbringen.
Wie oft wünscht man sich, in einer Situation, für eine Entscheidung, für einen Moment des Glücks, dass man manchmal diesen Zeitpunkt anhalten könnte. Zu schnell vergehen oft wunderschöne Minuten, Stunden, Tage, was bleibt ist eine wunderbare Erinnerung des Glücks mit einem wohlig warmen Gefühl im Herzen. Oft möchte man so einen Moment festhalten, doch die Zeit dreht erbarmungslos weiter seine Runden, ohne Rücksicht.
Das Wertvollste, das man schenken kann, ist Zeit, gemeinsame Zeit mit Nähe und Gefühl. In dieser gemeinsamen Zeit können so viele kleine Dinge passieren, kann man Freunde wieder neu entdecken, die verblasste Liebe neu finden oder einfach nur die Vergangenheit nochmal Revue passieren lassen. Die gemeinsame Zeit macht das alles möglich.
Manchmal sagt man auch: „Die Zeit heilt alle Wunden“. Ob sie alle Wunden heilt, weiß ich nicht, aber man gewinnt mit der Zeit Abstand zu jenem Erlebnis, das meist einen tiefen Schmerz verursachte. Die Zeit, die vergeht, macht alles erträglicher, aber heilen kann die Zeit wahrscheinlich nichts.
Gemeinsame Zeit bringt Nähe und Wärme, sie kann eine echte Chance sein für einen Neuanfang, für eine Entschuldigung, für verlorene Zeit zweier Menschen. Nicht immer muss man diese Momente mit Wörtern befüllen, oft reicht ein Blick in die Augen oder die Suche nach der anderen Hand, um diesem Moment die Bedeutung zu schenken, die er verdient. Wenn man einem Menschen ganz nahe sein darf, was keine Selbstverständlichkeit ist, erspürt man den ganzen „Wert“ der gemeinsamen Zeit. Nützen Menschen die gemeinsame Zeit für Aktivitäten oder gemeinsame Interessen, kann eine Freundschaft wunderbare neue Impulse bekommen. Manchmal reicht es schon aus, einfach da zu sein, ohne große Pläne. Gemeinsam schweigen oder einen Film anschauen kann genauso wertvoll sein.
Zeit, wenn man sie schätzt und sinnvoll mit Leben füllt, ist das Kostbarste, um das zu erkennen und wertzuschätzen gehen oft viele Jahre ins Leben. Hat man aber zu viel Zeit, mit der man nichts anzufangen weiß, kann die Zeit ganz schön weh tun, wenn sie nicht vergeht oder man sie nicht mit Nutzen ausfüllen kann. Wenn ein Leben an dir vorüberzieht, ohne Sinn, ohne Chance, ohne Hoffnung, wie es viele Obdachlose leben und erleben müssen. Alleine haben sie meistens nicht mehr die Kraft, wieder aufzustehen, schenkt man ihnen aber Zeit, Aufmerksamkeit und Hoffnung, kann das oft wahre Wunder bewirken.
Um wertvolle Zeit, dreht es sich auch in unserem Verein, jeden Tag. Alle Mitglieder, alle Helfer:innen, bringen Zeit, Engagement, Geduld und Kraft mit, um das Ehrenamt in unserem Verein mit Leben auszustatten. Es ist so immens wichtig, zu helfen, sich zu engagieren, egal wo und egal wie, Hauptsache man bringt Zeit für jene Menschen mit, die diese zu schätzen wissen. Unseren Verein gibt es seit November 2016, seither haben viele, viele Mitglieder viele, viele unzählige Stunden und Tage in unsere Arbeit investiert, wichtige Zeit, nur so konnten wir in all den Jahren auch wirklich helfen. Oft wünsche ich mir, dass nicht alles, was wir aufgebaut haben, eines Tages einfach „aufgelöst“ wird, aber ich befürchte das bleibt ein Wunsch. Niemand wird diesen Verein so betreiben, wie ich es mache, niemand wird so viel Verantwortung mit eventuellen, schwerwiegenden Konsequenzen übernehmen wollen. Ganz zu schweigen vom ganzen Zeitaufwand, den ich Tag für Tag und Woche für Woche einbringe. In den Wintermonaten sind es wohl so um die 60-70 Wochenstunden, wo dann aber auch noch die gesamte Arbeit am Computer dazukommt, die gemacht werden muss. Zeit ist auch hier ein wesentlicher Faktor, der nicht unterschätzt werden darf.
Der Zahn der Zeit in den vergangenen Jahren nagte natürlich auch an mir, all diese Aufgaben gingen nicht spurlos an mir vorüber. Wieviel Zeit ich künftig noch einbringen kann, wird auch der Herr da droben mitentscheiden, aber auch ein wenig ich selbst. Jedes Jahr werden die Wintermonate immer noch ein wenig anstrengender und arbeitsintensiver, wo in den letzten Jahren mein Privatleben blieb, brauche ich hier nicht extra anmerken, denke ich.
