Eine Heilig Abend-Tour der besonderen Art!
Eine Heilig Abend-Tour der besonderen Art!
Linz-Tour am Heiligen Abend, 2024!
Nachdem ich die letzten Tage krank war und nicht an den Vorbereitungen für diese Heilig Abend-Tour teilnehmen konnte, überraschte mich die Tatsache, dass wir schlicht zu wenig in den Boxen, die wir mitnehmen, haben. Wir justierten überall nach und Anni und ich, die eigentlich nur zum beladen des Transporters kam, hatten bis 13 Uhr zu tun, um alles so weit aufzufüllen, dass wir über die Runden kommen heute Abend.
Dann kam auch noch allen Ernstes dazu, dass ich vergessen habe, Gemüse und Obst für den morgigen Verteil-Donnerstag, der ja ein Feiertag ist, einzukaufen. Also Anni schnell ins Auto um 12.30 Uhr, und beim Hofer noch alles zusammengekauft was es noch im Sortiment gab, leider war das nicht mehr viel, aber unsere Schützlinge werden diesen Verteil-Donnerstag überleben, wenn es einmal keine Gurken und Mandarinen bzw. Orangen in unserem Sortiment gibt.
Auch kam meine heutige Begleitung, Sonja, schon um 11 Uhr ins Lager, sie hat aus eigener Tasche 30 Brötchen, Wurst und Frischkäse gekauft, und die werden jetzt hier im Lager belegt. Anni und Sonja helfen zusammen, derweil ich noch die Anzahl der Weihnachtsgeschenke die wir heute Abend mitnehmen werden, verdopple. Auch kaufte Sonja 2 Stangen Zigaretten für unsere Schützlinge, wir werden an die Raucher heute Zigaretten austeilen, was uns später noch eine massive Bedrohung und Beschimpfungen einbringen wird.
Unsere Anni bricht kurz nach 13 Uhr auf, zu ihrer Familie, es ist schon alles vorbereitet aber um 14 Uhr muss ich gestellt sein, war Annies Vorgabe, um mir heute überhaupt im Lager zu helfen. Ich bin überaus dankbar über Annies Hilfe heute, alleine und ohne Unterstützung wäre das heute mein persönliches Worst Case geworden. Wir konnten alle Lebensmittel noch auffüllen, auch die ganzen Kleidungsstücke wie Socken und Unterwäsche, die ebenfalls in viel zu kleiner Anzahl gepackt wurden. Aber egal, wir haben es noch erkannt und aufgestockt.
Sonja verpackt die belegten Brötchen und ich kümmere mich noch um den Tee, den wir heute mitnehmen werden, gut 35 Liter werden es werden. Eigentlich, nach den Erkenntnissen der letzten Jahre der Heilig Abend-Tour, viel zu viel, aber wir werden sehen. Es ist alles vorbereitet und jetzt warten wir noch, weil es noch zu früh ist um schon zu starten.
Eigentlich war die Abfahrt für 16 Uhr geplant, damit auch alle an ihrem Schlafplatz sind, aber wir werden wohl schon kurz nach 15 Uhr aufbrechen, weil wir ja auch noch ein paar Unbekannte haben, die wir schlecht abwägen können. Unser Bus jedenfalls ist gerichtet, mit genügend warmen Jacken, warmen Schuhen, Schlafsäcken und Isomatten, mit warmen langen Thermo-Unterhosen, mit warmen, selbst gestrickten Socken, mit genügend haltbaren Lebensmitteln und Getränken, Sonja wird mich heute begleiten. Sonja war schon vor 3 Jahren auf der Heilig Abend-Tour dabei und war damals schon angetan von unserer Arbeit und den Abläufen am Heiligen Abend.
Wir brechen um 15.05 Uhr auf, mit einem volle n Transporter und all den Gefühlen und Emotionen, die wir für heute brauchen werden.
Angekommen in Linz, beginnen wir am Bahnhof und in der Finanzgarage. Im Bahnhofsgebäude treffen wir die ÖBB-Security, und Leo, unseren Schützling. Leo ist schon leicht angeschlagen von der starken „See“ hier am Bahnhof, wir wünschen der Security frohe Weihnachten und alles lieb und gehen weiter, auf die Suche nach unseren Schützlingen.
