Wie weit noch?

Wenn noch...
...ganz viel „Monat“ übrig ist und das Portemonnaie aber schon gähnende Leere zeigt, leiden viele Menschen, überwiegend ältere Menschen, im Stillen. Viele Menschen schämen sich ob ihrer Armut, ihrer Situation, obwohl sie nachweislich nichts dafür können und andere „Stellschrauben“, die in der Zwischenzeit angezogen wurden, vielfach diese Situation auslösen. Alte Menschen schämen sich für ihr „Lebenswerk“, es nicht weiter gebracht zu haben, für den Lebensabend nicht vorsorgen zu können und nicht auf der „Tasche“ der eigenen Kinder zu liegen. Liebe Leute, das ist absolut kein Grund zum Schämen und schon gar kein Grund zu leiden. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte hat sich viel verändert. Gesetze haben sich vielfach verändert, so oft und so tiefgreifend zum Schlechteren, dass zum Beispiel Menschen mit schweren Krankheiten von den maßgebenden Institutionen wie z.B. die PVA, nicht ernst genommen werden, dass diese immer wieder mit negativen Bescheiden konfrontiert werden, und geht man mit so einem negativen Bescheid vors Sozialgericht, gewinnt man oft durch Richterspruch. Menschen mit diversen schweren Krankheiten werden durch schlichte Ahnungslosigkeit der untersuchenden Ärzte drangsaliert, es wird ihnen willkürlich jede Leistung aberkannt und in ein Eck gestellt, das oft „Endstation“ heißt.
Ich kenne viele Menschen, die weder gehen können noch irgendeine andere Tätigkeit noch machen können, man unterstellt ihnen von „Amtswegen“ teilweise Faulheit, was einfach wieder gesetzlich „begradigt“ werden muss. Diese Menschen sind weder faul noch uninteressiert an einer Arbeit, nur weil sich irgendein Allgemein-Arzt bei einer Fach-Diagnose in den Institutionen nur begrenzt auskennt, nur deshalb gibt es viele, viele Pensionsablehnungen. Nur, wenn alle AMS-Leistungen eingestellt wurden und nur noch der Ehepartner da ist, um den gemeinsamen Haushalt überhaupt noch finanzieren zu können, wird’s eng, sehr eng. Ganz abgesehen davon, dass man ohne Leistung auch nicht mehr krankenversichert ist.
Warum ich das heute schreibe? Weil gestern eine seit Jahren uns getreue und liebe Spenderin ins Lager kam, die kaum noch gehen und noch weniger stehen kann, ihre Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass an eine Arbeitsstelle gar nicht mehr zu denken ist. Dass aber auch eine Richterin auf die Frage, was man in diesem Zustand noch arbeiten soll, sagt: „Ich bin nicht ihr AMS“, schlägt dem Fass den Boden aus. Die Politik in Österreich mit ihren Vorgaben an Krankenkassen, an PVA und anderen Institutionen, hat ein schräges, teilweise menschenverachtendes Bild von uns Bürgern. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man auf diese Weise vorgeführt und abgelehnt wird.
Durch den Verlust seiner Leistungen hängt oft die ganze Familie in Schiefstellung, finanziell und moralisch sowieso. Wenn man Menschen jede Leistung streicht und jede Chance auf ein halbwegs gutes Durchkommen nimmt, dann stinkt es gewaltig in diesen Büroräumen. Geringfügig arbeitende Menschen sind hier in der Pflicht, da sie weder arbeitslosenversichert noch krankenversichert und auch nicht pflegeversichert sind, sondern lediglich unfallversichert. Das, liebe Leute, wissen aber viele Menschen, die sich in geringfügigen Verhältnissen bewegen, gar nicht. Aufklärung wäre hier fast schon ein „Lotto-Sechser“. Was tun aber alte und kranke Menschen, die von einem System abgelehnt und in ein Eck gestellt werden? Bis zu einem gewissen Grad des „Leidens“ schweigen die meisten, ab einem markanten Punkt des Leidens suchen sich die Wenigsten anonyme Hilfe, manche gehen stehlen, weil der Hunger schon groß ist, und manche gehen auch einbrechen. Wenn man Menschen die Möglichkeit nimmt, halbwegs menschlich überleben zu können, beginnen sie sich zu wehren, mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.
