DAS nennt man Schicksal! Noch Fragen?

DAS nennt man ein Schicksal! Noch Fragen?
Verteil-Donnerstag vom 27.3.2025
Ich habe mit einem obdachlosen Menschen aus Linz ein langes Interview geführt, das mich an den Rand des Erträglichen geführt hat. Seit 14 Jahren mache ich Obdachlosenhilfe, habe vieles erlebt, gesehen und gehört, vieles ertragen und vieles weggesteckt. Lest Euch mein Interview mit Thomas* (Name geändert) durch und bildet Euch eine eigene Meinung über diesen Menschen, der Hilfe sucht.
Walter: Thomas, danke, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir zu reden. Und, danke dass ich unser Interview auch veröffentlichen darf. Magst du uns zuerst ein bisschen von dir erzählen?
Thomas*: Ja, klar. Ich bin 48 Jahre alt, gebürtiger Linzer. Ich war einmal verheiratet, habe sogar eine Tochter, die jetzt 22 ist. Früher war ich Maler und Lackierer, hatte mein eigenes kleines Geschäft. Heute, na ja, heute bin ich obdachlos und lebe auf der Straße und habe alles verloren, alles.
Walter: Wie ist es dazu gekommen? Was ist passiert?
Thomas*: (bekommt feuchte Augen und versucht das Geschehene in Gestiken zu packen) Das ist nicht einfach in einem Satz zu erklären, es war ein schleichender Prozess. Das alles war kein großer Knall, eher ein langsames und leises Auseinanderfallen. Erst ist meine Frau gegangen, wir hatten immer mehr Probleme, viel Streit, auch neben meiner Tochter, dann kam bei mir der Alkohol dazu. Als meine Frau mich damals verlassen hat, wir waren zehn Jahre zusammen, wurde das Leben für mich unerträglich. Sie konnte mich und meinen Alkohol nicht mehr ertragen. Und ehrlich, ich kann’s ihr nicht verdenken, ich war kein guter Mensch in dieser Zeit. Aber ich habe sie geliebt und ich habe alles verloren, als sie ging. Ich habe mehr und mehr zu trinken begonnen, und das fast jeden Tag. Irgendwann sind mir dann auch die Schulden über den Kopf gewachsen. Ich konnte die Miete nicht mehr zahlen, der Strom wurde abgedreht, die Heizung blieb kalt. Freunde haben sich abgewandt. Ich habe keine Briefe mehr geöffnet und den Kopf in den Sand gesteckt. Plötzlich war ich draußen, aus meiner Wohnung. Und das ist jetzt über acht Jahre her.
Walter: Was bedeutet heute „Zuhause“ für dich?
Thomas*: Wärme. Ruhe. Ein Ort, wo du die Tür schließen kannst - nicht nur vor Menschen, sondern vor der gesamten Kälte des Lebens. Zuhause ist ein Gefühl. Ich hatte es mal aber ich habe es verloren. Und ich vermisse es mehr als alles andere in meinem Leben.
Walter: Acht Jahre, das ist eine lange Zeit. Wie war deine erste Nacht auf der Straße?
Thomas*: Ich habe sie nie vergessen. Ich war völlig überfordert. Es war Dezember 2017, eiskalt. Ich hatte nur eine dünne Jacke, einen Rucksack mit ein paar Klamotten, meine Dokumente und sonst nichts. Ich habe unter einer Brücke geschlafen, dort war eine Treppe, unter der habe ich mich versteckt und dort habe ich geschlafen, mehr oder weniger. Richtiges Schlafen war dort nicht möglich. Ich hatte große Angst, vor all den Passanten die vorbei gingen, aber besonders vor all den Jugendlichen, die mich teilweise sehr aggressiv beschimpften, anspuckten und kleine Steine auf mich geworfen haben. Und ich hatte Angst vor mir selbst, Angst vor meiner eigenen Courage, ich könnte im Zuge einer Beleidigung etwas tun, was ich bereuen könnte. Ich habe damals geheult, wie ein kleines Kind.
Walter: Was ist für dich das Schwierigste am Leben auf der Straße?