Auf dem Weg in die Finanzgarage finden wir in einem Treppen-Seitenarm einen Obdachlosen, der mitten im Müll sitzt und laut vor sich hin sinniert. Wir bieten ihm heißen Tee, Weihnachtsgeschenke und Lebensmittel an, worauf er uns antwortet, Zitat: „Ja, super, aber ich habe grade keine Zeit“. Wir erklären ihm, dass wir weitermüssen und nicht auf ihn warten können, was ihm eine abwertende Geste mit der Hand in unsere Richtung entlockt. Auch gut, dann eben nicht. Wir gehen noch weiter und tiefer in diesen Keller, wo wir ganz viel Müll und immer wieder gebrauchte Alufolie finden, was uns deutlich zeigt, dass hier von anderer Klientel, Rauschgift konsumiert wird. Wir gehen weiter, zurück zum Bus, jemand anderen finden wir heute hier nicht.
Zurück beim Bus geht es Richtung Bus-Terminal, auf dem Weg dorthin müssen wir gut aufpassen, viele Menschen queren in voller Hektik und nicht schauend die Straße direkt beim Haupteingang des Bahnhofs. Manche sind so vertieft in ihr Handy und achten nicht auf den Verkehr, der hier unterwegs ist. Wir schaffen es ins Terminal und bleiben auf Höhe Gaby stehen.
Von Weitem sehen wir Lenny auf einer Bank sitzen, der monatelang im Krankenzimmer der Caritas war und der jetzt wieder am Terminal in der Obdachlosigkeit angekommen ist. Er ist schlichtweg nur weiß im Gesicht, man sieht deutlich, dass es ihm gesundheitlich nicht gut geht. Wir steigen aus und ich gehe zuerst auf Lenny zu und frage nach seinem Befinden. „Ja, siehst eh wie’s mir geht, wieder auf der Straße“ war Lenny’s Antwort. Gaby hat uns ebenfalls schon gesehen, und vielen anderen sagte ich es am Verteil-Donnerstag, dass wir am Heiligen Abend so etwa um 16 Uhr im Terminal sein werden und unter anderem auch nochmal Weihnachtsgeschenke mit dabei haben werden.
Im Nu kommen von allen Seiten Obdachlose zu unserem Bus, als erstes geben wir die belegten Brötchen und heißen Tee aus, dann geben wir jedem 6 Zigaretten, was ganz schön in den Vorrat geht. In Summe werden es einige Päckchen Zigaretten sein die wir heute verteilen. Tony und Lenny packen wir ein Lebensmittelpaket mit ihren liebsten Sachen aus unserem Repertoire. Tony’s Tasche wird nicht so voll, da er immer bremst und nichts möchte, das er nicht essen kann, Tony erinnert mich immer wieder: „Walter das ist zu viel, ich möchte nicht, dass es schlecht wird“. Tony ist bescheiden und zurückhaltend und nimmt wirklich nur jene Dinge an, die er wirklich braucht. Auch Lenny sagt bald: „Ist schon genug, Walter“, weil, mir wird das ganze ja nur von denen da drüben gestohlen, wenn ich schlafe, und deutet auf illegale Rumänen, die vor gar nichts halt machen, auch nicht wenn jemand schläft, auch da wird der Rucksack oder die Tasche mit den letzten Habseligkeiten des Schlafenden einfach entwendet und mitgenommen. Deshalb baut sich am Terminal auch diese Wut auf, über diese Menschen. Verständlich!
Die Gesichter, die uns jetzt begegnen, waren gezeichnet von den Strapazen des Lebens auf der Straße, aber auch von einer unerwarteten Wärme und Dankbarkeit, als wir ihnen die Geschenke und die heißen Getränke überreichten. Ein Lächeln, ein dankbarer Blick - diese kleinen Zeichen der Freude gaben uns das Gefühl, genau am richtigen Ort zu sein.
