Man sieht nur mit dem Herzen gut, …
VERTEIL-DONNERSTAG VOM 29.4.2021:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar (Antoine de Saint-Exupèry).“
Würden wir nur alle viel mehr auf unser Herz hören und viel weniger mit Vor- oder mit Beurteilungen anderen Menschen weh tun. Andere Menschen nicht vorverurteilen, weil sie nicht nach Schablone A ihr Leben leben können oder wollen. Im Laufe eines Lebens geschehen viele Dinge die nicht planbar, nicht gewünscht und auch nicht erlebt werden wollen, doch das Schicksal und das Leben schreibt man nicht immer selbst. Nicht jede/r kommt aus gutem, situiertem Hause, nicht jede/r bekommt die Chance auf Bildung, die Chance auf ein Leben auf der Sonnenseite. Ich schrieb es schon Mal an, viele Menschen da draußen würden auch gerne partizipieren an all dem sagenhaften „Aufschwung“, den man vielerorts sehen und hören kann. Bei den meisten kommt der aber niemals an, die meisten Menschen haben keinen Job, der die Taschen und Münder vollmacht. Es gibt viele Menschen, die das System vergessen hat, oder vielleicht bewusst nicht mitgenommen hat auf die Reise durchs Leben. Wenn nun aber jemand am Schicksal zerbricht und der Sinkflug derart schnell beginnt, wie wir ihn täglich sehen müssen, wenn man selbst nur noch Passagier ist und keinen Ansatz hat, wie man solche Situationen in den Griff bekommt, und man muss sich dann noch Sprüche anhören, die einfach unter aller Kanone sind, dann sind wir Meilenweit weg von einem „sehendem Herzen“. Wir leben leider in einer Gesellschaft, wo sich viele Menschen ernsthaft anmaßen, über andere urteilen zu können und dies auch tun. Anstatt zu helfen, dem Menschen am Boden die Hand zu reichen, treten viele noch auf die Menschen hin. Und das passiert nicht 1-Mal im Monat, nicht irgendwo in der weiten Welt, NEIN, es passiert jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, mitten unter uns. Weil wieder jemand glaubt sich über jemanden stellen zu müssen, mit dem er/sie noch nie ein Wort gewechselt hat, nichts weiß von dessen Leben, keine Ahnung von den Schicksalsschlägen hat, aber feste draufhauen, das geht immer.
Viele Menschen erlauben sich Aussagen, die verletzend sind, die bösartig sind, die sie niemals zu jemanden aus dem eigenen Freundes- oder Familienkreis sagen würden, aber zu jemanden der am Boden liegt, da kann man noch hintreten. Was ist das für eine Gesellschaft die solche Dinge zulässt und nicht die Courage hat, für Menschen einzutreten, die sich aus eigener Kraft nicht mehr selbst helfen können, wo bleiben die verdammten Aufschreie, wenn 6 junge Menschen auf einen über 60 jährigen am Boden liegendem Mann, der sich selbst nicht mehr wehren kann, hintreten bis er sich krümmt und windet vor Schmerzen. Und (gezählte) 15 Personen stehen rundherum und schauen zu, ohne auch nur 1 Wort einzuwerfen. Wie weit geben wir der menschlichen Verrohung Platz, wie weit lassen wir Dinge zu, die ausschließlich dahingehend abzielen, jemanden zu verletzen, zu mobben, zu diskreditieren, mundtot zu machen oder gar in eine Situation zu treiben, aus der es kein Entkommen gibt? Wann werden die Menschen wieder für Arme, Obdachlose, Kranke, Behinderte u.a. eintreten und sich vehement „einmischen“, wenn jemand glaubt hin dreschen zu müssen, und sei es „nur“ rhetorisch? Ich könnte viele, viele Aussagen hier zitieren, die einfach alle nur abgrundtief böse sind und nur dahingehend geäußert wurden, um jemanden zu verletzen. Aber was mich viel mehr interessieren würde, warum ergötzen sich so viele Menschen am Leid des anderen? Ein böses Beispiel, das ich auch nicht im Ansatz verstehe, warum filmt man mit dem Handy Unfallstellen oder gar Unfallopfer? Warum tut man sowas? Warum filmt man Raufereien/Messerstechereien und stellt diese dann ins Internet? Wozu? Was sind das für Menschen, die sowas machen und woher kommen sie?
Ich bleibe bei meinen Beispielen, die ich selbst gesehen und gehört habe, auch die sind unterirdisch. Warum schimpft man über Obdachlose: „Besoffenes Gsindl“, „Arbeitsscheues Gfrast“. Ohne den Menschen zu kennen, äußern sich oft Menschen auf diese derbe Weise. Nur wenn es sie selbst trifft, dann bitte den Mund halten und weitergehen. Und, auch schon 2-Mal erlebt, dass vorher lautstark, gehässig gepöbelt wurde, und kurze Zeit später brauchte man selbst Hilfe, aber bitte schnell! Ich bin der allerletzte, der jemand zurechtweist der Hilfe braucht, aber hier konnte auch ich mir einen Kommentar nicht verkneifen. Erst wenn man selbst Hilfe braucht, wird alles relativ, vor allem wird es ruhig, wenn man wegen früherer Äußerungen nochmal nachfragt.