An unseren Verteil-Donnerstagen sehen wir, wie stark zurzeit die Anzahl derer ansteigt, die sich keine Lebensmittel mehr kaufen können und die stark von Delogierung bedroht sind oder schon delogiert wurden und auf der Straße aufschlagen. Da sind Menschen dabei, die sich sicher glaubten, die diese Preisexplosionen nicht ahnen konnten, die aber andererseits auch keine Möglichkeit hatten, vermehrt anzusparen, weil es auch so nur bis zum Monatsende reichte. Wir sehen jede Woche die unglaubliche Entwicklung, die Menschen, die von heute auf morgen in eine Spirale geraten, aus der sie alleine nicht mehr heraus kommen. Lösungen gibt es nur bedingt und wenn, dann nur ganz wenige, die Lügen und die Fratze des Systems sind um ein Vielfaches lauter und grausamer und allgegenwärtig.
Diese Woche begleiten uns am Verteil-Donnerstag 2 Praktikantinnen aus dem Bezirk Schärding, aus dem BORG. Sie helfen uns bei den Vorbereitungen und auch am Nachmittag beim Verteilen. Die beiden vergaßen eine Bestätigung über deren Einsatz bei uns, der Erziehungsberechtigten mitzubringen, deshalb musste ich mir telefonisch noch am Vormittag die Bestätigung bei den Eltern holen. Zurzeit haben wir einen echten Engpass an Helferleins, wir wären glücklich über die eine oder andere helfende Hand. Unsere Beate, die 2-mal wöchentlich aus Raab kommt und uns tatkräftigst hilft, ruft schon morgens an, ob sie Kaffee und Kakao für unser Team mitnehmen soll und wieviel Leute im Lager sind. Beate ist ein frisches, bodenständiges Gemüt, das in unserem Verein niemand mehr missen möchte. Wie üblich werden alle Vorbereitungen punktgenau getroffen, auch Rena und Kimi sind hier und helfen uns tatkräftig. Da Barbara heute leider nicht dabei ist, bleibt auch diesmal die Küche kalt, Aufstriche und Brot und als Nachspeise, Kuchen. Toll!
Nachmittag, um 15Uhr geht es heute für unsere Verhältnisse früh, nach Linz. Als wir ankamen warteten schon 15-20 Bedürftige auf uns, am Ende werden es ca. 100 Menschen sein, die heute zu uns kommen werden. Viele davon zum ersten Mal, unsere Beate muss aber heute früher weg, deshalb füllt sie mit den Neuen, die sich bei uns registrieren müssen, die Formulare aus und macht Fotos für den Ausweis. Es ist heute stressiger und quirliger als sonst, aber es ist eine gute Stimmung. Auch Konstantin, unser Optiker aus Bad Ischl, der kostenlos Brillen für die Schützlinge anfertigt aus ausgibt, ist heute wieder dabei. Ich freue mich ihn zu sehen. Wir räumen alles aus, auf die Tische, da kommt unsere Brigitte zu uns, die sich vor 2 Wochen die Hand gebrochen hat und uns heute, so gut es geht, unterstützt. Schön sie wieder zu sehen. Wir haben diesmal mehr Frischware dabei, weil wir von einer großen Spedition eine Spende bekamen, deshalb wird heute der Platz für unsere Boxen, knapp werden. Aber wir finden einen Weg.