Thomas*: (leise antwortet er) Die Einsamkeit. Du bist unsichtbar. Die Menschen schauen durch dich hindurch, als wärst du Luft. Oder schlimmer, als wärst du Dreck. Und dann der tägliche Kampf: Wo schlafe ich? Wo finde oder bekomme ich etwas zu essen? Wie komme ich durch die Nacht, ohne überfallen zu werden?
Walter: Wurdest du schon Opfer von Gewalt?
Thomas*: (Tränen kommen langsam über die Wangen) Ja. Mehrmals. Einmal hat mich jemand mit einer Eisenstange zusammengeschlagen, einfach so. Ich lag im Krankenhaus, zwei Wochen. Ein anderes Mal hat mir jemand im Schlaf mein letztes Geld geklaut, nachdem ich es mir durch Flaschensammeln zusammengespart hatte. 18 Euro waren das. Für mich war das sehr viel Geld.
Walter: Wie geht es dir heute?
Thomas*: (lächelt) Heute ist ein guter Tag. Ich habe heute was Warmes gegessen, mein Hund Max ist ruhig, und ich habe etwas geschlafen letzte Nacht, ein paar Stunden. Das ist nicht selbstverständlich. Die Angst in der Nacht zermürbt mich, ich habe panische Angst, jemand könnte mich noch einmal anzünden und ich merke es nicht gleich.
Walter: Wann hast du das letzte Mal in einem Bett geschlafen?
Thomas*: (schaut kurz in die Luft und versucht sich zu erinnern) Vor zwei Jahren, in der Notschlafstelle. Aber die war damals hoffnungslos überfüllt, laut, und irgendwie gefährlich, zumindest hatte ich dort große Angst. Da schläfst du mit einem offenen Auge und der ganze Körper ist ständig angespannt. Ich habe mich dort nicht sicher gefühlt. Seitdem schlafe ich meistens draußen, in irgendeiner Nische oder in einer Tiefgarage. Lieber in der Kälte als in Angst und unter so viel psychisch angeschlagenen Menschen.
Walter: Was ist das Schlimmste, das du auf der Straße erlebt hast?
Thomas*: (greift sich auf den Kopf) Ein Junge, um die 16 Jahre alt, hat mich im Schlaf angezündet. Im Terminal, mit Feuerzeugbenzin. Einfach so. Ich hatte großes Glück, ein Kumpel hat es rechtzeitig gesehen und laut geschrien, so dass wir alle munter geworden sind und alle haben mir geholfen, aus meinem Schlafsack zu kommen und ihn zu löschen. Ich hatte Brandwunden am Bein. Es gibt Menschen, die behandeln dich als Obdachlosen schlimmer als ein Stück Vieh.
Walter: Warum glaubst du, dass Menschen so grausam werden?
Thomas*: Weil sie nicht hinsehen wollen, weil sie lieber wegschauen, manche Menschen wechseln sogar die Straßenseite, wenn sie einen Obdachlosen sehen. Und weil sie wahrscheinlich denken, wir sind selbst schuld, dass wir gerne auf der Straße sind und wir sind sowieso eklig und dreckig. Oder vielleicht weil wir sie an etwas erinnern, dass sie nicht ertragen können. Vielleicht an ihre eigene Angst, dass sie auch über das System fallen und auch obdachlos werden könnten.
Walter: Gibt es etwas, das du dir selbst verzeihen musst?
Thomas*: (greift sich an die Schläfe) Dass ich damals nicht um Hilfe gebeten habe. Dass ich so getan hab, als käme ich klar und ich würde das alles alleine schaffen, stur und arrogant. Ich war zu stolz, zu stur und dann war es plötzlich zu spät. Ich habe meine Frau und meine Tochter, meine Familie verloren, mein Zuhause, mich selbst, von meiner Würde rede ich erst gar nicht.
Walter: Wie heißt deine Tochter?
Thomas*: (Tränen laufen wieder über seine Wangen) Lisa. Sie ist mein Herz. Ich weiß nicht, ob sie weiß, wo ich bin, keine Ahnung ob sie weiß, dass ich noch lebe. Ich habe sie das letzte Mal gesehen, da war sie 15. Jetzt ist sie 22. Ich habe ein Foto von ihr. (Thomas* zieht ein altes, vergilbtes Bild aus seiner Jackentasche, zeigt es mir mit zitternden Händen).