Im Sommer 2024 werden wir öfters und länger Pause machen müssen, damit ich wenigstens einen kleinen Erholungseffekt habe. Viele Menschen sagen mir jede Woche: „Pass auf dich auf und stecke zurück, sonst gibt es dich bald nicht mehr, und dann hat niemand mehr etwas von alldem“. Dieser Satz mag schon richtig sein, aber wo soll ich anfangen, damit? Würde jemand hungern oder frieren müssen, weil ich Pause brauche, wäre das für mich der persönliche Supergau den ich nicht aushalten könnte. Ich werde im Sommer 2024 mehr Pausen machen, versprochen, liebe Freunde. Und für die Wintersaison 2024/2025 werde ich noch überlegen, wie ich diese ohne große Blessuren schaffen kann. Alles ist möglich, wirklich alles, aber das gebe ich hier noch rechtzeitig bekannt. Der Faktor Zeit bekommt mit zunehmendem Alter auch für mich eine größere Bedeutung, weil ich ab und zu auch noch etwas Zeit haben möchte, um zu leben!
Diese Woche veranstalten wir den 250. Verteil-Donnerstag (!!!) seit 2018. 250-Mal, egal bei welchem Wetter, ob bei Sturm, bei Schnee, bei Frost, bei Hitze oder Starkregen, 250-Mal für unsere Schützlinge da zu sein, um zu helfen, das ist unsere heutige Bilanz. Wir werden diese Zahl nicht feiern, aber immer wieder hinterfragen. Mit vielen „Wenn und Aber“ gehen wir diesen Weg, wobei die Dankbarkeit unserer Schützlinge überwiegt und wir fast jede Woche wieder erfüllt einpacken und am Samstag im Lager gemeinsam die Lebensmittelboxen wieder befüllen.
Der Verteil-Donnerstag beginnt auch heute so wie alle anderen auch, am Vormittag mit allen Vorbereitungen und am Nachmittag mit dem Verteilen. Unsere braven Helferlein sorgen für einen reibungslosen Ablauf im Lager, damit alles portioniert und wieder eingepackt wird. Engagiert wird hier alles für den Nachmittag hergerichtet, alle Lebensmittel auf Genießbarkeit sichten und einpacken.
Der Donnerstag wird für mich langsam emotional zur Belastung, weil wir jede Woche wieder neue Besucher beim Bus haben, und wir langsam nicht mehr wissen, woher wir die Lebensmittel nehmen sollen, um alle Münder zu füllen. Die Spenden hatten in den letzten Monaten so einen starken Einbruch, dass wir mit den Spenden der letzten 6 Wochen nicht einmal einen Verteil-Donnerstag neu bestücken könnten. Das ist Fakt und das ist traurige Wirklichkeit. Aber auch das erwähne ich hier nicht zum ersten Mal.
Um 15 Uhr ist der Bus beladen, und wir brechen auf nach Linz, wo schon 15 unserer Schützlinge auf uns warten. Es geht ein starker Wind bei kalten 6°, aber wir sind mehr als glücklich unter dem Vordach des ehemaligen ABC-Buffet stehen zu dürfen. Wir sind geübt und packen alles in kürzester Zeit aus dem Bus und bauen alles auf, um 16 Uhr können wir loslegen. Ich besorge für uns noch ein paar Bosna’s vom Würstelstand gegenüber, und dann geht’s los.
Gleich zu Beginn muss ich einen Schützling aufklären, dass er mir mit seiner Unterschrift auf unserem Formular erlaubt hat, Fotos zu machen und diese auch zu veröffentlichen. Er möchte nicht erkannt werden und deshalb will er auch nicht mehr fotografiert werden, ich sage ihm zu ihn nicht mehr zu fotografieren. Auf meinen Einwand, dass er dafür unterschrieben hat und unsere Spender:innen wissen möchten, wer die Spenden bekommt, ist er einsichtig und entschuldigt sich dafür, dass er versuchte mich zurechtzuweisen. Ich werde künftig Rücksicht nehmen, versprochen. Auch ob wir nur noch Fotos von hinten machen, steht in der Überlegung. Wir wollen niemanden vorführen, denunzieren oder diffamieren, das liegt uns fern, deshalb werden wir nur noch jene Fotos veröffentlichen, die ausdrücklich ein 2.-Mal zustimmen.
In der Warteschlange wird geraucht, was für mich gar nicht geht, Raucher müssen heraus aus der Warteschlange. Heute müssen wir leider ohne Plastiktaschen auskommen, wir haben sie im Lager vergessen und unsere Schützlinge nehmen nie Taschen oder ihre Rucksäcke mit, somit haben wir heute ein kleines Problem mehr, das wir aber lösen werden.