Kurz vor 16 Uhr, kommt noch Christian mit seinem Sohn und der künftigen Schwiegertochter, die sich unsere Aktion auch einmal aus der Nähe anschauen möchten und mithelfen wollen. Christian richtete mir einen kaputten Akku her und dabei kamen wir auf einen Verein zu sprechen. Er sagte mir damals schon: „Das weiß ja niemand, diese Problematiken und diese Fehler im System“. Tja, das mag schon sein, dass die Masse der Menschen die Problematik nicht kennt, aber ein großer Teil davon aus Ignoranz und weil sie mit dem Thema Armut erst gar nicht in Berührung kommen wollen. Es sind jene Menschen, die die Straßenseite wechseln, wenn ein Obdachloser irgendwo auf einer Bank sitzt und hinterher über diesen schimpft: „Obdachloses Gsindl“. Das ist leider auch Tatsache, so ein menschenverachtendes Verhalten. Christian sieht heute aus der Nähe, wer unsere Schützlinge sind und kann auch Fragen stellen, die die Menschen ihm gerne beantworten. Er ist sichtlich angetan, verwirrt und verstört, er hätte nicht geglaubt, so etwas sehen zu müssen. Seine Fragen wurden alle beantwortet und man sieht ihm an, dass er moralisch mitgenommen ist, unseren Praktikantinnen dagegen, geht es gut, sie blühen auf beim Verteilen der Lebensmittel.
Die Warteschlange reißt heute nicht ab, zwischendurch ruft mich die Polizei an, weil sie einen Schützling suchen, wo ich aber auch keinen Anhaltspunkt zu dessen Aufenthalt mehr habe. Claudia kommt bei unserem Bus heute vorbei und bringt uns für die erwähnte Frau von letzter Woche eine prall gefüllte Bananenschachtel mit Lebensmittel mit, die ich gerne weitergeben werde. Vergelt’s Gott und habe großen Dank dafür, liebe Claudia.
All die vielen neuen Gesichter machen mir etwas Angst, sie alle sind betroffen von der aktuellen Situation, die sich vermutlich nicht mehr so schnell ändern wird, die bedingungslos Menschen aus dem System werfen wird, die sich das nackte Leben nicht mehr leisten können. Ich rede mit vielen unserer heutigen Besucher, und es klingt alles so trostlos, so depressiv negativ und so hoffnungslos. Viele Menschen wissen jetzt schon nicht mehr weiter, wie sie ihr Leben noch finanzieren können. Hier trifft es zuallererst Frauen mit Kindern und alte Menschen, denen man frecherweise nahe legt, sich mit 73 Jahren nochmal eine Arbeit zu suchen, wenn die Pension nicht ausreicht.
Konstantin hat wieder Kunden, die er neu vermisst für neue Brillen, unsere beiden Praktikantinnen lächeln und genießen es sichtlich, bei uns mitzuwirken, und Christian ist wahrlich geflasht, von dem was er heute hier sieht und hört. Unsere Ingrid ist wie immer im Kleider-Anhänger, und schaut dem bunten Treiben von innen zu. Unser Lebensmittelangebot ist heute überdurchschnittlich groß dank der Spenden dieser Spedition, aber auch dank Transdanubia, die Vanille-Cremen und Joghurt für uns über hatten. Vielen Dank an dieser Stelle. Die Dunkelheit kommt näher und näher, wir platzieren unsere Lampen, um auch später noch etwas zu sehen. Im Licht der Lampen kommt Herr S. von der ÖBB zu uns und überzeugt sich von unserer Arbeit, die Gespräche mit ihm sind wertig und tun gut, weil sie erden.
Ab und zu muss ich wieder ans andere Ende der Schlange, jemand ruft mich oder braucht etwas, Max verteilt Zigaretten an unsere Schützlinge, je 3 Stück, das können wir aber nur machen, wenn wir welche gespendet bekommen, kaufen dürfen wir Zigaretten gar nicht. Auch gehen heute von Beginn an die Nächtigungsjetons für die Notschlafstelle, die wir kaufen und kostenlos den Menschen geben, weg wie warme Semmeln. Wir können leider nur 2 Stück pro Person und Woche abgeben, alles andere wäre für uns nicht mehr zu finanzieren. 1 Jeton kostet € 4,17 und wir haben jetzt schon über 600 Jetons eingekauft, ein finanzieller Kraftakt für uns. Über 70 Jetons teilen wir heute aus, damit die Menschen zumindest 2 Nächte im warmen schlafen können.