Walter: Wenn sie das hier lesen würde – was würdest du ihr sagen?
Thomas*: (die Stimme bricht), Dass ich sie von ganzem Herzen liebe, innig und ehrlich. Dass ich jeden Tag an sie denke. Dass ich ihr verzeihe - auch wenn sie sich nie gemeldet hat. Und dass ich nicht will, dass sie sich schämt für mich. Ich bin tief gefallen, ja. Aber ich bin immer noch ihr Vater.
Walter: Was ist „Max“ für dich?
Thomas*: (lächelt zum ersten Mal) Alles. Er ist mein bester und treuester Freund. Mein Schutz. Mein Grund, morgens aufzustehen. Ich habe oft gedacht, ich halt das nicht mehr aus - aber Max hat mich durch die schlimmsten Nächte gebracht. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier. Ich liebe ihn über alles. Aber die andere Seite der Medaille ist auch, dass ich Max fast nirgends mitnehmen darf und dass ich die hohen Tierarztkosten für Impfungen usw. fast nicht mehr bezahlen kann, da ich keine Sozialhilfe bekomme.
Walter: Gibt es auch diese Momente, in denen du manchmal etwas Hoffnung spürst?
Thomas*: (lächelt) Ja, erstaunlicherweise schon. Manchmal kommt jemand vorbei, schenkt mir einen Kaffee, fragt, wie es mir geht und ich spüre, er meint es ehrlich. Das ist selten, aber es passiert. Und dann denke ich: Da draußen gibt es doch noch gute Menschen, ab und zu zumindest. Wenn mir aber auch der Volksmund manchmal recht deutlich sagt: „Geh‘ arbeiten, du faule Sau“, dann tut das weh, sehr weh. Denn das sagen immer Menschen, die noch keinen einzigen Schritt in meinen Schuhen gegangen sind, mich aber wegen meiner Obdachlosigkeit menschlich verurteilen.
Walter: Was war der schönste Moment der letzten Jahre?
Thomas*: (seine Mimik glänzt mit allen Falten) Letzte Weihnachten. Eine Familie hat mir eine heiße Suppe gebracht, selbst gebackene Kekse, eine warme Decke und ein kleines Weihnachtsgeschenk. Die Kinder haben mit Max gespielt und der Vater hat zu mir gesagt: „Wir wünschen Ihnen Frieden, Hoffnung und hoffentlich bald ein geregeltes Leben.“ Ich habe geheult wie ein Schlosshund. Einfach, weil ich mich gesehen und verstanden gefühlt habe, was nicht selbstverständlich ist.
Walter: Gibt es Freundschaften unter den Obdachlosen auf der Straße?
Thomas*: (senkt seinen Kopf und flüstert) Ja, es gibt Menschen, mit denen du dein letztes Stück hartes Brot teilst, oder deine Decke, deine letzte Zigarette oder den letzten Schluck Bier. Aber viele sterben oder verschwinden plötzlich, viele meiner Kumpels sind gegangen, ich weiß nicht wohin. Ich habe auch drei Freunde verloren. Paul* hat sich erhängt, Hans* ist erfroren und Karl war krank, krebskrank. Es tut weh, aber du gewöhnst dich fast an den Tod, er wird zum täglichen Bestandteil deines Lebens.
Walter: Wie gehst du mit der Kälte im Winter um?
Thomas*: (er packt sich in die Decke ein) Mehrere Lagen Kleidung, Zwiebelsystem. Zeitungen in der Jacke. Ich kenne viele warme Stellen in Linz, wo ich immer wieder einmal schlafe. Z.B. Tiefgaragen, versteckte Hauseingänge oder verlassene Stiegenhäuser. Manchmal helfen mir auch andere Obdachlose, wir teilen fast alles, was wir haben. Es ist nicht viel, aber es verbindet ungemein.
Walter: Hast du Angst vor dem Tod?