Im Bus sind heute Gabi und Doris, die sich die Aufgaben im Bus teilen, dort zwar im Trockenen stehen aber trotzdem frieren. Wir alle sind binnen kürzester Zeit durchgefroren, der Wind macht es zusätzlich noch kälter. Unsere Schützlinge sind auch warm angezogen, als wäre der Winter zurück. All unsere Besucher wissen es zwar genau, dass niemand in die Lebensmittelboxen greifen und sich selbst bedienen darf, aber manchmal sind die Reflexe schneller als der Kopf, den wir aber sofort daran erinnern. Disziplin in der Warteschlange und dann später in der Reihe ist für uns das oberste Gebot, und hier gilt, gleiches Recht für alle. Alle bekommen die gleiche Ration bzw. Stückanzahl, niemand kommt zu kurz, auch für den allerletzten ist noch genug da, versprochen.
72 Besucher zählen wir heute, die sich bei uns Lebensmittel holen, um über die Runden zu kommen. 72 Schicksale, die sich dieses Leben nicht aussuchen konnten und bestimmt auch nicht in dieser Form wollten. Armut und Obdachlosigkeit hat viele verschiedene Facetten und Nuancen, für manchen der auf die Butterseite des Lebens gefallen ist, oft schwer verständlich, weil auch oft die Einsicht fehlt.
Der Verteil-Donnerstag läuft gut, Max hat wieder alle Hände voll zu tun, um Ruhe in der Warteschlange einzufordern, manche „Streithansln“ probieren es jede Woche aufs Neue, sich vorzudrängen oder andere anzupöbeln, das lassen wir aber nicht durchgehen. Auch heute geben wir unseren Schützlingen wieder Jetons für die Notschlafstelle, gesamt heute 30 Stück à € 4,80. Für unsere Bedürftigen eine große Hilfe, da viele sich nicht einmal 1 Nacht leisten könnten.
Auch Franziska und ihre Emma besuchen uns heute wieder einmal. Emma war wieder einmal krank und Franziska schaffte es nicht, mit ihr zum Tierarzt zu gehen. Sie erzählt mir, dass sie auch keinen Kontakt mehr zu Gerald hat. Warum, hat sie mir nicht erzählt. Franziska holt sich Lebensmittel und setzt sich anschließend ans Ende der Reihe, wo sie eine Dose Tomatenfisch öffnet, und mit den Fingern isst, danach noch einen Wurstsalat, ebenfalls mit ihren Fingern, die den Anschein machen, vor gut 1 Jahr das letzte Wasser gesehen zu haben. Aber ich bin hier weder Richter noch sonst was, Franziska soll so essen, wie sie es möchte, nur, es sieht schon unappetitlich aus, wenn sie hastig in der Dose mit den Fingern wühlt.
Die Warteschlange ist fast abgearbeitet und es warten nur noch wenige darauf, mit dem PC erfasst zu werden. Zu guter Letzt kommt nochmal jener junge Mann, den wir um eine Bestätigung zum AMS am Bahnhof schickten, und jetzt um 17.45 Uhr zurückkommt, ohne Bestätigung. Nächte Woche Pflicht, die Einkommensbestätigung vorzulegen, sonst gibt es keine Lebensmittel mehr. Sein Freund, der ihm hilft, erinnert ihn an ein „Danke“, das er dann auch ausdrückt. Sein Freund scheint sich zu schämen für ihn, weil er etwas von „undankbar“ murmelt und uns noch ausdrücklich dankt, für das was wir hier machen.
18 Uhr, alles einpacken und einladen, alle haben steife Finger und es ist uns allen kalt, wir sind froh, wenn wir im Lager sind. Im Nu ist alles im Bus und wir fahren nach Ansfelden ins Lager, um alles wieder einzulagern. 72 Besucher heute sind der Grund warum trotzdem viele, viele Boxen leer wurden. Im Lager im Eilzugstempo ausladen und dann noch kurz gemeinsam reflektieren, wie jede/r den heutigen Verteil-Donnerstag sieht, was für uns als Team sehr wichtig ist.
Das Posting heute war gezeichnet von vielen Umformulierungen und Löschungen, von Buchstabenreiterei und suchen nach verständlichen Ausdrücken, ich hoffe ich habe eure Zustimmung über mein heutiges Thema „Zeit“. Seit gut 7 Stunden sitze ich hier und schreibe an diesem Posting, für mich eine echte Anstrengung, um das alles zu formulieren, was ich spüre, fühle und ausdrücken möchte.
Danke für Eure Aufmerksamkeit und Eure Loyalität, dass Ihr uns immer wieder moralisch stützt und wieder aufrichtet. In meinem Kopfhörer singt Valerie ihren „Regen“, ein tolles Lied und so treffend.
Ich wünsche Euch noch ein erholsames Wochenende und alles liebe, Gott segne Euch! 😊 <3