Sonja geht zu Lenny und unterhält sich mit ihm, ich stehe im Bus und gebe eine Einkaufstasche nach der anderen aus an unsere Schützlinge. Unser mitgebrachter heißer Tee wird heute in großer Menge getrunken, zu meiner Überraschung und Freude. All jenen, denen ich Lebensmittel und Hygieneartikel einpackte, lade ich zum Heck unseres Transporters ein, wo wir die Ausgabe der Weihnachtsgeschenke haben. Alle bekommen 2 Weihnachtsgeschenke, und man sieht die leuchtenden Augen, manche rütteln an der Schachtel mit dem Weihnachtsgeschenk, um zu erraten was wohl drinnen sein könnte.
Ich hüpfe wieder nach vorne, zur Lebensmittelausgabe, neue Schützlinge sind eingetroffen, und auch eine chinesische Frau steht beim Bus, und erzählt mir, dass sie aus Schärding kommt und ihren Mann im Krankenhaus besuchte und jetzt auf ihren Bus nach Schärding warten muss. „Darf ich mithelfen bitte, Lebensmittel auszugeben“ war ihre Frage an mich, aber zu zweit im Bus wäre zu eng, da wir viele Kisten am Boden stehen haben. Sie versteht es und reicht lächelnd alle Sachen die ich aus dem Bus hinausgebe, an die Empfänger weiter. Später fragt sie Sonja ob sie einen €50,-er wechseln könnte, was Sonja verneinte, „aber ich kann“ sagte ich ihr. Sonja nimmt meine Geldbörse und wechselt den €50,-er, wo sie uns jetzt völlig überraschend €40,- spendete. Sie verneigte sich vor uns und sagte immer wieder: „Danke, dass sie diese tolle Aktion hier machen“. Ich verneige mich ob ihrer Freundlichkeit und wundervollen Geste.
Plötzlich kommt eine Frau so um die 40 Jahre, ich kenne sie vom Verteil-Donnerstag. „Muss ich dir heute den Einkommensnachweis bringen, weil den habe ich jetzt im Zelt“. Ich verneine, es reicht, wenn du ihn am Donnerstag mitbringst. Sie lächelt und scheint glücklich zu sein, der Heilige Abend ist zumindest Lebensmitteltechnisch gerettet. Plötzlich kommt ein Typ mit einem Fahrrad an, später erst wird sich für mich herausstellen, dass er der Freund dieser Frau ist. Er steigt vom Rad ab und beginnt mich zu beschimpfen: „Ich habe gesehen, du bist böser Mensch, uns gibt’s du 6 Zigaretten und Anderen hier gibst du eine ganze Packung Zigaretten, du bist A…..ch, du bist böser Mann, ich werde dich bei Caritas melden damit du deinen Job verlierst, und beginnt eine Schimpftirade nach der anderen, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Seine Freundin geht kopfschüttelnd vom Bus weg über die Straße, was ihn scheinbar noch wütender macht. Ich denke sie hat Angst, durch sein Verhalten jetzt auch am Donnerstag nichts mehr von uns zu bekommen. Sie kehrt heute nicht ins Terminal zurück, deshalb kann ich sie auch nicht beruhigen, aber was ihren Freund betrifft, so braucht dieser nach diesen Beschimpfungen und Bedrohungen auch am Verteil-Donnerstag nicht mehr kommen.
Ich habe mir geschworen, mich von niemanden mehr beschimpfen oder gar bedrohen zu lassen, wer das macht darf sich woanders die Lebensmittel und Kleidung holen, bei uns nicht mehr. Sonja beruhigt mich: „Walter, nehme ihn nicht so ernst, er ist ja gottseidank weg“. Ja, bisher waren etwa 25 Schützlinge da und alle bis auf diesen einen, waren glücklich, dass wir heute hier sind und dass wir immer wieder helfen. Von einigen bekommen wir wirklich ein Lob, dass ich gerne ans gesamte Team weitergebe. Der Glanz in den Augen heute ist wunderschön anzusehen, bei jedem einzelnen Artikel den ich einpacke heißt es von vielen unserer heutigen Besucher: „Danke - Danke - Danke, Walter, ich wüsste nicht was ich ohne dich machen sollte“. Im Trubel um den Bus herum konzentriere ich mich wieder mehr jenen Menschen, die unsere Aktion zu schätzen wissen. Deren Freude über alles was sie heute von uns bekommen überwiegt um ein Vielfaches, alle reden mir gut zu doch diesen Typen zu vergessen.