Thomas*: Ja. Nicht vor dem Sterben an sich, aber davor, dass es niemand merkt, dass ich wirklich Hilfe brauche. Dass ich einfach irgendwann erfriere und keiner fragt, wer ich war und dass mein Leben ohne jegliche Spuren vergeht. Ich will nicht vergessen werden., wenn ich auch vieles in meinem Leben falsch gemacht habe und viele Menschen enttäuschte.
Walter: Hast du mal nach professioneller Hilfe gesucht?
Thomas*: Ja, ich war schon oft bei den verschiedenen Ämtern, bei der Suchtberatung, bei Streetworkern. Aber oft fühlst du dich wie eine gezogene Nummer. Und du brauchst so viele Dokumente, die ich aber nicht mehr habe, weil mir alles einmal gestohlen wurde: Ausweis, E-Card, Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis, einfach alles. Und dann fängst du wieder bei null an, aber null fühlt sich manchmal an wie minus hundert und oft habe ich das Gefühl, diese Minus Hundert nicht mehr aufholen zu können.
Walter: Glaubst du, du kannst nochmal neu anfangen, glaubst du an eine echte Chance?
Thomas*: (denkt lange nach) Ich weiß es nicht, aber ich will es glauben. Ich will nicht so enden. Ich will nochmal aufstehen, vielleicht nicht so wie früher, aber ich will wieder aufrecht gehen, mit einem Ziel vor Augen das ich auch erreichen kann.
Walter: Was würdest du den Menschen sagen, wenn du eine Botschaft loswerden könntest?
Thomas*: (deutet auf vorbeigehende Passanten) Schaut nicht weg. Wir sind auch Menschen. Jeder kann hier landen, wirklich jeder, und das schneller als man denkt. Ein paar falsche Entscheidungen, ein bisschen Pech, und schon gibt dir die Spirale nach unten einen Schubser. Gebt uns bitte nicht auf. Wir haben auch ein Herz, wir träumen, wir lieben, wir frieren. Und wir hoffen, zumindest ab und zu.
Walter: Hast du Träume, Thomas*?
Thomas*: Ja. Ich träume davon, irgendwann vielleicht wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Eine kleine Wohnung, ein Bett, eine Dusche, vielleicht sogar wieder zu arbeiten. Ich bin nicht mehr der Jüngste, aber ich bin nicht nutzlos. Ich will wieder dazugehören, wieder jemand sein, nicht nur der obdachlose Typ vom Linzer Bahnhof.
Walter: Was ist für dich Luxus?
Thomas*: (lächelt) Ein heißes Bad, saubere Klamotten und Schuhe, in die es nicht reinregnet. Eine Zahnbürste. Jemand, der deinen Namen kennt und nicht „Hey, Sandler“ ruft, sondern „Hey, Thomas*“.
Walter: Hast du mal geliebt, seit du auf der Straße bist?
Thomas*: Nein. Ich fühl mich nicht würdig. Wer will schon jemanden, der nach Müll stinkt und auch solche Kleidung trägt? Der keine Perspektive und keine Zukunft hat? Aber ganz ehrlich, manchmal träume ich davon, von einer Hand in meiner, von Nähe.
Walter: Gibt es Tage, an denen du lachst?
Thomas*: (lächelt) Ja. Manchmal macht Max Unsinn. Oder ich hör Musik aus einem offenen Fenster, oder die Sonne scheint so schön, dass ich für einen Moment vergesse, wo ich bin. Das sind kleine Geschenke. Ich sammle sie jeden Tag.
Walter: Was hilft dir, weiterzumachen?
Thomas*: (er nimmt Max in den Arm) Neue Hoffnung, und mein Max und vielleicht dieses Interview. Dass vielleicht jemand fragt, wie’s mir wirklich geht ohne eine Floskel zu dreschen. Vielleicht liest das ja jemand, der mir helfen kann und möchte, oder jemand, der mich kennt.
Walter: Hast du eine Botschaft an andere Obdachlose?
Thomas*: (mit lauter Stimme und positiv gestimmt) Gebt nicht auf, ihr seid mehr als euer derzeitiger Zustand. Ihr seid Menschen mit Schicksalen und mit Geschichten, mit großem Schmerz, aber auch mit Würde. Lasst sie euch bitte nicht nehmen.