Wir vermissen seit Monaten unseren Christoph, niemand weiß, wo er ist, und was passierte. Dagegen kommt Affi heute nüchtern zum Bus und bittet um einen Rucksack, weil der alte kaputt ging. Verena holt sich Lebensmittel und Hundefutter für ihren Vierbeiner, und Wolfgang freut sich über eine neue Winterjacke, die ihm ab heute Wärme geben wird. Aber es kommen auch immer wieder, jede Woche aufs Neue, illegale EU-Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis, praktisch U-Boote, die wir aber weder unterstützen noch fördern wollen, aber hungrig schicken wir auch diese Menschen nicht weg. Ein Wurstbrot oder eine Semmel und einen Apfel haben wir auch für diese Menschen, die wir eigentlich gar nicht „bedienen“ dürften, wenn es nach dem Gesetz geht. Langsam ist die Dunkelheit auch in die letzte Ecke gezogen und unsere Praktikantinnen fragen, ob sie schon gehen dürfen, weil in 10 Minuten ein Zug nach Schärding fahren würde. Ja freilich, und lasst es mich bitte per Mail wissen, welche Eindrücke ihr bekommen habt und welches Resümee ihr gezogen habt. Es ist 17.45 Uhr, die beiden Mädels gehen Richtung Bahnhof und winken noch zum Abschied und Christian kommt kopfschüttelnd zu mir und meint nur: „Walter, gäbe es mehr Menschen wie du einer bist, die Welt wäre um vieles besser“. Ich tu mir mit so einem Lob sehr schwer, weil es erstens nicht ich alleine bin der diese Aktion macht, sondern immer mein Team im Hintergrund auch besonders gute Arbeit macht, und, nein, ich schaue nicht auf andere Menschen was sie machen oder eben nicht machen, ob andere Menschen sich spendabel zeigen oder eher ablehnend, darüber zerbreche ich mir bestimmt nicht den Kopf, es ist nur eines ganz bestimmt, Armut und Obdachlosigkeit kann wirklich JEDEN treffen, und das muss unsere Gesellschaft endlich einmal verstehen lernen und nicht einfach auf Menschen schimpfen ohne zu wissen, was der Grund für diese Situation ist. Christian und sein Sohn sind sichtlich angetan von unserem Wirken hier und drückt das in anerkennende Worte aus, die ich gerne ans gesamte Team weitergebe. Langsam räumen wir zusammen, der Großteil unserer Lebensmittel wurde verteilt, und ich sehe, wie schwer es von Woche zu Woche wird, all die leeren Boxen von heute, wieder aufzufüllen. Der Spendenfluß ist ein anderer geworden, ein ganz anderer, zurzeit können wir von den Spenden, die uns gebracht werden, nicht einmal den Verteil-Donnerstag nachfüllen, geschweige denn eine Spendenlieferung kommissionieren. Aber alles wird gut, ich glaube fest daran. Unser Lager ist zurzeit gut gefüllt, es geht nur darum, dass wir die Lücken, die in den Regalen kommen werden, nicht mehr so schnell auffüllen können, weil die Preise für uns unerträglich geworden sind.
Wir räumen alles wieder in den Bus und brechen Richtung Lager Ansfelden auf wo alles wieder eingelagert wird. Es geht ein Tag zu Ende an dem wir wieder punktgenau helfen konnten und dank Eurer Hilfe, helfen durften. Vergelt’s Gott und habt großen Dank. Gott Segen und einen erholsamen Sonntag wünsche ich Euch! <3 :-)
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