Aber es ist schon bezeichnend für die heutige Zeit, dass man nicht die zufriedenen und glücklichen 25 oder 30 Menschen im Fokus hat, sondern nur noch DEN Einzigen sieht, der ausschweift und beleidigend wird, aber schon bald ist es so stressig, dass ich mich wieder auf die leuchtenden Augen konzentriere.
Die Gespräche, die Sonja und ich führten, waren tief und bewegend. Manche erzählten von verlorenen Familien und Träumen, andere von der täglichen Herausforderung, im Winter zu überleben. Doch in all diesen Geschichten war ein Funken von Hoffnung und der Wunsch nach einem besseren Morgen zu spüren. Unsere Geschenke - kleine Pakete mit allem möglichen - waren mehr als nur materielle Gaben. Sie waren Zeichen der Wertschätzung und des Mitgefühls.
Wir bekamen letzten Verteil-Donnerstag von Brigitte und Fritz 10 Gutscheine, die wir heute nur an jene Schützlinge ausgeben, wo wir sicher sind, dass sie keinen Alkohol darum kaufen. Alle nehmen das Kuvert an die Brust und küssen es noch vor Freude, bevor sie es einstecken. Marcel rede ich ins Gewissen, ja keinen Alkohol zu kaufen, da ich es ohnehin erfahren würde: „Ja, du erfährst alles Walter, aber das mache ich nicht“.
Alle Neuen die wieder in der Warteschlange stehen, bekommen Tee von Sonja und ein belegtes Brötchen, werden sehr gerne angenommen. Da kommt ein fremdes Auto angefahren, der Fahrer öffnet den Kofferraum und holt eine Kiste Bier und eine Jause heraus und stellt es zu Gaby. Beim Zurückgehen zu seinem Auto sagt er zu mir nur: „teilt es bitte auf“. Ich hole die Kiste Bier von Gaby und stelle sie vor unseren Bus, wo sich jede/r 2 Flaschen nehmen darf. „Heute ist echt Weihnachten“ klingt es aus Birgits Mund, die auch jeden Verteil-Donnerstag zu uns kommt, weil sie sonst nichts bekommen würde. Sie bekommt keine Leistung, ist dadurch auch nicht krankenversichert, ihre Augen leuchten heute besonders hell und eine Träne wird sichtbar, als sie mich anschaut. „Ich weiß nicht mehr was ich noch machen kann, damit ich mein altes Leben zurückbekomme, ich gehe gerade sang- und klanglos unter und kann nichts dagegen machen. Ich war noch nie obdachlos und hab auch solche Weihnachten noch nie erlebt. Ihre Tränen werden mehr und unüberhörbarer, ein anderer Obdachloser nimmt sie in den Arm und tröstet sie: „Ich mag nimma leben“ kommt es leise von ihren tränenüberfüllten Lippen. Plötzlich ist es ganz still und jeder schaut auf Birgit, alle versuchen ihr Hoffnung zu machen, doch diese Tränen sollten nicht so schnell aufhören. Ich drücke Birgit 2 Weihnachtsgeschenke in die Hand, eine Mischung aus Freude und Traurigkeit zeigt ihr Gesicht.
Die stillen Gespräche am Rande unserer Verteilung heute am Terminal, waren für unsere Schützlinge mindestens genauso wichtig wie die Lebensmittel und Weihnachtsgeschenke, die wir heute an sie verteilten. Ob der ganzen Stimmung, die wir beim Bus haben, komme auch ich in meine Emotionen und frage mich wie so oft im Leben: „Warum, lieber Herr, warum nur gibt es Menschen die auf der Straße leben müssen?“.