Ich bin weder Staatsanwalt noch Richter, aber Mensch!
Wenn jemand Hilfe braucht, egal welche, da hilft man doch, versucht man Schaden von dem Menschen abzuwenden, und sei er noch so klein. Dieses Gefühl, Hilfe zu bekommen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, ist ein sehr gutes, ein erhabenes, ein beruhigendes Gefühl. In dieser Situation, in der man hilflos einer negativen Kraft ausgesetzt ist, Hilfe zu erfahren, ist nicht nur menschlich absolut notwendig, sondern auch eine großartige Geste der Nächstenliebe. Ein großes Wort, an das viele Menschen mit dem Abstieg der Kirchen, nicht mehr glauben. Ich schon! Aber ich glaube auch nicht wirklich an die Kirche, sondern an Jesus! Und deshalb ist mir diese Nächstenliebe auch so wichtig, was nicht heißt, dass jeder der ehrlichen Nächstenliebe betreibt, an Jesus glauben muss. Aber eine Erfahrung durfte ich schon oft machen, jemand der glaubte, egal an welchen Gott, sah er auch mit dem Herzen ziemlich gut. Ich lernte Christen kennen, die sich in ihrer Hilfe in Afrika bestätigt fühlten, kenne Menschen, die aus fernen Ländern kommen und hier bei uns tatkräftig helfen. Zu helfen tut so gut, ist Balsam für die Seele, und wenn man einem Schicksal eine positive Wende geben kann, was gibt es Schöneres?
Viele Begegnungen in den letzten Jahren zeigten mir, wie man sein Herz antworten lässt, ohne ein Wort zu sagen. Das liebe Leute, das ist Glück! Erleben zu dürfen, dass oft eine Geste reicht, um einem Menschen aus seinem „tief“ zu holen und ihm/ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Wir erleben das öfters, an unseren Verteil-Donnerstagen. Manche kommen zu unserem Bus, um nicht nur Lebensmittel und Hygieneartikel zu bekommen, sondern auch Zuspruch zu erhalten, ein kurzes Gespräch zu führen, ein Problem zu besprechen oder es gar zu lösen. Hier sind sehr oft ganz viele Emotionen, die auf unser gesamtes Team einprasseln. Deshalb ziehe ich jeden Tag meinen virtuellen Hut vor meinem gesamten Team das so großartige Hilfe leistet, ehrenamtlich und mit dem ganzen Herzen! Viele der erlebten oder gehörten Dinge beim Bus, sind nicht für die Öffentlichkeit gedacht, weil es verantwortungslos wäre, solche Schicksale an die große Glocke zu hängen, dass sich dann vielleicht die vorher beschriebenen Menschen wieder an diesen ergötzen. Aber glaubt mir liebe Leute, wir haben viele gebildete Menschen beim Bus, Ingenieure, Doktoren, Magister u.a., die keinen Fuß mehr ins Leben bekommen. Die sind nicht „zu dumm zum Leben“, NEIN, sie sind nur irgendwo an einer Lebensampel falsch abgebogen, in eine Einbahnstraße. Und, auch das höre ich fast jeden Tag, es kann wirklich JEDE/N treffen. Wenn das Leben eine Situation mitbringt, die man nicht gleich lösen kann, beginnt die Zeit zu laufen. Und wenn hinter einem Menschen dann auch noch das soziale Netz wegbricht, Freunde, Familie sich nicht mehr „zuständig“ fühlen, geht es ganz schnell ganz tief runter. Hier gibt es eigentlich nichts zu schimpfen, zu urteilen, hier wird HILFE benötigt, schnelle Hilfe! Hört nicht immer auf jemanden der gerade keine Lust hat zu helfen, fühlt Euch rein, wie Euer Herz die Situation sieht, lasst Euer Herz entscheiden, dann wird alles gut, für dich und für den Menschen, der/die Hilfe braucht.
Für unseren Verteil-Donnerstag heute waren wieder die üblichen Vorarbeiten nötig, durchschauen aller Lebensmittel, die mitgenommen werden. Die ganze Ladung auf Vollständigkeit und Sinnhaftigkeit überprüfen. Am Ende werden es 73 Menschen sein, die heute unseren Bus besuchen. 73 Menschen zu viel für ein Land wie Österreich, glaube ich. Und wieder kommen heute einige Menschen, die frisch auf der Straße „aufgeschlagen“ sind. So ein netter junger Mann, der von der ARGE Obdachlose zu uns geschickt wurde. Er kam kürzlich aus Italien zurück, ist Österreicher, aber ohne jeden Anspruch auf Leistung, weder Mindestsicherung noch Sozialhilfe gibt es für ihn. Er hat einige Unterlagen dabei die ich mir kopfschüttelnd anschaue, und wieder ein Beispiel wie schnell es gehen kann, auf der Straße zu landen. Manchmal macht mir unser System echte Angst, heute war es so. Er fragte schüchtern ob er bitte ein paar Lebensmittel haben dürfe, da er Hunger hat und er hat noch keine Ahnung was seine nächsten Schritte sein werden. Er kennt sich mit so einer Situation nicht aus und ist auch sprachlos, er ist gebildet und gut angezogen, er spricht mit leisen Worten und immer mit einem „Bitte“ voran.