Walter: Was brauchst du am meisten?
Thomas*: (eine leise Bitte) Eine zweite Chance.
Walter: Thomas, ich danke dir aus tiefstem Herzen für deine Offenheit.
Thomas*: Danke dir. Du hast mich gesehen und mit mir respektvoll geredet, das ist mehr, als viele tun.
Walter: Wie lange hast du gebraucht, um zu akzeptieren, dass du obdachlos bist?
Thomas*: Ich glaube, ich hab’s bis heute nicht richtig akzeptiert, ich funktioniere einfach.
Walter: Glaubst du an Gott?
Thomas*: Ich spreche manchmal mit ihm, besonders nachts. Ich weiß nicht, ob er zuhört, aber es hilft mir sehr, mit ihm zu reden und manchmal zu beten.
Walter: Was ist deine größte Angst im Moment?
Thomas*: (umarmt seinen Max) Dass Max krank wird und ich ihm nicht helfen kann. Ich könnte es mir nie verzeihen.
Walter: Was war der mutigste Moment in deinem Leben?
Thomas*: (sieht Max fragend an) Als ich meinen Max aus dem Tierheim geholt habe. Ich hatte nichts, aber ich wollte nicht mehr allein sein.
Walter: Was bedeutet „Zukunft“ für dich?
Thomas*: (blickt in den Himmel) Ein schwer fassbares Wort. Vielleicht ein Zimmer, ein Job, ein Brief. Vielleicht einfach weniger Angst oder vielleicht einen Menschen an meiner Seite, den ich von ganzem Herzen lieben darf.
Walter: Gibt es etwas, wofür du dankbar bist?
Thomas*: (schaut mir tief in die Augen) Für jeden Menschen, der mich anschaut und nicht wegsieht und für jeden, der „Guten Morgen“ zu mir sagt.
Walter: Was hoffst du, wenn du die Augen schließt?
Thomas*: (schließt die Augen) Dann träume ich von Wärme, von Licht, von Liebe und Geborgenheit, und davon, dass eines Tages vielleicht jemand „Willkommen zuhause“ zu mir sagt.
Danke lieber Thomas* für dieses ehrliche Interview, ich wünsche dir alles, alles Gute und ich wünsche dir vor allem jemanden, der dir hilft, aufzustehen und dass du zurück ins Leben findest, ohne Wehmut.
*Thomas, *Hans, *Karl, *Paul, *Lisa - *Alle Namen geändert!
Dieses Interview habe ich im Dezember mit Thomas* geführt und für dieses Posting, mit Thomas‘* Erlaubnis, wörtlich wiedergegeben.
Diese Woche begann für mich vielversprechend, am Montag Spendenabholungen, am Dienstag zuerst Spendenlieferung zustellen und am Abend bei den Lions einen Vortrag über Armut und Obdachlosigkeit in Oberösterreich und Linz, halten, die Daten, Zahlen und Fakten kamen bei den Zuhörern direkt an, wobei mich Gabi, Michael und Regina begleiteten und unterstützten. Der Vortrag war geplant für 1 Stunde, er dauerte dann leider gut 2 Stunden, wobei viele Fragen sofort beantwortet wurden. Bei diesem Vortrag war auch der Eigentümer eines Bestattungsunternehmens, der mir eine wunderbare Geste und tolle Spende machte. Da ja fast all unsere Schützlinge ein Armenbegräbnis am Urnenhain in Urfahr bekommen, würde er gerne ein Begräbnis pro Jahr spenden. Die Spende klingt etwas gewöhnungsbedürftig, aber es ist ein tolles Angebot, da diese Spende das gesamte Begräbnis beinhaltet, inklusive Blumen und alles was benötigt wird. Danke und Vergelt’s Gott für diese Geste.