Mittlerweile ist es 18.30 Uhr geworden, wir haben alle Wartenden beglückt und schauen in die Tiefgarage runter, ob wir dort noch jemand finden. Auf dem Weg dahin sind Sonja und ich etwas leiser und nachdenklicher. Unten in der Tiefgarage finden wir niemanden mehr, den wir heute beschenken können, also zurück zum Bus.
Dort angekommen fragen uns 2 junge Männer ob sie auch etwas zu essen haben dürften, sie sind zwar nicht obdachlos aber haben nichts mehr zu essen. Wir geben ihnen heißen Tee und belegte Brötchen, die Sonja dankenswerterweise gesponsert hat, und noch 2 Fischdosen und Brot, dann gehen sie schnellen Schrittes weg vom Bus, so als würden sie sich ungemein schämen uns um Essen gefragt zu haben. Für viele Menschen ist diese Hürde nicht einfach zu nehmen, weil man sich ja nicht gerne als „arm“ outet. Verständlich! Wir gehen nochmal zu Lenny vor, zu dem nun noch ein paar Leute kamen und wir verabschieden uns, da wir noch einige Stationen vor uns haben. Umarmungen und Danksagungen begleiten uns auf dem Weg zum Bus.
Wir fahren weiter, zum DüK von Tony, um ihm nochmal zu sagen, dass ich ihn mag und ob er noch etwas braucht, weil Tony ja auch oft sagt: „Ich kann nicht so viel tragen“. Jetzt sind wir auf dem Weg zu ihm und er kann noch sagen, was er braucht ohne es tragen zu müssen. Tony ist ja auch weit über 70 Jahre alt. Wir klopfen an seinem DüK und Tony lächelt uns an und zeigt uns was alles in seine 2 Weihnachtsgeschenken drinnen war: „Es geht mir gut, Walter, es geht mir sehr gut, Danke für alles, Walter“. Tony ist gut angekommen in seinem DüK und wir fahren weiter. Leo ruft mich an und erzählt mir, dass Michl, der noch bis vor kurzem eine kleine Wohnung hatte und nun wieder auf der Straße gelandet ist, bei ihm schläft, wir sollen uns keine Sorgen machen, und Leo schickt uns auch ein Bild vom schlafenden Michl. In meiner Planung und meinem Tour Plan vergesse ich jedoch auf diesen Anruf von Leo, erst als wir beim Gitter zu Michels Schlafplatz stehen, sagt Sonja: „Leo hat ja angerufen, dass Michl bei ihm schläft“. Da drehen wir um, um unsere Tour weiterzufahren. Mich friert heute durchgehend, schon seit Mittag, manchmal beginne ich sogar zu zittern, spüre deutlich, dass ich noch nicht gesund bin und merke, dass mir mein Nacken weh tut, verkühlt am Terminal.
Wir setzten unsere Reise fort, von einem Schlafplatz zum nächsten. Unter Brücken, in Tiefgaragen und in den Ecken der Stadt, wo das Licht der Weihnachtsdekorationen kaum hinreichte, fanden wir immer wieder auch Menschen, die heute nicht mit uns rechneten. Jeder Stopp brachte neue Geschichten, neue Gesichter und immer wieder die Erkenntnis, wie wenig es manchmal braucht, um ein wenig Hoffnung zu schenken. Wir fahren zu einigen Schlafplätzen, wo wir nicht wissen ob da gerade heute jemand ist, wir klappern sie trotzdem ab um niemanden zu übersehen. Dom, Brucknerhaus, Nibelungenbrücke, Jahrmarktgelände usw., niemanden treffen wir hier an, somit hat sich in der Zwischenzeit mein Hunger zurückgemeldet, wir fahren auf die Tankstelle, um eine kleine Pause einzulegen. Es ist mittlerweile 21.15 Uhr, wir gönnen uns zwei Kaffee und Leberkäsesemmel, Sonja hat auch Hunger, aber noch wichtiger ist für mich, bei Sonja nachzufragen wie es ihr inzwischen geht, ob eh alles im grünen Bereich ist oder ob sie an irgendeiner Aussage oder einem Umstand nagt und diesen nicht loswird. Gerade bei der Linz-Tour ist es enorm wichtig, gegenseitig achtsam zu sein, miteinander zu reden und auch auf der Hut sein, niemanden zu überfordern mit dem gehörten oder gesehenen. Es bringt nichts, wenn jemand etwas erlebtes mit sich selbst ausmacht und nicht darüber spricht. Das geht schief!