Kurz darauf geht ein Mann bei uns vorbei, bleibt stehen, schaut zu, was wir machen und hält seinen Daumen nach oben und greift in die Tasche und spendet uns € 20,-. Ich weiß nicht was mich mehr freut, der erhobene Daumen oder die € 20,-? Es tut einfach gut, moralische Unterstützung zu erhalten, DANKE dafür an dieser Stelle. 4-5 Busfahrer, die ihre Pause neben uns machten und uns immer beobachten, lud ich auf ein Stück Sahne-Torte ein, da wir ganze 3 Torten mitgenommen haben und genug für jeden haben. Ein Busfahrer lehnte ab, sein Kollege daneben nahm mein Angebot an und orderte auch noch eine Torte für seinen Kumpel, daheim. Obendrauf gab es für diese 2 Tortenstücke ungewollt ebenfalls Spendengeld, € 10,-. Danke schön auch an diesen Busfahrer, die Woche für Woche immer mitten im Geschehen sind und uns ebenfalls den erhobenen Daumen zeigen.
Auch heute werden wieder unsere Nächtigungsjetons für die Notschlafstelle abgefragt, sind sehr gefragt, 46 Stück zu je € 4,06 haben wir heute ausgegeben. Auch kauften wir heute Obst und Gemüse vom Hofer zu, um auch etwas „Gesundes“ anbieten zu können. 2 Frauen kommen und freuen sich, weil sie heute eine kleine Wohnung bekamen, 34m² um €490,- Kaltmiete, also plus Betriebskosten. Wahnsinn! Wer soll sich so eine Wohnung noch leisten können? Selbst mit Wohnbeihilfe ist das ein utopischer Preis, den man hier zu berappen hat. Auch hier vermisse ich einen lauten Aufschrei der Gesellschaft, um diese Preistreibereien mit Immobilien auf Kosten der Mieter als das zu nennen was es ist, reine GIER! Wie weit gehen diese Immo-Haie noch? Jedenfalls haben sich die 2 Frauen heute riesig gefreut und ich wünsche ihnen aus ganzem Herzen, dass sie auch die Finanzierung schaffen.
Zum Schluss gegen 18 Uhr kommen wieder, wie immer die gleichen zwei, um sich noch Lebensmittel zu holen. Das nächste Mal gibt es nichts mehr für sie, da sie jede Woche zum letzten Drücker kommen und wir immer auf sie waren müssen, da wir sonst nicht zusammenräumen können. Weil es nicht sein kann, dass man jeden Donnerstag punkt 18.05 Uhr kommt und dann noch erstaunt ist, wenn wir schon zusammenräumen. Die Donnerstage sind lange Tage, die bei mir um 6 Uhr beginnen und bis lange nach Mitternacht dauern, da darf ich schon auch sagen, bitte das nächste Mal 20 Minuten früher.
Unserer Barbara geht es heute nicht gut, Kopfweh und Migräne, wir packen zusammen und fahren Richtung Lager Ansfelden, Barbara verabschiedet sich gleich und fährt heim, der Rest der Truppe heute leert den Transporter noch aus und lagert alles wieder ein. Alles gut gegangen, alles wieder einzigartig, alles wieder voller Dankbarkeit. An dieser Stelle darf ich mich tief verbeugen und unserer Maria DANKE sagen, für die Arbeit in den letzten 5 Jahren in unserem Verein. Sie wird uns leider verlassen, aber unsere Freundschaft wird auch das Überleben. Danke und Vergelt’s Gott für unzählige Stunden harter Arbeit, für all deine Gedankenblitze und Verbesserungen, die du eingebracht hast. Wenn du Sehnsucht nach uns hast liebe Maria, du bist jederzeit herzlich willkommen, auch als Gast und Freund!
An dieser Stelle möchte ich mich auch bei unserem Vermieter, der Fa. TAB und der Fam. Stoyer bedanken, Vergelt’s Gott für alles was Sie uns Gutes tun.
Ich sitze seit 3 Stunden hier und schreibe und schreibe, mit ganzem Herz, das zuschaut und mit Musik aus den 60ern, mein Kopfhörer verursacht gerade eine Schädelbasisprellung an mir, aber selbst schuld, schön ist es! Euch ein dankbares VERGELT’S GOTT und DANKE für Eure Aufmerksamkeit, all unseren Spendern/innen eine tiefe Verneigung und meinem Team eine virtuelle Umarmung, DANKE dass Ihr immer da seid, wenn Ihr gebraucht werdet. Schön, dass es EUCH alle hier gibt und Ihr den Weg mit uns gemeinsam geht! 😊 ❤