Am Mittwoch wieder einige Termine und wenig bis gar keine Freizeit, ich sehne all die kurzen Sommerpausen, die ab Mai beginnen, herbei. Ich muss zusehen, mich zu erholen und mich wieder von all den Schicksalen zu distanzieren, sonst gehe ich daran zugrunde. Ich konnte mich immer sehr gut distanzieren ohne die Probleme mit nach Hause zu nehmen, das ist mir seit einigen Monaten leider nicht mehr möglich, weil es mir selbst nicht gut geht, deshalb gelingt mir auch die Distanz nicht mehr, aber das muss ich wieder schaffen, bald.
Die Tage vergehen wie im Flug, kaum ist Donnerstag ist die Woche auch schon vorüber, all die Aufgaben, all die Verantwortungen, sie lassen mir nicht viel Zeit um über Privates nachzudenken, ich merke nur dass die Zeit für mich, privat, immer noch weniger wird und dass ich teilweise zwar einen 3-köpfigen Vorstand im Verein habe, viele weitreichende Dinge aber trotzdem alleine entscheiden muss, was mir deutlich missfällt und das auch auf lange Zeit nicht sein kann und nicht sein darf. Das werde ich ganz sicher ändern, weil jedes einzelne Vorstandsmitglied auch eine gewisse Verantwortung zu tragen hat und auch die zugeteilten Aufgaben zu machen hat, ohne diese auf mich abzuschieben, das sollte allen bewusst sein.
Der Verteil-Donnerstag beginnt auch diesmal entspannt, Gerhard, Hilde, Anni, Rena, Verena H. und Verena T. sind Teil des Teams heute Vormittag. Ein großartiges Team, das hervorragende Arbeit leistet und auf das ich sehr stolz bin. Ein Teil des Teams bereitet die Lebensmittel für den Verteil-Donnerstag auf und verpackt diese neu und der andere Teil kümmert sich um dringend notwendige Lagerarbeit, die gemacht werden muss und nebenbei kommissioniert unsere Hilde auch noch die eine oder andere Spendenlieferung, einfach toll!
Später laden Gerhard und Verena eigenständig und ohne meine Hilfe den Transporter, samt Ladungssicherung, einfach großartig wie ich mich auf mein Team verlassen kann, in allen Belangen. Lediglich die mobilen Kühl- und Tiefkühlboxen laden wir erst später, um 14.30 Uhr in den Transporter ein, weil die 3 Akkus für den Betrieb der 3 mobilen Kühlboxen die volle Leistung für die Zeit von der Abfahrt bis zur Rückkunft brauchen, um die Kühlkette aufrecht zu halten.
Nachdem die ganze Vorarbeit geleistet wurde, brechen Anni und ich um 15.06 Uhr nach Linz auf. In der Zwischenzeit ist mir mehr als schlecht geworden, so wie jeden Donnerstag, ich denke, dass mir der dauernde Stress derartig zusetzt und ich diesen nicht handeln kann, da ich mich auch schon auf der Toilette im Lager übergeben musste. Dort angekommen laden wir wie gewohnt erst die Tische aus, um dann alles andere nicht noch einmal in die Hand nehmen zu müssen. Auch das geht richtig schnell und ohne Stress, ein paar unserer Schützlinge helfen uns, die Tische aufzustellen, den Platz besenrein zu machen und alles so aufzustellen, wie es sein soll.
Unser Michael macht heute wieder den Laptop, und nach monatelangem Prüfungsstress ist heute auch Kaja wieder mit dabei, was mich sehr freut, und es tut gut zu wissen, dass es ihr gut geht.
Um Punkt 16 Uhr beginnen wir mit der Ausgabe der Lebensmittel, und hinten steht Frau M., die zittert, weil sie ganz arg friert. Ich gehe zu ihr und hole sie hervor, ich ziehe sie vor und ich gehe mit ihr durch die Line, um Frau M. nicht unnötig der Kälte auszusetzen, denn alle wissen wie es ist, wenn man schwerkrank ist und man erwärmt sich nicht mehr. Jedenfalls waren alle einsichtig und niemand sagte was, weil ich hier einfach schnell und menschlich handelte. Im Nu ist Frau M. wieder mit allem wichtigen auf dem Heimweg, mit einem vollen Trolley und einer vollen Tasche, genug Lebensmittel für 14 Tage.