Während die Zeit voranschritt und die Kälte zunehmend spürbar wurde, blieb unser Herz warm. Wir wussten, dass wir vielleicht nicht die Welt verändern können, aber wir können einen kleinen Unterschied im Leben dieser Menschen machen. Jeder Stopp, jede Begegnung und jedes Lächeln waren ein Zeichen dafür, dass die Menschlichkeit auch in den dunkelsten Zeiten Bestand hat.
Es warten noch einige Stationen auf uns, also weiter geht’s, gleich um die Ecke zu Franziska, Emma und Gerald. Für Gerald packe ich eine Packung Zigaretten ein, die er bei jedem Besuch von mir bekommt, heißen Tee nehmen wir mit, 2 Becher und 4 Weihnachtsgeschenke. 2 für Franziska und 2 für Gerald. Wir bitten Gerald, auf die Anhöhe, quasi in sein „Wohnzimmer“ unter der Autobahnbrücke kommen zu dürfen. „Freilich, kommt rauf und macht es euch gemütlich“ klingt es von Gerald. Sonja füllt einen Becher mit Tee, für Franziska und Gerald, beide schlürfen genüsslich an ihren Bechern, ich gebe Gerald die Weihnachtsgeschenke und er lächelt und freut sich sehr über die Geschenke und über das Päckchen Zigaretten. Er erzählt, dass heute „scheinbar“ Weihnachten ist, was ich Gerald gerne bestätige. Sonja steht mit dem Rücken zu dem etwa 30cm hohen Haufen Exkrementen, der am Kopfende seines Schlafplatzes liegt und einen intensiven Gestank verbreitet. Wir sitzen uns auf die Styroporplatten und Gerald lächelt, wenn ich ihn frage ob er etwas benötigt: „Na, es ist alles da“ und schaut auf den Müllberg, der 1 Meter neben seinem Schlafplatz liegt. „Ich habe alles, Walter.“ Franziska versucht immer wieder Gerald „einzufangen“ und ihm eine Dusche in der Wärmestube schmackhaft zu machen, was er immer wieder mit dem Satz ablehnt: „Na, dort muss man sich registrieren, da geh ich nicht hin“.
Ich erzähle Gerald auch von der Möglichkeit in anderen Einrichtungen, sich dort ohne sich registrieren zu müssen, duschen zu können. Auch das lehnt Gerald ab. Man erkennt diesen dunklen Tunnel der schweren Depression, seiner schweren psychischen Krankheiten, die Gerald plagen. Er tut mir so unendlich leid, aber ich bin weder Psychologe noch Sozialarbeiter, ich habe keine Ausbildung in diese Richtung, ich kann lediglich die Menschen im Leben auf der Straße unterstützen und ihnen alles was sie zum Leben brauchen, bringen, und das machen wir, seit Jahren. Gerald scheint in seiner Welt „glücklich“ zu sein, er lehnt jede weitergehende Hilfe ab, weil er: „Mit anderen teilen müsste“, auch wenn ich ihm sage, dass dem nicht so sei, bleibt er bei seinem Nein.
Wir brechen wieder auf nach einer Weile, und widmen uns noch Franziska. Emma, ihren Hund friert enorm, sie hat kein Unterfell und ist sehr empfindlich auf den Pfoten, der kalte Stein setzt Emma sehr zu, man sieht wie sie schnell abwechselnd die Pfoten hebt, weil der Stein so kalt ist. Doch fruchtet es nicht, wenn ich Franziska darauf aufmerksam mache, sie lässt sich auf mein Gesagtes nicht ein und tut die Bedürfnisse von Emma als „unwichtig“ ab, was ich vehement zurückweise. Ich mache ihr klar, dass Emma sich eh schon bemerkbar macht, weil sie Schmerzen hat, Franziska geht wieder nicht darauf ein. Die Vergangenheit zeigte mir jedoch auch, dass Franziska sich von einem auf den anderen Augenblick total zurückzieht, wenn man ihr etwas sagt, was ihr so gar nicht gefällt. Franziska ist halt so, sie jammert heuer mehr als sonst, weil ihr die Erfrierungen in den Beinen so zusetzen, sie würde gerne in ein Zimmer ziehen, sie mag nicht mehr obdachlos sein: „es tut schon so weh, Walter“, was ich ihr auch glaube. Aber leider haben wir kein Zimmer und keine Wohnung und könnten auch keine finanzieren.