Es werden uns heute auch wieder 137 Menschen besuchen, die dringend Hilfe benötigen, weil sie es alleine nicht mehr schaffen. 137 Schicksale, die uns sehr am Herzen liegen. Aber wir stellen auch fest, dass wir kaum noch unter der Hunderter-Marke sind bei unseren Verteil-Donnerstagen, jede Woche, Monat für Monat, weit über 100 Menschen zu versorgen, ist für uns als rein spendenfinanzierter Verein jede Woche so eine Anstrengung, dass ich davon gar nicht erzählen möchte. Wir geben jede Woche so etwa € 3000,- bis € 3500,- für unseren Verteil-Donnerstag aus, was per se schon eine echte Challenge ist, Woche für Woche und Tag für Tag.
Die Disziplin heute ist wieder sehr groß, dank unserem Max, der immer Ansprechpartner für unsere Schützlinge ist und so viele Probleme im Vorfeld schon löst und erst gar nicht groß werden lässt. Karl, Regina und Brigitte geben in der Line aus und unsere Anni ist im Bus und gibt dort Kleidung und Kühlprodukte aus. Ich bin auf der Hut, da einer unserer heutigen Besucher, der, seit er in Österreich ist, vor Jahren nur wenige Wochen gearbeitet hat und heute trotzdem immer noch mehr Notstandshilfe (mit einer Bemessungsgrundlage von über € 2000,- hat) bekommt, als ich Pension, und hier hinterfrage ich unser System nicht mehr, sondern wundere mich nur noch wie das sein kann. Und genau dieser Mann ist schon öfters besonders ungut aufgefallen bei uns, weil er nur selten einen gültigen Einkommensnachweis brachte und deshalb auch nichts mehr von uns bekommen hat, dieser Mann erschleicht sich heute einen neuen Rucksack, den ich ihm gleich wieder abnehme. Gleiches Recht für alle und neue Rucksäcke geben wir nur an jene Menschen aus, die auch wirklich auf der Straße leben und diesen dringend notwendig brauchen, und bei ihm habe ich immer die Gewissheit, er nimmt alles was er bekommt um es dann zu verkaufen und sich auf diese Weise Geld für seine Alkoholkrankheit zu beschaffen, und dabei spielt er uns immer gegenseitig aus, was ich aber ganz sicher nicht mehr zulasse.
Die Warteschlange ist lange, sie schwillt an sobald 5-6 Besucher fertig sind und wird immer wieder länger, die ersten Lebensmittelboxen werden schon leer, viele Dinge gehen schon aus und wir haben noch nicht einmal 17 Uhr. Das wird heute noch interessant werden, wir haben grundsätzlich immer genug Lebensmittel mit dabei, wobei wir nicht den Anspruch geben können, dass jede/r alles bekommt, sondern wir haben so viele Lebensmittel dabei, um all unsere Besucher satt zu machen, und nur das zählt für uns.
Ich gehe vor an die Ecke und schau ob jemand im Bahnhofspark ist von unseren Schützlingen, ja, es bilden sich wieder Gruppen und es wird geschrien und getobt, und es wundert mich keinen Deut, wenn die Polizei den Park wieder räumt und es müssen alle wieder weg, unsere Schützlinge machen sich das alles selbst, wären sie still und genügsam, würde niemand etwas sagen oder gar den Platz räumen, aber so ist es kein Wunder.
Ich wandere auf uns ab, rede mit einigen unserer Schützlinge über Dinge, die gerade schief laufen in ihrem Leben, oder über etwas worüber sie grade froh sind, ich versuche ein offenes Ohr für alle zu haben, das ist oft wichtiger als eine volle Tasche Lebensmittel. Unsere kleine Elisabeth, droht mir heute mit langen Ohren, sollte ich nicht sofort folgen und ihr bereitwillig etwas versprechen, was ich nicht mache, ich laufe lieber weg vor ihr, sie ist heute unberechenbar, hahaha, Spaß, das musste jetzt sein. Wir haben ganz oft bei den Verteil-Donnerstagen viel Spaß, können oft herzhaft lachen und wissen, dass niemand absichtlich verletzt wird bei den Späßen, aber wenn man an vorderster Front immer wieder mit so viel Leid in Berührung kommt, braucht man auch manchmal eine Auflockerung, die gut tut.
17.15 Uhr, die Türme der leeren Lebensmittelboxen werden immer höher, und die Zahl der leeren Boxen immer höher, und die Warteschlange reißt nicht ab. Bald schon sind die Kühl Artikel vergriffen, dann geben wir mehr Dosen aus, um alle Münder satt zu bekommen. Wahnsinn, in welchem Tempo heute die Lebensmittel ausgehen, habe ich selten so gesehen.
Und wieder haben wir jemanden, die sich auch auf naive Weise mit Dingen bereichern möchte, die ihr noch nicht zustehen. Da sie heute keinen Einkommensnachweis brachte, bekommt sie heute ausschließlich Lebensmittel, und keine Kleidung, und außerdem sind wir weder 2. noch 3. Ausstatter, wenn jemand kaputte Schuhe trägt, werden neue ausgehändigt, wenn alle Dokumente gebracht wurden, ansonsten bleibt es bei Lebensmittel. Wenn jemand eine warme Winterjacke trägt und nur aus Gefallen, eine weitere haben möchte, sehen wir uns nicht in der Pflicht, erst, wenn die getragene Jacke nicht mehr repariert werden kann, erst dann gibt es eine andere Jacke. Manche in unserer Warteschlange glauben unser System durchschaut zu haben, ja, kann sein, aber mich haben sie nicht auf dem Radar, ich sehe und merke alles, und ich unterbinde gemeinsam mit meinem Team jeden Spendenmissbrauch, das geht gar nicht, wir sind unseren Spendern im Wort, wir haben versprochen, dass die Spenden ohne Umwege dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden, und nicht bei jenen, die aus unseren Spenden, Geld für Drogen oder Alkohol machen wollen. Diese Personen bekommen auch sofort die Rechnung präsentiert, nämlich ein Verbot, dass sie gar nicht mehr kommen brauchen, nie mehr! Konsequent und ehrlich!
Mittlerweile ist es nach 18 Uhr und es warten immer noch 12 Personen, um Lebensmittel zu bekommen. Wahnsinn, welche Entwicklung unsere Verteil-Donnerstage nehmen, weit über 100 Besucher, einen ganzen Transporter voller Lebensmittel ausgegeben, und jetzt packen wir alles übrig Gebliebene wieder ein und machen uns auf den Weg nach Ansfelden, in unser Lager.
Dort angekommen laden wir alles schnell aus, die Kühlboxen werden gereinigt und alles andere auf die Trolleys geparkt, und so geht wieder ein Verteil-Donnerstag langsam zu Ende, was bleibt ist ein wunderbares Gefühl, mit unserem Team wieder vielen Personen, 137 Menschen geholfen zu haben. Ein erhabenes Gefühl!
Ich aber sitze heute seit 16.10 Uhr bei diesem Posting, und werde es jetzt um 23.35 Uhr finalisieren. Ich weiß jeden Samstag nach meinen Postings, was ich geleistet habe, im Kopf leer, Sätze und Formulierungen schwirren noch zuhauf in meinem Kopf herum, ich brauche meist so 2-3 Stunden um wieder normal denken und fühlen zu können, denn eines ist auch wahr, so ein Posting zu schreiben und zu formulieren, ist zumindest für mich, geistige Schwerstarbeit, da ich ja eigentlich kein „Schreiberling“ bin. Was ich sonst schreibe sind 4-Zeiler oder 6-Zeiler, aber keine 15 A4-Seiten, so wie heute wieder.
Ich höre in meinem Kopfhörer gerade „Sail On“ von den Commodores, als Lionel Richie dort noch Leadsänger war, welch ein Song! Euch sage ich danke für Eure Aufmerksamkeit, danke für Eure Loyalität und dass Ihr uns immer wieder motiviert und aufrichtet, wenn etwas schiefläuft, dafür ein lautes „Vergelt‘s Gott“, und danke auch an all unsere Spender: innen, dass wir auch diesen Verteil-Donnerstag ausrichten durften.
Gott segne Euch!
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