Franziska kommt noch mit zu unserem Bus, wo sie sich noch Süßigkeiten, Lebensmittel und Hygieneartikel holt. Und wieder fängt Franziska mit den Vorwürfen an, warum wir Gerald nicht helfen? Ich mache ihr wieder und wiede3r klar, dass ich nicht helfen kann, wenn Gerald sagt, „das und jenes mach ich nicht“, auch Gerald braucht individuelle Hilfe und keine 08/15 Hilfe, die von unserem System ausgekotzt und allen aufs Auge gedrückt wird. Wenn dann jemand sagt: „Ich möchte aber keine Hilfe die gegen meinen Willen geht“. Jeder Mensch braucht individuelle Hilfe, auf den Menschen abgestimmte Hilfe, dann nehmen die Menschen auch jede Hilfe an und andere brauchen dann nicht mehr behaupten: „Na, die wollen ja gar keine Hilfe“. Alle wollen Hilfe, aber nicht jeder kann in einem 6-Bett Zimmer mit 5 Unbekannten schlafen. 2 Menschen schnarchen, 2 Menschen stinken nach Alkohol und der fünfte geht schlafwandeln in der Nacht, ehrlich, auch ich würde mir hier schwertun, hier mein Leben zu leben. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass in solchen Einrichtungen fast alles gestohlen wird, was nicht angeschweißt ist. Nicht jeder kann jene Hilfe in Anspruch nehmen, die in 08/15 Form von der Politik vorgegeben wird. Aber das ist halt Status Quo in Linz und Oberösterreich, dass die vom Land O.Ö. finanzierten Einrichtungen nach jenem Katalog zu reagieren und zu arbeiten haben, denen ihnen von der O.Ö. Landesregierung vorgegeben werden. Individuelle Hilfe, auf den einzigartigen Menschen abgestimmte Hilfe, findet ja nur in der Ausnahme statt, leider.
Wir brechen auf zu den letzten Stationen der heutigen Heilig Abend-Tour, es ist schon 22 Uhr, und wir fahren zum Pleschinger See, wo Peter an der Donau sein Dasein fristet. Auf dem Weg dahin begegnen uns Wildhasen, Mäuse und auch ein Biber. Wir packen für Peter eine Einkaufstasche voller Lebensmittel und Getränke, packen auch 2 Weihnachtsgeschenke ein und machen uns auf den etwa 10-minütigen Weg, zu seinem Zelt. „Weihnachtsmann“ ist unser Kennwort, dass sich Peter erkennbar gibt. „Wer ist da?“ Walter von der Obdachlosenhilfe: „Ah, warte ich komme bis zum Zelteingang“. Peter robbt sich vor, und im Schein seiner kleinen Taschenlampe erkennen wir den Müllberg, der vor uns in seinem Zelt schon liegt. Peter legt gleich los, als er uns sieht: „Ja, wenn mir niemand Wasser bringt, könnte ich das Nächste Mal schon Tod sein, wenn ihr kommt“. Ich gehe nicht näher drauf ein, sondern beruhige Peter, dass wir einige Getränke eingepackt haben und eben auch 2 Weihnachtsgeschenke dabeihaben. „Was? Is leicht Weihnachten?“ Peter lebt in seiner eigenen Welt, in der es viele böse Menschen gibt auf die er näher eingeht als auf unseren Besuch gerade.
Wir unterbrechen Peter nicht und lassen ihn reden, ich merke wie mir seine Hoffnungslosigkeit zusetzt, wie ich mich in seine Lage versetze und plötzlich sehe, wie verletzt Peter ist. Aber ich kann auch hier nicht wirklich helfen, außer mit allem was er braucht zum Leben, und das geben wir ihm. Nach einer Weile, in der er alles sagte was ihn drückt, verabschieden wir uns wieder, und wir sehen im Schein unserer Taschenlampe, wie schmutzig seine Hände sind, ich mir aber etwas eventuell Verletzendes dazu auf der Zunge zerbeiße. Peter krabbelt zurück und macht den Reißverschluss seines Zeltes wieder zu und Sonja vergleicht in diesem Augenblick Gerald und Peter, wo zwar jeder für sich in seiner eigenen Welt lebt, aber beide nicht vergleichbar sind. Wir nehmen auch Peter und Gerald so, wie es uns wichtig ist, respektvoll und wertschätzend, egal wie krank jemand ist, Respekt kann man immer zeigen, und für uns ist das enorm wichtig.
Auf dem Weg zurück zum Bus fragt mich Sonja: „Wie kommt der hierher?“. Ich weiß es nicht, Sonja, ich weiß nur er kassierte viele Platzverbote in Linz, und irgendwann floh er aus der Stadt deshalb.
Beim Bus angekommen brechen wir auf zur letzten Station, weil ich Sonja schon gebeten habe: „Bitte machen wir Schluss, ich kann nicht mehr“. Sonja willigte ein da es eh schon bald 23 Uhr wird. Wir fahren noch in die Industriezeile, zum DüK von Andreas, bei dem noch Licht brennt. Wir klopfen und er kommt heraus, auch ihm drücken wir 2 Weihnachtsgeschenke in die Hand, neue Socken und neue Unterhosen und verabschieden uns dann in den Feierabend.
Auf dem Weg ins Lager erzählt mir Sonja von ihren Kieferschmerzen, die sie schon einige Tage hat, und wie heute ihr Resümee ausfällt: „Wie bei der letzten Weihnachtstour, einfach erlebnisreich, man sieht und hört vieles, was man normal nicht sieht und hört“. Sonja geht mit all den Dingen wirklich gut um, was auch sehr wichtig ist. Im Lager angekommen laden wir alles schnell aus und setzen uns dann noch 5 Minuten im Lager zusammen und diskutieren gemeinsam über die heutige Linz-Tour, was heute geblieben ist und was noch ein weiteres Nachdenken morgen, übermorgen erfordert.
Am Ende unserer Reise, als die Sterne am Nachthimmel funkelten und die Stadt langsam zur Ruhe kam, kehrten wir mit einem Gefühl der Erfüllung zurück. Es war mehr als nur eine Fahrt zu den Schlafplätzen der Obdachlosen - es war eine Reise des Mitgefühls, der Hoffnung und der Nächstenliebe. Und während wir uns voneinander verabschiedeten, wussten wir, dass der wahre Geist der Weihnacht genau das war, was wir an diesem Abend erlebt hatten.
Um 23.15Uhr fahre ich los, nach Hause, fertig, geschafft, ausgelaugt, krank und trotzdem glücklich nach dem heutigen Abend.
Ich aber sitze heute am 1. Weihnachtsfeiertag hier beim Posting, mittlerweile seit gut 4 Stunden und bei entspannter Weihnachtsmusik, da ich erst heute das erste Mal mit etwas Abstand Weihnachten realisiere, bis jetzt war ich bis oben hin mit Arbeit und Verantwortlichkeiten, mit Terminen vollgepackt die mir nie die Ruhe gaben, mich auf Weihnachten einzulassen.
„Feliz Navidad“ von Jose Feliciano läuft gerade in meinem Kopfhörer, ein Stimmungsaufheller heute, den ich gut gebrauchen kann. Ich danke euch für Eure Aufmerksamkeit und Eure Loyalität, für Eure Hilfe und Euer Lob immer wieder, das ich gerne ans gesamte Team weitergebe.
Ich wünsche Euch noch eine gesegnete Weihnachtszeit und alles liebe, Gott segne Euch!